Aber manchmal genügt es auch schon, seiner Großmutter in der Nacht die Perücke und die Lesebrille zu stehlen und sie sich selbst aufzusetzen, um in Österreich ein Medienstar in Permanenz zu werden. Ob Austropop, Qualtingergeburtstag oder Karl Kraus, der schwarzblaue Weltuntergang am Heldenplatz oder die Klimakatastrophe: Was immer das Land bewegt: ER ist in jeder Doku berufen, seinen Senf nicht bloß zu geben, sondern zu spenden. Nicht bloß eine Spende ist der Senf: Der Mautner-Markhof des Schönen, Wahren und Guten segnet die Würstel mittels Senf. Alle paar Jahrzehnte lässt ER (zum Beweis seiner eigenen Genialität) Stadthallenchinesen oder Stadthallenafrikaner in der Stadthalle auftreten und eine Art Eisrevue ohne Eis aufführen. ER selbst ist aber weder Stadthallenchinese noch Stadthallenafrikaner, sondern Stadthallenwiener (Würstel).
Alles wirkt wichtiger, wenn man es sehr langsam sagt. Man kann auch eine kleine Aussage mit einer großen Geste würzen. Man kann auch vor der Äußerung einer Banalität lange darüber nachdenken. Man kann auch nach ganz gewöhnlichen Worten ringen. Ich habe in all den Jahren, in denen ER den Bildschirm bewohnt, noch nicht einen erhellenden Satz von ihm gehört. Aber ich habe noch nicht einen Satz von ihm gehört, der nicht erhellend geklungen hätte. Wenn ER so dasitzt in seinem Rokokofauteuilchen, der Spezialist für eh alles, weltlässig weiß gewandet, ein Bein genieschwanger über das andere geschlagen, die Schäfchenwolke am Hals nachdenklich zur Seite geneigt und in die Hand geschmiegt, kommt man nicht umhin zu denken: Da sitzt ja unser Nobelpreisträger! Zu dumm, dass einem auf die Schnelle nicht und nicht einfallen will, in welcher Disziplin er den Nobelpreis gewonnen hat.
La Traviata nackt
Unwahr ist, dass unbekannte Täter (Banausen? Terroristen? Andersgläubige?) in der Nacht vor der Premiere der Traviata bei den Salzburger Festspielen das gesamte Bühnenbild aus dem großen Festspielhaus gestohlen haben und die Vorstellung deshalb beinahe geplatzt wäre. Unwahr ist weiters, dass man die Sache nur wegen der Fernsehverträge eben ohne Bühnenbild doch noch durchgepeitscht, die prominenten Premierengäste um Verständnis gebeten und auch am Schwarzmarkt für Karten für die Notversion bloß 1.000 statt bisher 2.000 Euro verlangt hat. Wahr ist aber, dass die Bühne nicht bloß karg und schlicht, sondern – mit Ausnahme einer mutanten Bahnhofsuhr – tatsächlich völlig leer war.
Sicher gewährt dieser schicke Puritanismus, dass nichts den Blick auf die Charaktere verstellt, die aber eigentlich völlig egal sind. Faktum ist jedenfalls, dass Bühnenbilder ein Spiegelbild der Gesellschaft sind, allerdings indirekt proportional. Noch vor einem halben Jahrhundert lebten die Menschen in kümmerlichen Verhältnissen und mussten mit dem Notwendigsten auskommen: leisteten sie sich aber einmal einen Theaterbesuch, wollten sie Gold, Barock und Opulenz sehen. Die Bühne im Wiederaufbau konnte gar nicht überfrachtet genug sein, und wenn sie schon einem Möbellager glich. Als ich erwachsen wurde, begannen auf der Bühne der postmoderne Rückbau und die Reduktion: Es wurde nur noch angedeutet, schematisiert, symbolisiert.
Heute, am Gipfel gesellschaftlichen Überflusses, Wohlstandes und der Wohlstandsverwahrlosung, regiert auf den Brettern, die die Welt bedeuten, das pure Nichts. Gähnende Leere! Designte Entrümpelung total. Einen Raum so radikal auszuräumen, verlangt natürlich ein Millionenbudget. Da muss nichts mehr angedeutet werden! Die Regisseure haben heute eine ganze Palette todschicker leerer Räume im Repertoire. Farblich reichen sie von mausgrau bis leichenblass. Noch leerer könnte man den Bühnenraum nur machen, wenn man Frau Netrebko das Kostüm auch noch wegnimmt und sie die Traviata – total aufs Wesentliche konzentriert – nackt singen lässt. Aber bevor es so weit kommt, machen wir doch lieber ein bissi Sozialabbau.
Jedermann stirbt nicht
Jedes Jahr stirbt Ende Juli vor zahlreichen zahlungskräftigen Schaulustigen Jedermann in Salzburg. Niemals holt irgendwer den Notarzt und nie erfährt man die Todesursache. Wer sich die Mühe gemacht hat, einmal zu Hause zu bleiben und lieber den Text zu lesen, wird sich nicht genug darüber wundern, dass es irgendwo auf der Welt Lektoren und Dramaturgen gibt, die den hölzernen Text, die holprigen Verse und die elende Reimerei nicht sofort im Papierkorb versenken.
Nachdem die Menschheit vom Anbeginn der Zeit keine Ahnung davon gehabt hat, weiß sie nun dank der erhellenden Ergüsse des Superphilosophen Hofmannsthal endlich, dass alle Menschen sterblich sind und keiner im Voraus so genau sagen kann, wann es ihn erwischt. Aber schon die Conclusio des Syllogismus, dass es erlösungsfreundlicher ist, gute Werke statt schnöden Mammons anzusammeln, ist durch zahllose Erbschaftsprozesse weltweit eindrucksvoll widerlegt. Auch was das Premierenpublikum von dieser Message hält, ist durch seine Garderobe dokumentiert. Ganz sicher lernt der Normalsterbliche aus dem Spektakel, dass man sich keine Frau zulegen sollte, die auf den dussligen Familiennamen »Buhlschaft« hört. Der Tod kommt aus Deutschland, ist weiblich und im Hauptberuf Kriminalkommissarin. Auch schon wurscht.
Das Stück selbst bewegt sich ungefähr auf dem Niveau der Fernsehsitzung des Villacher Faschings, nur pointenlos und weihevoll. Das Publikum ist übrigens auch fast identisch. Nur ist es dunkel angezogen in der Hoffnung, vom Begräbnis auch noch was mitzukriegen. Schon bald hundert Jahre stirbt der Jedermann zuverlässig und pünktlich im Sommerloch – aber von Quadflieg bis Moretti, von Curd Jürgens bis Otto Schenk, von Brandauer bis Simonischek ist noch keinem auf der Bühne wirklich etwas passiert. Für die Schauspieler ist der Jedermann quasi die Garantie, dass sie selbst a) auf der Bühne nicht sterben und b) durch das Stück unsterblich werden. Molière ist unmittelbar nach der vierten Vorstellung des Eingebildeten Kranken, den er selbst gespielt hat, hinter der Bühne gestorben. Das lob ich mir.
Neues vom Buch
Vielleicht haben Sie es vor lauter Weltgeschichte gar nicht bemerkt, liebe Leser: Gestern war Welttag des Buches. Die Ältesten unter Ihnen werden sich ja vielleicht noch erinnern, dass vor der Einführung von Film und Fernsehen, vor der Erfindung von PC und Internet das Buch – ein viereckiges archaisches Ding aus Papier voller geheimnisvoller Schriftzeichen – ein Kulturgut, ein Informationsträger und sogar ein Unterhaltungsinstrument war. Man konnte damit freilich weder zappen, noch surfen, noch online gehen. Man brauchte nur Couch, Diwan oder Ohrensessel, eine Leselampe und eventuell eine Tasse Tee oder eine Schale Kaffee, um sich in aller Gemütlichkeit in fremde Welten zu vertiefen.
Die gegenwärtige Entwicklung ist kurios: Es wurden noch nie so viele Bücher publiziert wie heute; und noch nie so wenige Bücher gelesen. Gekauft müssen sie aber von irgendjemandem werden, denn der Kapitalismus macht auch vor Kulturgütern nicht halt: Die schwierige Situation hat Autor und Käufer zu einer Person verschmelzen lassen. Abseits der Bestsellerlisten findet man immer häufiger Autoren, die zur Befriedigung ihres Egos oder aus welchem Grund auch immer ihre Bücher selbst finanzieren, selbst aufkaufen und anschließend im Bekanntenkreis verschenken – in der irrigen Hoffnung, irgendjemand würde dem Gaul ins Maul schauen.
Anlässlich des Welttages des Buches war ich letzte Woche auf Lesetournee in Österreich, und wo ich auch hinkam, begegneten mir besorgte Mienen: Buchhandlungen kämpfen überall ums Überleben oder ringen mit dem Tod. Dem Buch geht es schlecht! Eine ganze Branche sucht verzweifelt den einen: Dich, Leser! Wo bist du? Wo hältst du dich versteckt? Was ist mit dir passiert? Bitte melde dich!
Trotz dieser Tristesse habe ich noch immer genügend erquicklichen Wahnsinn in mir und lasse mir gerade ein neues Büro einrichten, um mehr Ruhe und Platz zum Schreiben und Lesen zu haben. Der Zimmermann war aber schon von meinem jetzigen Studio ganz begeistert und schritt fasziniert die Regale ab: »So viele Bücher!«, sagte er. »Die ideale Wärmedämmung!«
Austropopshow
Arabella K.: Der erste Star unserer Austropopshow ist ein Mann, der vor 25 Jahren 25 Schirennen gewonnen hat. Begrüßen Sie mit mir Franz K.! Herr K., haben Sie jemals ein Lied gesungen?
Franz