Jubel, Trubel, Österreich. Egyd Gstattner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Egyd Gstattner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902862235
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       Jubel, Trubel, Österreich

      Lieber Herr Figl, als einer von zwei noch lebenden Figl-Preisträgern bedanke ich mich auf diesem Weg nachträglich recht herzlich für Staatsvertrag, Freiheit und immerwährende Neutralität. Wir feiern gerade den 50. Geburtstag der Republik, sind aber längst ein europäisches Bundesland, und wir hätten es schlechter treffen können.

      Leider muss ich Ihnen aber mitteilen, dass Sie, lieber Herr Figl, mittlerweile in allen Medien zur reinen Werbewitzfigur verkommen sind. Sie können sich nicht vorstellen, wie oft Sie in den letzten Wochen auf den Balkon des Schlosses Belvedere hinausgetreten sind, und was Sie der Menge alles zugerufen und hinuntergehalten haben. Hand aufs Herz: Hätten Sie als Trümmerpolitiker jemals »Österreich ist möbliert!« gerufen? Oder: »Geiz ist geil!«? Die Niederösterreichische Wirtshauszeitung zeigt Sie, wie Sie am Balkon statt des Staatsvertrags stolz einen Teller Rindsroulade präsentieren. Balkone sind jedenfalls für lange Zeit diskreditiert, und wer immer auf einen Balkon hinaustritt, sollte es nur noch zum Wäscheaufhängen tun.

      »Österreich hat frei!«, habe ich mir also am 50. Geburtstag der Republik gedacht und bin von den vielen Figl-Verhunzungen angewidert zum Rindsrouladenessen nach Ljubljana gefahren, der Hauptstadt unseres europäischen Nachbarbundeslandes Slowenien. Nach dem Essen übermannte mich aber große Heimatsehnsucht, und ich fuhr so schnell wie möglich zurück nach Österreich. Bei der Ausweiskontrolle am Grenzübergang Loiblpass – der fast gar kein Grenzübergang mehr ist, Herr Figl, ließ mich ein verirrter und verlassener Gendarm aussteigen. Sicher will er gerade am heutigen hohen Festtag ein Autogramm des Figl-Preisträgers haben, dachte ich und wollte dem Gendarm, der auch fast gar kein Gendarm mehr ist, schon herzlich auf die Schulter klopfen und sagen: »Österreich ist frei!« Der Gendarm aber raunzte herzlos, dass Österreich zwar frei sei, dass man aber trotzdem nicht schneller als erlaubt hineindürfe, also etwa – wie ich – statt mit 50 mit 70 km/h. Auf die Schnelle koste das ganz unbürokratisch 25 Euro – und ob ich sie bitte genau habe ...

       Papagenos Hymne

      Was unsere Bundeshymne betrifft, bin ich selbstverständlich dafür, dass auch die großen Töchter zu den großen Söhnen dürfen. Sonst wird denen ja langweilig. Und ein großer Sohn wird man ohnehin nur wegen der Frauen. Freilich könnte man statt »Söhne« und »Töchter« einfach »Menschen« sagen. Allerdings käme da das genetische Abhängigkeitsverhältnis zur Erzeugerin Heimat nicht so deutlich zum Ausdruck. Emotionell aufgeblasen, wie Hymnen nun einmal sind, möchte die Hymne den vielen kleinen Söhnen und Töchtern ja weismachen, das Vaterland sei tatsächlich eine Art Vater und die Mutter Erde eine Art Mutter. Die großen Söhne und Töchter seien also bei ihrer Geburt direkt aus der Mutter Erde herausgekommen, anstatt – wie alle – am Ende in die Mutter Erde hineinzukommen. Wahrscheinlich hätte die Heimat halt gern Kinderbeihilfe.

      Außerdem haben »Menschen« den entscheidenden Nachteil, dass sie sich nicht auf »Schöne« reimen, und die Kulturnation dürfte also nicht mehr länger enthusiastisch Konzerte, Galerien, Buchhandlungen, Lesungen stürmen und vor lauter unverhohlener Literaturgier gar nicht mehr zum Fernsehen oder Internetsurfen kommen. Das wäre schon schade. Und was nehmen wir statt »Schöne«? Backhendl? Puntigamer? Gumpoldskirchner? Hahnenkamm?

      Nein, nein! Alles hat auch wieder nicht Platz in der Hymne. Die kleinen Söhne und Töchter müssen leider draußen bleiben. Sagen wir statt »Heimat« doch gleich »zuständiges Finanzamt«, statt »frei und gläubig« »pragmatisiert und katholisch«, statt »arbeitsfroh und hoffnungsreich« »Leistungsdruck und Valium«. Und statt »Brüderchöre« »Wirtshausbrüderchöre«. Bei der Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, dass zu den Wirtshausbrüdern natürlich auch die Wirtshausschwestern gehören.

      Land der Hämmer? Ein Hammer ist die Hymne ja nicht nur textlich, sondern auch musikalisch. Hört man etwa die italienische Hymne, denkt man, der Staat als solches ist etwas Lustiges (vor Berlusconi jedenfalls). Hört man die österreichische Bundeshymne, denkt man unwillkürlich: Der Staat muss etwas sehr Trauriges sein. Wenn ein Bundespräsident stirbt, dann passt sie. Aber freiwillige Begräbnisstimmung vor einem Länderspiel gegen Aserbaidschan? Man sieht dem armen Mohamed Akagündüz förmlich an, dass er seit frühen Ahnentagen hoher Sendung Last getragen hat. Das klappt ohne Antidepressiva nicht mehr.

      Ausgerechnet die Freimaurerkantate hat man als Hymne nehmen müssen! Wenn schon Mozart, dann plädiere ich – nicht nur um die Fußballer auf dem falschen Fuß zu erwischen – als neue österreichische Nationalhymne für die Arie des Paradeösterreichers Papageno. Und natürlich die der Papagena.

2

       Freud und Mozart

      Freudjahr! Mozartjahr! Da wird man auf mich als Hauptmann der Freiwilligen Feierwehr wohl wieder einmal nicht hören. Wenn wir uns also anschicken, sensationelle Umsätze mit der Ausschlachtung des atheistischen Religionsgründers zu machen, den unsere Ahnen nach London verscheucht haben, noch sensationellere Gewinne freilich mit der kulinarisch-touristischen Nachnutzung des Musikgenies, das die Ahnen unserer Ahnen in die Vorstadt hinausgeekelt und in einem Armengrab verbuddelt haben – wenn wir also die Nachweltkassa so richtig klingeln lassen wollen, dann dürfen wir uns vor lauter falscher Seriosität und Pietät nicht mit einem biederen Freud-Museum in der Berggasse bescheiden und das Auslangen mit Mozartkugeln, Mozarttorten, Mozarttalern und Mozartherzen finden.

      Neue Speisen braucht das Land, wenn Freudtouristen und Mozarttouristen uns heuer in Scharen besuchen: Die Mozartsuppe, serviert in der Wolfgang-Schüssel. Das saure Mozartnierndl, die geröstete Mozartleber mit Schikanederkartoffeln und der in Olivenöl eingelegte Mozartfußpilz. Das Nannerl-Papperl, das Stanzerl-Starnitzel, der Freimaurerburger, die Tagliatelle »Leporello« und das Papagenowürstl mit dem Rachearienketchup.

      Die Wiener Filiale der Firma Nordsee wird sich sicher daran erinnern, dass sich der junge Freud als Medizinstudent in Triest eine Zeitlang sehr intensiv der Erforschung der Geschlechtsdrüsen beim Aal gewidmet hat und daher in memoriam panierte Aalgeschlechtsdrüsen auf den Markt werfen. Und für den anspruchsvollen Gaumen hätten wir dann noch den gemischten Analyseteller im Angebot, die bunte Salatschüssel »Triebverzicht«, das Abwehrmechanismenragout, das Phallussymbolgeschnetzelte, das Überkompensationsbrezel, den Freud-Marzipanpenis und das Hysteriekipferl. ¼ Waschzwanghendl (mit Vogerlgrippensalat), die leckeren Ödipusknöderl, das Alle-Lust-will-Ewigkeit-Sandwich, das Überichschnitzel und das Penisneidgulasch.

      In unserem Merchandising-Shop finden Sie das Sonnenöl »Monostatos«, das Hundedelikattessenmenü »Sarastro«, das Sigismund-Rasierwasser, das Schlomo-Aftershave, den Unbehagen-in-der-Kulturbeutel, den Herrenslip »Cosi fan tutte« und die Bertha-Pappenheim-Spirale. Falls Sie eher von der süßen Seite sind, empfehlen wir als Nachtisch den Don-Giovanni-Cappuccino, die Totem-und-Tabutorte, den Lustprinziplutscher, den Paranoiapudding, dreierlei Neurosenmousse auf der Couch serviert sowie ganz zum Schluss den Kotzkübel »Amadé«.

       Eine leergeräumte Wohnung

      Über dreißig Jahre nach seinem Tod hat man sich in Österreich Anfang der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts doch aufgerafft, eine »Sigmund-Freud-Gesellschaft« zu gründen und in den ehemaligen Ordinationsräumlichkeiten in der Berggasse 19 ein Freud-Museum einzurichten; allerdings erst, nachdem der damalige Bundeskanzler Klaus bei einer Amerikareise von höchster Stelle Kritik an der ignoranten Haltung Österreichs seinem großen Sohn gegenüber einstecken musste. In den Vereinigten Staaten (die er selbst gar nicht sehr mochte), wurde Freud mittlerweile als Gründer einer (atheistischen) Weltreligion gefeiert und verehrt: Die psychoanalytische Kirche hatte Kirchenschiffe in jedem Nest am ganzen Kontinent und auf der ganzen Welt. Die Kirchenschiffe sind freilich spottbillig, man braucht im Grund nur eine Couch und einen Bart.

      Mittlerweile hat man Freud auch in Österreich entdeckt. Im »Cafe Freud« gibt es auf der Toilette