„Das ist ja skandalös“, ließ Sir Charles sich erneut vernehmen. „Eben las ich in der Times über die Einzelheiten der Eröffnungsfeierlichkeiten. Ehrengast ist natürlich Kaiserin Eugenie, doch auch der Kaiser von Österreich wird erwartet und sogar der russische Thronfolger. Und wir sollen nur durch einen Botschafter vertreten werden? Was für einen Eindruck wird das hinterlassen?“
„Das einzige Bestreben der Königin ist es, den Thronfolger von jeglichen Aufgaben fernzuhalten, die von Bedeutung sind“, erklärte Lord Milthorpe. „Sie möchte, daß er in ihrer Nähe bleibt und ihr ständig zur Verfügung steht. Wenn die Presse, selten genug, etwas Positives über ihn schreibt, zerreißt die Königin den Artikel, darauf verwette ich meinen Kopf.“
„Wer kann es dem Prinzen verübeln, wenn er sich seine Vergnügungen Gott weiß wo sucht?“ fragte Sir Charles.
„Kein Mensch verübelt es ihm!“ beeilte sich Lord Milthorpe seinen Freunden zu versichern.
„Was die Eröffnungsfeierlichkeiten betrifft, so gibt mir die königliche Entscheidung sehr zu denken“, meinte der Herzog nachdenklich.
Er war jünger als seine Freunde, wirkte aber durch die Autorität, die von ihm ausging, älter. Sein ungewöhnlich attraktives Aussehen machte ihn unweigerlich zum Mittelpunkt jeder Gesellschaft, gleichzeitig aber war sein Ruf wieder des Thronfolgers ständig in Gefahr, was ihn jedoch nicht kümmerte.
Der Herzog lebte, wie es ihm gefiel, und da er einer der größten Grundbesitzer des Landes war und einer Familie entstammte, die in der Geschichte Englands stets eine ruhmreiche Rolle gespielt hatte, kam niemand auf den Gedanken, ihm seines Lebenswandels wegen Vorhaltungen zu machen. Er war mit dem Thronerben eng befreundet, betrachtete sich jedoch nicht als Mitglied des sogenannten Marlborough House Set, aus dem einfachen Grund, da das Alveston House Set jenem anderen Kreis Konkurrenz machte.
So hatte sich der Prince of Wales oft darüber beklagt, daß man in Alveston House die schönsten Frauen träfe, daß es dort die besten Soupers, die witzigste Unterhaltung und die aufwendigsten Feste gäbe.
„Verdammt noch mal, Varien“, hatte er wiederholt geäußert, „es kann nicht allein daran liegen, daß Sie sich diese Extravaganzen leisten können! Ich argwöhne, daß Ihr Geschmack den aller anderen übertrifft und daß Sie die originelleren Einfalle haben.“
„Sie schmeicheln mir, Sir“, hatte der Herzog darauf geantwortet.
Seine höflichen Worte wurden von einem zynischen Lächeln begleitet.
Er fand die Vergnügungen des Prinzen, die aus der Langeweile und dem Unmut über die ihm von seiner Mutter auferlegten Zwänge resultierten, viel zu gekünstelt, denn sie ließen jede Originalität vermissen.
„Varien, wissen Sie, was wir sind?“ hatte der Prinz einmal leutselig gefragt. „Wir sind die Könige der Gesellschaft, und da ich Sie ungemein schätze, stört es mich nicht, den Thron mit Ihnen teilen zu müssen.“
Der Herzog hatte daraufhin etwas gemurmelt, daß er sich geschmeichelt fühle. Insgeheim aber hatte er keineswegs die Absicht, irgendetwas mit jemandem zu teilen.
Er wußte, daß er viele Neider hatte und daß eine kleine Geste genügen würde, um sie ergeben zu seinen Füßen zu sehen. Er war so reich, daß er allen Launen nachgeben konnte, und so großzügig, daß es seinen Freunden an nichts fehlte, wenn er ihre Wünsche erriet.
Dabei wirkte er hoheitsvoller, ja, königlicher als der Prince of Wales selbst. Er hatte etwas an sich, das auch jene, die ihn liebten, auf Distanz hielt.
Natürlich gab es auch Frauen in seinem Leben. Sie kamen und gingen. Er brauchte nur einen Ballsaal zu betreten, und die Frauenherzen schlugen höher. Hunderte Augenpaare blickten ihn sehnsüchtig und unmißverständlich auffordernd an.
„Er sieht aus wie ein griechischer Gott“, hatte eine der Schönheiten im Marlborough House ihrer Nachbarin zugeflüstert.
„Wie viele Götter kennst du, meine Liebe?“ hatte die Freundin erwidert.
„Nur einen“, lautete die Antwort, „und den leider nicht so gut, wie ich es wünschte.“
Sir Charles war indessen noch immer bei der Eröffnung des Suezkanals.
„Als ich vor einem Vierteljahr Großfürst Michael von Rußland traf“, erzählte er eben, „vertraute er mir an, er hätte die feste Absicht, der feierlichen Eröffnung beizuwohnen. Also noch ein Mitglied eines regierenden Hauses, das anwesend sein wird.“
„Ich glaube, England hält sich zurück, da es von Anfang an gegen den Bau des Kanals war“, sagte darauf Lord Milthorpe. „Palmerston sprach sich entschieden dagegen aus, und Stratford de Redcliffe unternahm von Beginn an alles, um de Lesseps’ Plan zum Scheitern zu bringen.“
„Ich kann de Lesseps nur bewundern“, bemerkte Sir Charles dazu. „Es waren harte Jahre voller Enttäuschung und Resignation für ihn, ehe die finanziellen Voraussetzungen für den Baubeginn geschaffen waren.“
„Und jetzt ist der Kanal ein fait accomplit,“ stellte Lord Milthorpe fest, „und England ist entschlossen, an de Lesseps’ Triumph nicht teilzunehmen.“
„Ich sehe nicht ein, warum alle Briten zu Hause bleiben sollen“, ließ sich der Herzog plötzlich vernehmen.
„Was schlägst du vor, Varien?“ fragte Sir Charles.
„Ich schlage vor, daß wir das tun, was dem Prinzen untersagt wird.“
„Du meinst, wir sollten uns die Eröffnung nicht entgehen lassen?“
„Natürlich nicht! Warum auch?“
„Ja, warum?“ rief Lord Milthorpe. „Varien, du hast immer schon Gespür dafür bewiesen, was wirklich wichtig ist. Natürlich mußt du hinfahren! Ein Herzog bleibt immer Herzog, und wir wissen, wie vertraut du mit der Kaiserin bist.“
„Varien ist mit jeder schönen Frau ,vertraut, wie du es zu nennen beliebst“, stichelte Sir Charles. „In Paris wimmelt es von gebrochenen Herzen, wenn er sich dort aufhält.“
„Das Herz der Kaiserin bestimmt nicht“, meinte darauf der Herzog. „Sie wird sich freuen, wenn wir für de Lesseps, der eine ihrer Cousinen zur Frau hat, eintreten. Franz Joseph ist meiner Meinung nach zwar ein Langweiler, dafür ist Großfürst Michael umso amüsanter.“
„Dann wirst du also fahren“, rief Lord Milthorpe aufgeregt. „Wenn du mich nicht mitnimmst, Varien, hänge ich mich auf.“
„Das kann ich nicht verantworten“, erwiderte der Herzog lachend. „Somit habe ich keine andere Wahl: Du wirst mich begleiten, George. Laß uns beim Lunch darüber beraten, wer mitfahren soll. An Bord der Jupiter ist genügend Platz für alle unsere guten Freunde.“
„Ach, ich vergaß, daß du eine neue Jacht hast - ein Dampfschiff!“ Lord Milthorpe geriet ins Schwärmen. „Welche Jungfernfahrt wäre schöner als eine Fahrt zum Suezkanal?“
„Der Prinz wird vor Neid erblassen“, rief Sir Charles. „Der Khedive von Ägypten soll glänzende Festlichkeiten planen.“
„Glänzend ist die richtige Bezeichnung für seine Arabischen Nächte“, meinte Lord Milthorpe lächelnd.
„Nun, das wäre also geregelt“, stellte der Herzog mit einem Anflug von Langeweile fest, als finde er die Begeisterung seiner Freunde übertrieben. „Ihr müßt mir nur sagen, wen ihr unbedingt dabeihaben wollt, damit mein Sekretär die Einladungen rechtzeitig verschicken kann.“
Das sagte er in einem Ton, als sei das Thema für ihn damit erledigt, doch Sir Charles meinte nachdenklich: „Varien, mir fallt eben etwas ein ... ich glaube nicht, daß ich mitkommen kann.“
„Aber warum nicht, Charles? Du willst doch nicht behaupten, daß du die Jagd einem Ägyptenaufenthalt vorziehst? Außerdem könnten