Endlich die Gruppe der kretischen und kleinasiatischen Zeusdienste, welche sich als zusammengehörige dadurch zu erkennen gehen daß sie vornehmlich die Geburt des Zeus durch die idaeische Bergmutter Rhea feiern, deren Cultus denselben Gegenden gemeinsam war. Namentlich galt auf Kreta die Geburt des Zeus für eine Hauptsache des einheimischen Götterglaubens224. Und zwar waren es verschiedene Stätten des kretischen Gebirgs, welche auf die Ehre dem höchsten Gott das Leben gegeben zu haben Anspruch machten, bis sich die widerstrebenden Ansprüche später in einer fortlaufenden Jugend- und Lebensgeschichte des mehr als irgendwo menschlich erscheinenden Gottes ausglichen. So weiß Hesiod th. 468 ff., der älteste Zeuge für diese kretischen Legenden, daß Rhea in dunkler Nacht von ihrer Mutter Gaea nach Lyktos auf Kreta geführt und das neugeborne Kind in einer verborgenen Höhle des dortigen Waldgebirgs versteckt worden sei225, aus Angst vor den Nachstellungen des Kronos, welchem anstatt des Kindes der bekannte Stein gegeben wird. Dahingegen die späteren Dichter und Schriftsteller bald das Gebirge Dikte bei Praesos226 bald das Gebirge Ida und eine dortige Höhle, die berühmte idaeische Höhle (ἰδαῖον ἄντρον), als die Stätte der Geburt des Zeus nennen227, bis die letztere allgemein wenigstens für die der Pflege seiner Jugend und für die seines Grabes gehalten wurde; denn auch von dem Tode des Zeus erzählte man bekanntlich auf Kreta228, wie sonst von dem des Dionysos Zagreus, dessen Cultus sich überhaupt mit dem dieses gebornen und verstorbenen Zeus in verschiedenen Punkten berührte. Am meisten aber beschäftigte sich die Sage mit den Umgebungen seiner zarten Jahre, theils zur Pflege theils zum Schutze derselben, zu welchem Zwecke sich die Thiere des Gebirgs mit dessen Nymphen und Dämonen verbinden. Namentlich wurden Milch und Honig als die erste Nahrung des Götterkindes genannt. Diesen spenden die Bienen der idaeischen Höhle, von denen man allerlei Wunderbares erzählte229, jene die später an den Himmel versetzte Ziege Amalthea230. Oder es ward ein König Melisseus genannt, dessen Töchter Amalthea und Melissa das Zeuskind mit Ziegenmilch und Honig genährt hätten und von denen Melissa von ihrem Vater zur ersten Priesterin der Großen Mutter erhoben worden sei231. Oder man erzählte von heiligen Tauben welche Ambrosia von den Strömungen des Okeanos herbeigetragen, und von einem großen Adler der mit seinem Schnabel Nektar aus dem Felsen geschlürft und damit den kleinen Zeus getränkt hätte232, während zu den erziehenden Nymphen später noch Adrastea und Ida hinzutreten233, welche eigentlich nach Kleinasien gehören. Endlich die Schutzwache des Kindes gegen die Nachstellungen des Kronos bildeten die Kureten d. h. Dämonen des Gebirgs, welche eben so wesentlich zum Culte der kretischen Rhea gehörten wie die Korybanten zu dem der phrygischen Kybele. Der Volksglaube dachte sie sich als jugendliche Pyrrhichisten, in welcher Weise sie auch dargestellt wurden234, d. h. als bewaffnete Tänzer welche durch das Getöse ihrer ehernen Waffen, indem sie mit den Schwerdtern auf die Schilde schlagen, das Geschrei des neugebornen Kindes übertäuben, damit es von dem grausamen Vater nicht gehört werde; wahrscheinlich weil man einem solchen Getöse von Waffen oder ehernen Becken einen schützenden Einfluß gegen die Gefahren unheimlicher Mächte des Himmels zuschrieb, daher ähnliche Gebräuche beim Aufgange des Sirios d. h. dem Anbruch der Hundstage und bei Mondfinsternissen beobachtet wurden235. Also eine dämonische Wache des Zeus und männliche Pfleger seiner Jugend, daher sie auch für seine ersten Verehrer galten und bei dem mystischen Gottesdienste des idaeischen Zeus in seiner Höhle, wie bei dem des Zeus und der Rhea zu Knosos auf mehr als eine Weise betheiligt waren236 und die kretische Landessage viel beschäftigten. Diese erzählte vom Zeus dann weiter wie er mit Kronos gekämpft und ihn bezwungen habe, auch von einer Gigantomachie, der Vermählung mit der Hera, der Geburt der Athena u. s. w., denn es lag in der Natur solcher Gottesdienste daß sie sich soviel als möglich den ganzen Sagenkreis der späteren Tradition anzueignen suchten237. Bis er zuletzt auf Kreta auch gestorben sei, was man durch sein Grab bewies, worauf sich wieder die Euhemeristen für ihre Meinung beriefen daß die Götter eigentlich Menschen gewesen seien. Und doch ist dieses Sterben des Zeus nichts weiter als ein starker Ausdruck derselben Affectionen des Himmelsgottes, welche der arkadische und attische Cultus und die anderer Gegenden in milderen Bildern andeuteten238. Auch ist anzunehmen daß jener Gegensatz von Geburt und Tod des Zeus sich auf Kreta in entsprechenden Gebräuchen einer Frühlings- und einer winterlichen Feier oder einer Feier im heißen Sommer darstellte, wie wir namentlich durch Euripides von schwermüthigen Gebräuchen wissen die sich auf den Tod des Zeus bezogen und diesen Gott zugleich als einen himmlischen und als einen unterirdischen feierten239. – Außerdem wurde Zeus auf dieser ihm ganz ergebenen Insel aber auch in andern Gegenden unter verschiedenen Beinamen verehrt, welche bald gewissen Bergen und örtlichen Eigenthümlichkeiten entlehnt sind bald auf siderische Beziehungen deuten. Die letzteren scheinen mit demselben Einfluß phoenicischer Culturelemente zusammenzuhängen, der sich auch in den Sagen von der Europa, vom Minos und Minotauros, vom Talos u. s. w. deutlich genug zu erkennen giebt. So wurde in Gortys ein Zeus Ἀστέριος d. h. als Herr des gestirnten Himmels und der Sonne verehrt, auf den wir bei diesen Sagen zurückkommen werden. Ferner gab es zu Phaestos einen Zeus Γελχανός, den die Münzen der Stadt jugendlich und unbärtig darstellen, unter Gebüsch und Pflanzen auf einem Baumstamme sitzend, auf seinem Schooße ein Hahn, das Symbol des frühen Morgens, auf dem Rev. der aus jenen Sagen bekannte Sonnenstier; endlich in andern Gegenden einen mehrfach erwähnten Zeus Ταλλαῖος, welcher vermuthlich wie jener den oft als Zeus verehrten Sonnengott bedeutete240.
Fußnote
184 Vgl. Grimm D. M. 175, meine Röm. Myth. 45. 165, Bopp. vergl. Gramm. 1, 253 § 122, Accentuations. 257, G. Curtius Grundz. 1, 201 n. 269.
185 Herodian π. μον. λεξ. p. 6 (Eustath. Od. p. 1387, 27) ὅτι δὲ ποικίλως εἴρηται ὑπὸ παλαιῶν ὁ ϑεὸς οὐκ ἀγνοῶ· καὶ γὰρ Δὶς καὶ Ζὴν καὶ Ζὰν καὶ Ζὰς καὶ Ζὴς παρὰ Φερεκύδη κατὰ κίνησίν τινα, ὑπὸ Βοιωτῶν καὶ Δεὺς καὶ Δάν. Von Δὶς bildete man Δίες Διῶν Δισί, von Ζὴν und Ζὰν Ζηνὸς Ζανός, von Ζὰς Ζαντός. Δεὺς ist boeotisch nach Arist. Ach. 911, lakonisch nach Anecd. Oxon. 4, 325, 24. Zu Δὴν vgl. den Eid der kretischen Stadt Dreros: ὀμνύω τὰν Ἑστίαν τὰν ἐμ πρυτανείω καὶ τὸν Δῆνα τὸν ἀγοραῖον καὶ τὸν Δῆνα τὸν Ταλλαῖον u. s. w. Das ζ in den Formen Ζεὺς Ζὴν u. s. w. entspricht dem lat. j oder di (Diovis, Iu-piter) wie ζύγον dem lat. jugum, Ζόννυξος aeol. für Διόνυσος, ζορκὰς für δορκάς,