Kemet. Melanie Vogltanz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Melanie Vogltanz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783945045657
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      »Das Spiel mit dem Feuer ist aus, Osiris«, sagte Seth.

      Der Wolkenbruch hatte unsere Gewänder binnen Sekunden durchnässt und löschte die übrige Glut. Am anderen Ende des Luisenplatzes erhob sich Cherti, sein Gesicht so düster wie die Gewitterwolken über uns. Mit den Hörnern voraus preschte er auf Seth und mich zu. Ich beschwor eine Luftbarriere herauf, die ihn aufhalten sollte – aber mit der von Wut befeuerten Kraft Chertis hatte ich nicht gerechnet. Er brach durch meinen Schutzwall und warf sich gegen mich. Seine Hörner bohrten sich in meine Brust und ich landete hart auf dem zerstörten Steinboden. Schmerzen durchzuckten meinen Leib wie die Blitze über uns.

      Der Unterweltgott streckte seine Hände nach meiner Kehle aus. Doch bevor er zudrücken konnte, wurde er von mir heruntergeschleudert. Ein kühler Luftzug streifte mein Gesicht und ich erblickte Seth, der sich mit zusammengezogenen Augenbrauen über mich beugte und mir wieder auf die Beine half.

      »Nicht schlappmachen, Anubis.«

      Ich keuchte und nahm mir eine Sekunde, um die Wunden in meiner Brust zu beäugen. Sie waren nicht tief, aber die Schmerzen lähmten mich. Ich versuchte, sie abzuschütteln, und konzentrierte mich wieder auf die wild gewordenen Götter.

      »Lass uns kurzen Prozess machen«, drängte Seth. Mordlust glitzerte in seinen Augen.

      »Nein«, gab ich bestimmt zurück und eine Idee überkam mich. »Wir werden sie nicht töten. Wir schicken sie zurück in den ewigen Schlaf.« Ich konnte nur hoffen, dass die Bannsiegel auf den Sarkophagen noch immer ihren Dienst taten,

      Mit all der magischen Kraft, die ich in mir spürte, beschwor ich einen Orkan herauf, der Seths magischen Fähigkeiten alle Ehre machte. Aber ohne ihn würde ich es nicht schaffen.

      »Los, hilf mir!«

      Seth verstand, als ich den Wirbelwind auf die Götter zurasen ließ. Er folgte meinem Beispiel und vereinte seine Kräfte mit meinen. Aus dem Orkan wurde ein Inferno aus Wind und Regen, ein Sturm, den die Welt noch nicht gesehen hatte. Oder zumindest nicht diese Stadt. Blätter flogen von den Bäumen, Mülleimer wurden aus ihren Halterungen gerissen und ihre Inhalte vollführten wilde Tänze in der Luft.

      Osiris und Isis flohen vor dem Tornado, der sie nun jagte, dicht gefolgt von Bastet, die auf allen Vieren davonschoss. Auch Cherti sah ein, dass er mit seinen Hörnern nichts auszurichten vermochte, und schloss sich ihnen an. Unserer gebündelten Kraft würden sie jedoch nicht entkommen.

      Seth lachte.

      »Wir müssen sie zurück zum Museum treiben!«, brüllte ich über das Tosen des Sturms hinweg.

      Der Orkan gehorchte unseren stummen Befehlen und ließ den Fliehenden keine andere Wahl, als genau in die Richtung zu laufen, in der wir sie haben wollten. Wir folgten ihnen und dem magischen Sturm; es dauerte nicht lange, bis das Museum in Sichtweite kam.

      Ich sah zu, wie Isis und Osiris Hand in Hand die Stufen hinaufstürmten, Bastet und Cherti hinterdrein, während der Orkan ihnen jegliche Fluchtmöglichkeit nahm.

      »Los jetzt!«, rief ich und rannte ihnen nach. Seth folgte mir hinein, während der Sturm uns passieren ließ und sich allmählich legte.

      Die vier Götter standen mit gehetzten Gesichtern inmitten der Empfangshalle, wo die Sarkophage nur darauf zu warten schienen, sie wieder in sich aufzunehmen.

      »Es ist vorbei«, sagte ich.

      Osiris knurrte und schleuderte mir einen Feuerball entgegen, aber ich wehrte ihn mit einem unsichtbaren Windstoß ab. Er zerbarst neben mir an der Wand.

      »Was habt ihr vor?«, wollte Isis wehleidig wissen. Sie wandte sich flehend an Seth. »Denk doch noch einmal darüber nach. Du könntest an unserer Seite herrschen.«

      Seth machte ein verächtliches Geräusch. »Nur über meine Leiche.«

      Mit einer herrischen Geste ließ er die Sarkophagdeckel aufschnellen. Ich reagierte sofort und beförderte Osiris mit einer Druckwelle zurück in seine Totenstatt. Seth verschloss den Sarkophag mit einem bösen Lächeln und der Knall hallte von den Wänden wider. Es klang endgültig.

      Isis und Bastet schrien auf, während Cherti noch einmal versuchte, sich uns entgegenzustellen. Aber wir waren zu stark und zu schnell für ihn. Mit vereinten Kräften drängten wir ihn in seinen Sarkophag, wo seine Schreie verstummten. Isis leistete keine Gegenwehr, als meine Magie sie traf. Ein letztes Mal sah sie mich an und wirkte beinahe enttäuscht, bevor sich der Deckel über ihr schloss. Zuletzt sperrten wir auch Bastet unter Fauchen und Kratzen mit unserer unsichtbaren Kraft weg.

      Stille machte sich im Museum breit. Unsere Magie verstummte und wir blieben allein zurück.

      »Es hat tatsächlich funktioniert.« Seth legte sein Ohr auf einen der Särge und lauschte. »Die Bannsiegel auf den Sarkophagen sind wieder aktiv. Bleibt eigentlich nur die Frage: Was hat uns bloß aufgeweckt?«

      »Irgendjemand war wohl zu neugierig und konnte es nicht lassen, mal nachzusehen, ob eine Mumie drinsteckt«, vermutete ich. Im Grunde war es mir egal. Ich war jetzt hier, frei und am Leben. Und die anderen schliefen wieder. Alles in bester Ordnung, wenn es nach mir ging.

      Als wir aus dem Museum traten, hatte sich eine schaulustige Menschentraube auf dem Kopfsteinpflaster versammelt. Unzählige Stimmen flüsterten wild durcheinander und ließen meine spitzen Schakalohren aufgeregt zittern.

      »Was ist das?«

      »Oh mein Gott!«

      »Diese Monster …«

      »Sie haben uns gerettet.«

      Und so geschah es, dass Seth und ich irgendwie zu den Helden Darmstadts wurden. Ausgerechnet. Nun ja, zumindest war Schluss mit den Werwolfgerüchten.

      »Also, was ist?« Seth wischte sich den Staub von den Schultern und sah mich triumphierend an. »Gehen wir ein Bier trinken?«

      Ich musterte den Wüstengott und musste angesichts der absurden Situation laut auflachen. »Schöne neue Welt.«

      Wir wandten uns vom Museum und der Menschenmenge ab und gingen Seite an Seite in Richtung der Goldenen Krone. Ein guter Ort, um unsere ganz eigene Herrschaft zu beginnen.

      Nun, Sterblicher, der du diese Zeilen liest, eine alte ägyptische Weisheit besagt: Lebe den Tag und lass das Chaos im Sarkophag. Ehrlich, habe ich mir nicht ausgedacht.

      ***

      Der Nachtwächter ließ das groteske Tagebuch sinken und nahm die Füße vom Schreibtisch. Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die müden Augen, dann schweifte sein Blick zu der Glasscheibe, die ihn vom großen Museumssaal trennte. Vier prächtige Sarkophage waren dort aufgebahrt. Ob die Götter wirklich darin lagen? Er schluckte schwer.

      Achtlos legte er das Buch beiseite und trat aus dem Büro. Die Särge waren spät am Abend hier abgeliefert worden, noch keine vier Stunden her. Rein zufällig hatte der Nachtwächter das Tagebuch in einer der Kisten gefunden. Es hatte ihn in der letzten Stunde gut unterhalten. Hielt er es anfänglich noch für einen eigenartigen Scherz, so war er sich nun nicht mehr so sicher.

      Nachdenklich runzelte der Nachtwächter die Stirn. Ließ er sich nun tatsächlich von einer derart verrückten Geschichte einschüchtern? Er hatte immerhin keine Schlagzeilen gelesen, die die Schilderungen im Tagebuch bestätigten. Und so etwas Aberwitziges hätte sich doch verbreitet wie ein Lauffeuer, oder?

      »Lächerlich«, murmelte der Nachtwächter und schüttelte den Kopf über seine Gänsehaut.

      Er sah auf und musterte die Sarkophage. Es würde sicher nicht schaden, einen Blick zu riskieren, wenn auch nur, um seine durchdrehende Fantasie zu beruhigen.

      Zögerlich trat er näher. Eine Stimme in seinem Kopf sagte ihm, dass er gerade einen ganz blöden Fehler machte, aber die Neugierde und seine vermeintliche Vernunft siegten. Gleich würde er herausfinden, dass nichts dort drinnen lag. Mumien vielleicht, mehr nicht. Und dann konnte er über sich selbst lachen und zurück auf seinen Posten gehen.

      Als