Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr. Franz Werfel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Werfel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075835550
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Tatendurst der Rotte schon gestillt. Das große Haus Awetis Bagradians des Alten mit seinen dicken Mauern, kühlen Gemächern, lärmschluckenden Teppichen und fremdartigen Dingen ringsum übte zweifellos auf die Türken einen roheitsdämpfenden Einfluß aus. Die roten Fenstervorhänge des Selamliks waren herabgelassen, und die Eindringlinge sahen sich im kostbaren Halbdunkel dieses Raumes einer Gesellschaft von europäischen Damen und Herren gegenüber, die von ihren Dienern ehrfürchtig umgeben standen. Steif aufgerichtet warteten die Herrschaften regungslos. Juliette umkrampfte Stephans Hand. Nur Gonzague zündete sich eine Zigarette an. Gabriel Bagradian trat der Kommission einen Schritt entgegen, nach Offiziersvorschrift mit der linken Hand den Säbel raffend. Die Felduniform, die er sich in Beirût vor seiner Abreise hatte anfertigen lassen, hob seine Gestalt. Er war nicht nur der körperlichen Größe nach, sondern in seiner ganzen Erscheinung die ranghöchste Persönlichkeit an diesem Ort. Gonzague schien sich getäuscht zu haben. Bagradians militärisches Auftreten verfehlte die Wirkung nicht. Unsicher musterte der Polizeihauptmann den Offizier mit den Kriegsauszeichnungen. Was hatte das zu bedeuten? Das furchterregende Auge wurde trübe und das verschwollene schloß sich ganz. Auch der sommersprossige Müdir schien sich in seiner Rolle nicht besonders wohl zu fühlen. In den dumpfen Stuben der Holzschnitzer und Seidenweber die unerreichbare Aufsichtsgottheit zu spielen, das war ihm viel leichter gefallen. Hier aber, in dieser kultivierten Umgebung, kamen dem jungen Mann aus Salonik die leidigen Nerven in die Quere. Anstatt als Vertreter Ittihads und des Staates dieses Haus der verfluchten Rasse mit erbarmungslosem Tritt in Besitz zu nehmen, verbeugte er sich und griff an den Fez. Dabei kam die Unterredung, die er in seiner Kanzlei mit Bagradian geführt hatte, ihm unbehaglich zu Bewußtsein. Durch diese moralische Anfälligkeit versäumte er Zeit und fand den richtigen Anfang nicht. Gabriel Bagradian faßte ihn mit solch verächtlichem Ernst ins Auge, daß sich das Spiel zu verkehren drohte und ein hochgewachsen kriegerisches Armenien einem rothaarigen, verdrückten und schlechtrassigen Osmanentum gegenüberstand. Bagradian schien immer größer zu werden, und der Müdir litt unter seiner minderwertigen Gestalt, die das Heldenwesen seines Stammes so ungenügend verkörperte. Es blieb ihm schließlich nichts andres übrig, als ein großes Amtspapier aus der Tasche zu ziehen, sich daran gewissermaßen festzuhalten und seine Sache mit möglichster Schärfe herunterzurasseln:

      »Gabriel Bagradian, in Yoghonoluk gebürtig! Sie sind Besitzer dieses Hauses und Familienvorstand. Als ottomanischer Staatsbürger unterstehen Sie den Befehlen und Verordnungen des Kaimakams von Antiochia. Gleich der übrigen Bevölkerung der Nahijeh von Suedja am Musa Dagh werden Sie an einem der nächsten Tage, der noch zu bestimmen ist, nach dem Osten abgehen und Ihre gesamte Familie mit Ihnen. Ein Recht des Einspruchs irgendwelcher Art gegen die allgemeine Maßregel der Verschickung steht Ihnen nicht zu, nicht für Ihre Person, nicht für die Person Ihrer Frau, Ihres Kindes, noch für irgendeinen anderen Angehörigen Ihres Hauses ...«

      Der Müdir, der so tat, als lese er die Formel ab, schielte nun über das Blatt hinweg:

      »Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihr Name unter den politisch Verdächtigen eigens geführt wird. Sie sind der Daschnakzanpartei nahegestanden. Daher werden Sie auch während des Transportes täglich einer scharfen Kontrolle unterzogen werden. Jeglicher Fluchtversuch, jede Auflehnung gegen die Regierungsbefehle und die ausführenden Organe, jede Übertretung der Transportordnung wird nicht nur Ihren sofortigen Tod, sondern auch die unmittelbare Hinrichtung Ihrer Angehörigen zur Folge haben.«

      Gabriel machte ein Zeichen, als wolle er antworten. Der Müdir aber ließ ihn nicht reden. Die verwickelte Amtssprache – so entgegengesetzt der Blumigkeit orientalischer Zunge – schien ihm ein schwelgerisches Vergnügen zu bereiten:

      »Laut zusätzlicher Verfügung Seiner Exzellenz, des Wali von Aleppo, ist es den Verschickten nicht gestattet, nach eigenem Ermessen Fuhrwerk, Last- und Reittiere zu verwenden. In berücksichtigungswerten Fällen kann ich die Benützung eines landesüblichen Karrens oder eines Esels für Schwache und Kranke zulassen. Erheben Sie auf diese Vergünstigung Anspruch?«

      Gabriel drückte den Säbelkorb fest an die Hüfte. Wie Steine fielen die Worte aus seinem Mund:

      »Ich werde den Weg unsres Volkes gehen

      Der Müdir hatte indessen sein anfängliches Unbehagen vollständig überwunden. Er konnte schon den Ton wohlwollender Besorgnis in seine Worte legen:

      »Damit Sie nicht in die gefährliche Versuchung geraten, sich vorher wegzubegeben oder später abzusondern, belege ich Ihren Wagen, Ihre Pferde und anderen Reittiere sofort mit Beschlag.«

      Was weiter geschah, war das Übliche, wenn auch anfangs in gebändigten Formen. Der Polizeivogt, der noch immer nicht wußte, was er mit Uniform, Säbel und Orden dieses Ausrottungsobjektes anzufangen habe, stellte knurrend die Waffenfrage. Gabriel ließ durch Kristaphor und Missak die langläufigen Beduinenflinten hereintragen, die als altertümliche Dekorationen in der Treppenhalle hingen. (Ein abgekartetes Spiel natürlich, da sich sämtliche brauchbaren Gewehre des Hauses bereits auf dem Damlajik befanden.) Hohnlachen zischte aus dem Mund des Polizeihauptmanns wie aus einem überheizten Kessel. Der Müdir beklopfte nachsichtig die romantischen Büchsen:

      »Sie werden doch nicht behaupten wollen, Effendi, daß Sie in dieser Einsamkeit hier ohne Waffen leben?«

      Gabriel Bagradian suchte den wimperlosen Blick des Müdirs und hielt ihn fest:

      »Warum denn nicht? Seitdem dieses Haus steht, seit dem Jahre 1870 also, wird heute zum erstenmal ein Einbruch verübt.«

      Der Sommersprossige zuckte bedauernd mit den Achseln, als könne er bei solchem Eigensinn leider nichts mehr für Bagradian tun und sei gezwungen, den schärferen Amtshandlungen der bewaffneten Macht das Feld zu räumen. Haussuchung nach Waffen: Der Muafin krempelte gewissermaßen seine Ärmel auf, obgleich die Offiziersuniform des rechtlosen Armeniers seinen Feldwebelgeist mit unruhig-zornigen Fragen noch immer verwirrte. Das starre rechte Auge kam von den Medaillen auf Bagradians Brust nicht los, die auf eine lobenswürdige Kriegsdienstleistung schließen ließen. Es war ihm ganz und gar nicht erfindlich, wie diese Verschickungsnummer von kaiserlich ottomanischem Gagistenrang zu behandeln sei. Um seine unmutigen Zweifel zu verbergen, führte er die Haussuchung mit großem Gepolter durch. Er stapfte mit den Saptiehs voran, dicht hinter ihnen ging der Müdir wie ein Unbeteiligter, Gabriel, Awakian und Kristaphor folgten. Die Türken krochen in jeden Winkel, klopften die Mauern ab, warfen die Möbel um und zerbrachen alles, was zerbrechlich war. Man merkte ihnen aber an, daß dieser nur nebenbei und wie aus Versehen geübte Vandalismus ihren Stolz beleidigte. Sie waren an ganze und offene Arbeit gewöhnt. Im Keller zerschlugen sie nur im Vorübergehen und ohne rechtes Temperament mit ihren Gewehrkolben die Weinkrüge, die Ölbehälter und was an Flaschen, Töpfen, Schüsseln, Häfen zu finden war. Die wichtigsten Vorrats- und Lebensmittel waren schon an sicherer Stätte. Die enttäuschten Saptiehs hatten in diesem Palast einen reicheren Keller erwartet. Da sich nichts anderes fand, nahmen sie ein paar leere Petroleumkannen mit, denn der Orientale hegt für diese Blechgefäße eine sonderbare Vorliebe. Nachher erstürmte die Kriegsschar, die einen sauren Schweißdunst verströmte, die Treppe zum Oberstock. Hier war es vor allem Juliettens Schlaf- und Ankleidezimmer, dessen Duft die Türken schon von ferne so mächtig anzog, daß sie darüber die anderen Räume vergaßen. Der große Kleiderschrank wurde aufgerissen. Braune Schmutzfäuste rissen die Pariser Modelle vom vorigen Jahr heraus, zartsinnige Blüten von Kleidern, die nun in zerknüllten Bündeln und Schlangen auf dem Boden lagen. Ein besonders düsterer Gendarm trat auf ihnen in stierem Gleichtakt herum, als wolle er diese süßen Reptilien Europas in den Grund stampfen. Nicht anders erging es den Schlafgewändern, Batisthemden, Spitzen und Strümpfen. Beim Anblick dieser Frauenwäsche konnte sich der Polizeivogt nicht beherrschen. Er schöpfte mit beiden Händen aus dem weißen und rosenroten Gischt und wühlte sein Nußknackergesicht hinein. Der Müdir trat zum Zeichen dessen, daß die bürgerliche mit der waffentragenden Macht nichts zu tun habe, träumerisch ans Fenster, um den Garten zu betrachten. Ein überaus eifriger Saptieh hatte sich aufs unberührte Bett geworfen und zerriß, da es nicht anders ging, mit den Zähnen die Seide des Kopfkissens. Vielleicht verbarg sich doch eine Bombe im dicken Innern der Polster. Von armenischen Bomben hörte man ja immer wieder. Ein andrer hieb mit seinem Knüppel über den Toilettentisch. Aufschreiend sprangen die Kristallflaschen, Schalen, Büchsen und Dosen