»Wahrscheinlich sah ich schlimm aus – und dazu noch der ganze Dreck in der Küche. Uff, ich bin froh, daß es vorbei ist. Leider ist nun der ganze Vormittag hin.«
»Darf ich Sie – als kleine Entschädigung für Ihre große Mühe – zum Essen einladen?« fragte er. Nina schüttelte den Kopf.
»Auf keinen Fall«, gab sie zurück. »Ich habe einen Haufen Arbeit auf meinem Schreibtisch liegen. Ich muß ins Büro. Da geht kein Weg dran vorbei.«
»Dann heute abend?« fragte er hoffnungsvoll.
»Auch dann nicht, tut mir leid«, gab sie freundlich zurück. Sie hatte Amelie versprochen, mit ihr in die Eisdiele zu gehen. »Heute abend bin ich schon verplant.«
»Dann – vielleicht morgen?«
Nina lachte.
»Sie sind aber hartnäckig«, meinte sie und ging zur Tür. Er ging neben ihr und hielt sie ihr auf.
»Ja, das bin ich«, sagte er ernsthaft. »Besonders, wenn mir sehr viel an etwas liegt.«
Er sah sie an, hielt ihren Blick so lange fest, bis sie ihre Augen niederschlug. Sein Blick hatte sie verwirrt, und sie merkte, wie ihr Herz heftig und unregelmäßig schlug. Was war nur mit ihr los?
War sie so ausgehungert nach Zärtlichkeit und Zuneigung, daß sie ein eindringlicher, interessierter Blick, eine Einladung zum Essen aus der Fassung zu bringen vermochte? Und – war es nicht seltsam, daß innerhalb weniger Stunden gleich zwei Männer ein auffallendes Interesse an ihr zeigten – einmal Friedhelm Brückner und nun sein Cousin? Sie holte tief Luft.
Er war wirklich nett, der junge Mann, aber…
Es gab so viele Wenn und Aber. Sie lebte allein mit ihrem Kind und hatte sich damit abgefunden. Sie hatte ihr Leben im Griff, hatte bis jetzt ruhig und friedlich gelebt. Warum sollte sie ihren inneren Frieden aufs Spiel setzen? Ihre Tage verliefen ohne Höhen und Tiefen, ohne größere Sorgen und Kummer – aber eben leider auch ohne Liebe und Zärtlichkeit.
Sie sah ihn an. Ihre goldbraunen Augen schimmerten, und ihre Lippen waren voll und rosig. Er mußte an sich halten, um nicht die Hand auszustrecken und mit den Fingerspitzen die sanften Bögen ihrer Lippen nachzufahren.
»Also, wie ist es?« drängte er. »Darf ich hoffen, daß Sie und ich…«
»Vielleicht«, sagte sie ausweichend und wiederholte: »Vielleicht.«
Als sie den enttäuschten Ausdruck auf seinem Gesicht sah, fügte sie schnell hinzu:
»Wir sehen uns bestimmt irgendwann einmal. Wir wohnen ja nun im gleichen Haus.«
Sie huschte eilends davon, und er sah ihr nach. Erst, als sie in ihrer Wohnung stand und die Tür hinter ihr ins Schloß gefallen war, fiel ihr ein, daß sie nicht einmal wußte, wie er eigentlich hieß.
*
»Vergiß nicht, Liebling, wir sind heute abend bei Direktor Helmbrecht eingeladen!« rief Yvonne Tiefenberg ihrem Mann nach, der gerade seinen Mantel aus der Garderobe holte. Er sah kurz zu ihr hoch, wie sie sich über das Treppengeländer aus kunstvoll verziertem Messing lehnte. Sie sah fabelhaft aus in ihrer elegant geschnittenen Reitjacke und den hautengen Reithosen mit Lederbesatz, aber Ulf verschwendete keinen weiteren Blick auf sie. Die große, himmelstürmende Liebe zwischen ihnen war abgekühlt, die Anziehungskraft, die sie früher auf ihn ausgeübt hatte, verschwunden – und er wußte selber nicht, wieso.
Ihre Ehe war trotzdem nicht gerade schlecht. Sie bildeten ein recht harmonisches Paar, hatten viele gemeinsame Interessen. Yvonne war eine glänzende Gastgeberin, verstand es, Gesellschaften zu geben und die interessantesten Leute in ihr Haus zu bitten. Sie waren überall gern gesehen und wurden häufig eingeladen. Sie waren ständig beschäftigt, ständig unterwegs zu Cocktailpartys, zu Gesellschaften, zu Konzerten, Theaterpremieren, Vernissagen – kurz überall dort, wo man gesehen wurde und gesehen werden mußte.
»Schon wieder?« rief er zu ihr hinauf. »Könnten wir nicht einmal einen Abend zu Hause bleiben?«
»Nein, können wir nicht. Direktor Helmbrecht ist ein wichtiger Mann«, rief zu zurück. »Seine Frau ist zwar eine dumme Pute, aber er kann uns nützlich sein. Also, vergiß es nicht, um acht Uhr sollen wir dort sein. Komm bitte pünktlich nach Hause. Die Blumen für seine Frau besorge ich…«
Ulf seufzte. Es gab keinen Augenblick der Ruhe, immer wurde etwas geplant. Sie waren mehr als beschäftigt, ständig unterwegs – und doch fehlte etwas. Es war eine gewisse Inhaltslosigkeit in ihrer Beziehung, eine gewisse Leere, die auch die hektischste Betriebsamkeit nicht füllen konnte.
Auch wenn er es nicht wahrhaben, es sich nicht eingestehen wollte, so wußte Ulf doch, woran es zum großen Teil lag: Sie hatten keine Kinder. Kinder, die ihrem Leben einen Sinn, ihren Tagen die Erfüllung geben, die sie in Atem halten, die sie beschäftigen, die ihnen Freude und auch Sorgen bereiten konnten.
Er steckte den Schlüssel in das Schloß seines schicken Sportwagens und ließ sich in die schwarzen Lederpolster fallen. Fast lautlos schnurrte der Motor, als er anfuhr, und das schmiedeeiserne Tor, das den Zugang zu ihrer Villa verschloß, öffnete sich durch einen unsichtbaren Sensor wie von selbst.
Yvonne hatte von ihrer Mutter ein nettes Vermögen geerbt, er war inzwischen Professor, hatte eine hochdotierte Stellung und durch den Einfluß seines Schwiegervaters Sitze in vielen Aufsichtsräten, die Ansehen und Geld brachten. So konnten sie sich alles leisten, was das Herz begehrt – schicke, teure Autos, eine herrschaftliche Villa in der besten Gegend der Stadt mit einem wunderbar angelegten Park. Sie hatten kostbare Möbel, erlesene Antiquitäten, wertvolle Teppiche, unschätzbare Bilder und Dienstboten, die ihnen die Arbeit abnahmen. Sie verbrachten ihre Urlaube in schicken Golfhotels in der Karibik oder in Schottland, sie hatten Reitpferde und einen eigens für sie angelegten Tennisplatz sowie einen Swimming-pool.
Ulf war sich im klaren darüber, daß dieser Wohlstand nicht von ungefähr kam. Er hatte ihn – zum größten Teil – seiner Frau Yvonne und ihrem Vater zu verdanken. Yvonnes Vater hatte ihn gefördert und ihn durch seine Fürsprache in kürzester Zeit in Wissenschaftskreisen zu dem gemacht, was er heute war. Er hatte nicht nur eine Professur, sondern auch einträgliche Verträge mit verschiedenen pharmazeutischen Betrieben. Er, der junge, ehrgeizige Arzt, hatte es zu etwas gebracht, er war wohlhabend und konnte sich Dinge leisten, von denen er früher nicht einmal geträumt hatte. Yvonne hatte ein eigenes, beträchtliches Vermögen, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Mit ihren vielen Beziehungen, ihrem gesellschaftlichen Talent hatte sie ihm viele Türen geöffnet, die ihm sonst verschlossen geblieben wären.
Es hätte alles so ideal sein können, aber – das wußte er in seinem tiefsten Herzen – das war es eben nicht. Sie hatten alles, konnten sich alles gönnen, brauchten sich keinen Wunsch zu versagen. Und trotzdem wäre es ihm lieber gewesen, sie hätten etwas bescheidener gelebt und dafür ein Haus voller Kinderlachen gehabt.
In dem ersten Jahr ihrer Ehe hatten sie das Hauptaugenmerk auf seine Karriere gelegt und keinen Gedanken an Kinder verschwendet. Später dann hatte Yvonne sich strikt geweigert, jetzt schon ein Kind zu bekommen. Sie wollte das Leben genießen. Auch hatte der Gedanke an Schwangerschaft und Geburt für sie etwas Abstoßendes. Doch später, als Yvonnes Freundinnen alle Babys bekommen hatten, da hätte sie nun auch gerne eins gehabt. Sie war todunglücklich, weil es nicht mehr klappen wollte. Sie, die stolz darauf war, daß sie immer alles bekam, was sie wollte, immer alles erreichte, was sie sich vornahm, wurde wohl zum ersten Mal in ihrem Leben enttäuscht. Damit konnte sie nicht umgehen. Sie fühlte sich ausgeschlossen und vom Schicksal benachteiligt. Von Arzt zu Arzt waren sie gelaufen, hatten alle möglichen Untersuchungen über sich ergehen lassen, aber der Kindersegen wollte sich nicht einstellen. Insgeheim gab jeder dem anderen die Schuld, insgeheim hegte jeder deswegen einen Groll auf den anderen, und das war auch nicht gerade förderlich für ein harmonisches Zusammenleben der beiden. Wenn es – was öfters vorkam – Streit zwischen ihnen gab, dann brachte Yvonne es sogar fertig, Ulf, um ihn zu verletzen,