Außerordentlich mannichfaltig sind die örtlichen Cultusformen, sowohl hinsichtlich ihrer weiten Ausbreitung die sich über die ganze alte Welt erstreckte, als deswegen weil sie die Natur und das menschliche Leben in den verschiedensten Richtungen und Beziehungen berühren. Und dabei stellt diese Religion sich im Ganzen angesehen fast wie ein eignes System von Symbolen und Glaubensformen dar, mit einer gewissen hierarchischen und theokratischen Haltung, wie das Apollinische Institut z. B. in Delphi im Besitze eines ansehnlichen Gebietes war und von priesterlichen Collegien verwaltet wurde, bedient von zahlreichen Tempelsklaven, die als Zehnte überwundener Völker dahin geweiht zu werden pflegten und von denen eigne Colonieen ausgesendet wurden. Fragen wir nach ihrem Ursprunge, so ist die Ansicht wohl gänzlich aufzugeben daß der Apollodienst im nördlichen Griechenland entsprungen und erst mit den Doriern und durch dieselben verbreitet worden sei. Eher dürfte sich das Umgekehrte behaupten lassen, daß der Ursprung ein südlicher und östlicher war und daß die Wiege dieser Religion bei jener ältesten Bevölkerung des ältesten Kleinasiens und der griechischen Küsten und Inseln zu suchen sei, die uns unter vielen verschiedenen Namen begegnet. Am besten wird man drei Gruppen der Apollinischen Dienste unterscheiden: 1) Die der vorhellenischen Zeit, wo diese Religion ganz besonders an den Küsten und auf den Inseln des aegaeischen Meeres von Kleinasien bis nach Kreta verbreitet war. Dahin gehören die zahlreichen Dienste an der ganzen westlichen, später von den Griechen colonisirten Küste Kleinasiens, von Troas und den Inseln Tenedos und Lesbos bis Knidos mit dem triopischen Vorgebirge und Rhodos, ferner die Culte und Sagen von Lykien, wo Apoll der eigentliche Nationalgott war. Aber auch Kreta muß ein sehr alter Mittelpunkt dieser Religion gewesen sein, da sowohl die Traditionen von Lykien als die von Delos und Delphi hier anknüpfen. Endlich weisen andere Verzweigungen dieser alten Lichtreligion nach Athen, nach Theben, nach Argos, nach Amyklae und Messenien. 2) Die attisch-ionischen Dienste, die ihren religiösen Mittelpunkt frühzeitig in Delos fanden524. Dahin gehört außer den Kykladen der attische Apoll, welcher als Vater des Ion durchaus ionischer Stammgott war und als solcher unter dem Beinamen πατρῶος verehrt wurde. Auch Apoll und Artemis auf Euboea gehörten dahin, besonders der Apollodienst von Chalkis, welcher sich von dort über die thrakische Chalkidike verbreitet hatte. Ferner die ionischen Pflanzstädte in Asien, welche nun jene älteren Stiftungen der Apollinischen Religion mit hellenischem Geiste pflegten und ausbildeten, vorzüglich Milet mit seinem Heiligthum des Didymaeischen und Kolophon mit dem des Klarischen Apoll. Endlich 3) der von der Stadt Krisa begründete und lange Zeit von ihr abhängige, später unter die Aufsicht des Bundes der Amphiktyonen gestellte Dienst von Delphi und der der nördlichen Stämme, durch Thessalien bis in die Gegenden des Olymp, wo das schöne Tempethal mit seinen Lorbeerhainen ein alter und wichtiger Mittelpunkt der Apollinischen Religion für Thessalien und Makedonien war525. Für diesen ganzen griechischen Norden ist der pythische Dienst von Delphi sehr früh ein Anlaß zu Fest- und Stammesvereinigungen geworden, daher man durch die ganze Gegend, besonders an der heiligen Straße die vom Olymp nach Delphi führte, eine Menge Apollinischer Stiftungen findet. Das hervorragendste Glied dieser Verbündung wurden die Dorier, welche nach ihrer Eroberung des Peloponnes die alte Anhänglichkeit für Delphi bewahrten, aber sich zugleich die älteren peloponnesischen Religionen, namentlich den Dienst zu Amyklae aneigneten. Aber auch die attisch-ionische Bundesgenossenschaft bekannte sich früh zu Delphi, so daß man auf den heiligen Straßen von Athen und von Euboea eben so eifrig dahin wallfahrtete wie vom Olymp und aus dem Peloponnes, daher dieser Ort immer mehr zum Mittelpunkte der gesammten Apollinischen Religion geworden ist. Dazu kamen die zahlreichen Filialdienste und Colonien, welche von dort unter Apollinischer Hoheit in alle Welt, besonders nach Akarnanien und Italien ausgesendet wurden. In jenen Gegenden am ionischen Meer waren die Dienste auf der Insel Leukas und zu Ambrakia, in Italien die zu Kroton und Metapont die Mittelpunkte dieser weit verbreiteten Beziehungen zu den pythischen Heiligthümern.
Suchen wir die zahlreichen Formen in denen der Apollinische Dienst vorkommt auf gewisse Reihen zurückzuführen, so ist einer der ältesten der des lykischen Apoll. Daß er auch am Ida der vorherrschende war beweist das Volk der Λύκιοι und die Landschaft Λυκία, deren Führer in der Ilias Pandaros ist, der Apollinische Bogenschütze, der Sohn des Lykaon und Verehrer des Apollon Λυκηγενής526. Und auch der zu Thymbra auf troischem Gebiet verehrte Apoll, wo Kassandra die Weissagung lernte und Achill durch Paris fiel, Laokoon Priester war, war eigentlich Λύκειος, wie der von Chryse527, obgleich der vorherrschende Cultusname dieser Gegenden der des Ap. Σμινϑεύς war d. i. der Gott welcher die Aecker gegen die verderbliche Plage der Feldmäuse schützte; eine Verehrung welche auch in Rhodos heimisch war und dort sogar zu der Benennung des Monates Sminthios geführt hatte, während die Aeoler in Asien als Schutz gegen die Heuschrecken einen Apollo Πορνοπίων und einen danach benannten Monat hatten528. Ferner ist der Name der bekannten Landschaft Kleinasiens Lykien gleichfalls von diesem alten Apollinischen Cultusnamen abzuleiten, da das Volk ursprünglich Termilen geheißen hatte, wie der Dienst des lykischen Apoll denn seit mythischer Vorzeit im Xanthosthale einheimisch war529. Derselbe Cultus war aber auch in Attika verbreitet, wie das Λύκειον bei Athen und die Sage von Lykos dem Pandioniden beweist530, auch in Argos wo Danaos für den Stifter dieses Dienstes galt, ferner in Sikyon, in Troezen, in Theben und in Delphi. Der Name Λύκιος Λυκηγενής mag ursprünglich den Gott des Lichtes (λύξ, lux) bedeutet haben531, doch wird er gewöhnlich von dem Symbole des Wolfes (λύκος) abgeleitet, welches diesem Gottesdienste wie dem des lykaeischen Zeus in Arkadien eigenthümlich war und sowohl in den lykischen als in den attischen und argivischen Legenden und Sinnbildern, endlich in den Ueberlieferungen von Delphi in verschiedner Anwendung hervortritt. Und zwar scheint das scheue und gefräßige Thier des Waldes und des Winters auch in diesem Ideenzusammenhange eine der lichten Gewalt des Apollo widerstrebende Macht des Winters, der gefräßigen Pest und anderer Plagen bedeutet zu haben, welche Apollo in siegreicher Majestät vertreibt und abwehrt532. Indessen hatte es, wie die meisten Ortslegenden beweisen, vorherrschend die Bedeutung eines scheuen Flüchtigen angenommen533, welcher bei Apollo als dem Schutzgotte der Flüchtigen und Bittenden (φύξιος)