Max. Nun, ich habe sie ja auch gekannt, deine Bianca, und besser als du.
Anatol. Besser?
Max. Besser; weil wir einander nicht liebten. Für mich ist sie nicht die Märchengestalt; für mich ist sie eine von den tausend Gefallenen, denen die Phantasie eines Träumers neue Jungfräulichkeit borgt. Für mich ist sie nichts Besseres als hundert andere, die durch Reifen springen oder kurzgeschürzt in der letzten Quadrille stehen.
Anatol. So ... so ...
Max. Und sie war nichts anderes. Nicht ich habe etwas übersehen, was an ihr war; sondern du sahst, was nicht an ihr war. Aus dem reichen und schönen Leben deiner Seele hast du deine phantastische Jugend und Glut in ihr nichtiges Herz hineinempfunden, und was dir entgegenglänzte, war Licht von deinem Lichte.
Anatol. Nein. Auch das ist mir ja zuweilen geschehen. Aber damals nicht. Ich will sie ja nicht besser machen, als sie war. Ich war weder der erste, noch der letzte ... ich war –
Max. Nun, was warst du? ... Einer von vielen. Dasselbe war sie in deinen Armen wie in denen der anderen. Das Weib in seinem höchsten Augenblick!
Anatol. Warum hab ich dich eingeweiht? Du hast mich nicht verstanden.
Max. O nein. Du hast mich mißverstanden. Ich wollte nur sagen, du magst den süßesten Zauber empfunden haben, während es ihr dasselbe bedeutete wie viele Male zuvor. Hatte denn für sie die Welt tausend Farben?
Anatol. Du kanntest sie sehr gut?
Max. Ja; wir begegneten uns häufig in der lustigen Gesellschaft, in welche du einmal mit mir kamst.
Anatol. Das war alles?
Max. Alles. Aber wir waren gute Freunde. Sie hatte Witz; wir plauderten gern miteinander.
Anatol. Das war alles?
Max. Alles ...
Anatol. ... Und dennoch ... sie hat mich geliebt.
Max. Wollen wir nicht weiterlesen ... (Ein Päckchen in die Hand nehmend.) »Wüßt' ich doch, was dein Lächeln bedeutet, du grünäugige ...«
Anatol. ... Weißt du übrigens, daß die ganze Gesellschaft wieder hier eingetroffen ist?
Max. Gewiß. Sie auch.
Anatol. Jedenfalls.
Max. Ganz bestimmt. Und ich werde sie sogar heute abend wiedersehen.
Anatol. Wie? Du? Weißt du, wo sie wohnt?
Max. Nein. Sie hat mir geschrieben; sie kommt zu mir.
Anatol (vom Sessel auffahrend). Wie? Und das sagst du mir erst jetzt?
Max. Was geht es dich an? Du willst ja – »frei und allein« sein!
Anatol. Ach was!
Max. Und dann ist nichts trauriger als ein aufgewärmter Zauber.
Anatol. Du meinst –?
Max. Ich meine, daß du dich in acht nehmen sollst, sie wiederzusehen.
Anatol. Weil sie mir von neuem gefährlich werden könnte?
Max. Nein – weil es damals so schön war. Geh nach Hause mit deiner süßen Erinnerung. Man soll nichts wiedererleben wollen.
Anatol. Du kannst nicht im Ernst glauben, daß ich auf ein Wiedersehen verzichten soll, das mir so leicht gemacht wird.
Max. Sie ist klüger als du. Sie hat dir nicht geschrieben ... vielleicht übrigens nur, weil sie dich vergessen hat.
Anatol. Unsinn.
Max. Du hältst es für unmöglich?
Anatol. Ich lache darüber.
Max. Nicht bei allen trinkt die Erinnerung von dem Lebenselixier Stimmung, das der deinen ihre ewige Frische verleiht.
Anatol. Oh – jene Stunde damals!
Max. Nun?
Anatol. Es war eine von den unsterblichen Stunden.
Max. Ich höre Schritte im Vorzimmer.
Anatol. Sie ist es am Ende.
Max. Gehe, entferne dich durch mein Schlafzimmer,
Anatol. Daß ich ein Narr wäre.
Max. Geh – was willst du dir denn den Zauber zerstören lassen.
Anatol. Ich bleibe. (Es klopft.)
Max. Geh! Gehe rasch!
Anatol (schüttelt den Kopf).
Max. So stelle dich hierher, daß sie dich wenigstens nicht gleich sieht – hierher ... (Er schiebt ihn zum Kamin hin, so daß er teilweise durch den Schirm gedeckt ist.)
Anatol (sich an den Kaminsims lehnend). Meinetwegen. (Es klopft.)
Max. Herein!
Bianca (eintretend, lebhaft). Guten Abend, lieber Freund; da bin ich wieder.
Max (ihr die Hände entgegenstreckend). Guten Abend, liebe Bianca, das ist schön von Ihnen, wirklich schön!
Bianca. Meinen Brief haben Sie doch erhalten? Sie sind der allererste – der einzige überhaupt.
Max. Und Sie können sich denken, wie stolz ich bin.
Bianca. Und was machen die anderen? Unsere Sachergesellschaft? Existiert sie noch? Werden wir wieder jeden Abend nach der Vorstellung beisammen sein?
Max (ist ihr beim Ablegen behilflich). Es gab aber Abende, wo Sie nicht zu finden waren.
Bianca. Nach der Vorstellung?
Max. Ja, wo Sie gleich nach der Vorstellung verschwanden.
Bianca (lächelnd). Ach ja ... natürlich ... Wie schön das ist, wenn einem das so gesagt wird – ohne die geringste Eifersucht! Man muß auch solche Freunde haben wie Sie ...
Max. Ja, ja, das muß man.
Bianca. Die einen lieben, ohne einen zu quälen!
Max. Das ward Ihnen selten!
Bianca (den Schatten Anatols gewahrend). Sie sind ja nicht allein.
Anatol (tritt hervor, verbeugt sich).
Max. Ein alter Bekannter.
Bianca (das Lorgnon zum Auge führend). Ah ...
Anatol (näher tretend). Fräulein ...
Max. Was sagen Sie zu der Überraschung, Bibi?
Bianca (etwas verlegen, sucht augenscheinlich in ihren Erinnerungen). Ah, wahrhaftig, wir kennen uns ja ...
Anatol. Gewiß – Bianca.
Bianca. Natürlich – wir kennen uns sehr gut...
Anatol (erregt mit beiden Händen ihre Rechte fassend). Bianca ...
Bianca. Wo war es nur, wo wir uns trafen ... wo nur ... ach ja!
Max. Erinnern Sie sich ...
Bianca. Freilich ... Nicht wahr ... es war in St. Petersburg ...?
Anatol (rasch ihre Hand fahren lassend). Es war ... nicht in Petersburg, mein Fräulein ... (Wendet sich zum Gehen.)
Bianca (ängstlich zu Max). Was hat er denn? ... Hab ich ihn beleidigt?
Max. Da schleicht er davon ... (Anatol ist durch die Tür im Hintergrunde verschwunden.)
Bianca. Ja, was bedeutet denn das?
Max. Ja, haben Sie ihn denn nicht erkannt?
Bianca. Erkannt... ja, ja. Aber ich weiß nicht recht, wo und wann?
Max. Aber, Bibi, es war Anatol!
Bianca. Anatol –? ... Anatol ...?
Max. Anatol – Klavier