»Alles in allem«, fuhr Herr von Norpois, an meinen Vater gewandt, fort, »hat Vaugoubert sich da einen schönen Erfolg erarbeitet, der seine Berechnungen weit übertraf. Er war auf einen korrekten Toast gefaßt gewesen (und nach den Wetterwolken über den letzten Jahren war das schon allerlei), aber auf mehr auch nicht. Mehrere Personen, die dem Diner beiwohnten, haben mir versichert, daß man sich beim Lesen des Toastes keine Vorstellung machen kann von dem Eindruck, den er hervorrief, so gut brachte der König, dieser Meister des gesprochenen Wortes, jede Einzelheit zur Geltung, so geschickt unterstrich er nebenher jede feinere Anspielung und Schattierung. Ich habe mir da ein pikantes Detail erzählen lassen, das die jugendliche Anmut, die dem König Theodosius alle Herzen gewinnt, wieder einmal hervorhebt. Just bei dem Worte »Wahlverwandtschaften«, so hat man mir versichert, also bei der großen Neuheit der Rede, die, wie Sie sehen werden, noch auf lange Zeit die Kanzleien mit Stoff zu Kommentaren versorgen wird, habe der König in der Voraussicht von der Freude unseres Botschafters, der hierin die gerechte Krönung seiner Bemühungen, ja man könnte sagen, seiner Träume erblicken, hierin geradezu seinen Marschallstab finden mußte, sich halb zu Vaugoubert gewandt, den bannenden Blick der Öttinger auf ihn gerichtet und das trefflich gewählte Wort »Wahlverwandtschaften«, diesen Glücksfund, in einem Tone ausgesprochen, an dem alle merkten, daß es mit Vorbedacht und in genauer Sachkenntnis geschah. Vaugoubert scheint es nicht leicht geworden zu sein, seine Erregung zu meistern, und da kann ich ihn bis zu einem gewissen Grade verstehen. Eine durchaus glaubwürdige Person hat mir sogar anvertraut, Seine Majestät habe sich, als sie nach dem Essen Cercle hielt, dem Botschafter genähert und mit halblauter Stimme zu ihm gesagt: »Sind Sie mit Ihrem Schüler zufrieden, mein lieber Marquis?««
»Eins ist gewiß,« schloß Herr von Norpois, »mehr als zwanzig Jahre Verhandlungen tut solch ein Toast für die Verknüpfung zweier Länder, für ihre Wahlverwandtschaft, um den pittoresken Ausdruck König Theodosius' II zu gebrauchen. Das ist ja, wenn Sie wollen, nur ein Wort, aber Sie sehen, was für ein Glück es gemacht hat, wie die ganze europäische Presse es wiederholt, welches Interesse es erweckt, welch neuen Klang es hat. Es ist recht bezeichnend für diesen Fürsten. Ich gehe nicht so weit, zu behaupten, daß er alle Tage solche Perlen findet. Aber fast in jeder seiner vorbereiteten Reden, ja mehr noch in gesprächsweiser Eingebung gibt er mit einem Schlagwort sein Signalement – beinahe hätte ich gesagt seine Signatur. Der Parteilichkeit bin ich in diesem Punkte wohl kaum verdächtig, ich als erklärter Gegner aller Neuerungen auf dem Gebiet. Neunzehnmal von zwanzig sind sie gefährlich.« »Ja, ich habe mir gedacht, daß das jüngste Telegramm des deutschen Kaisers nicht nach Ihrem Geschmack gewesen sein mag«, sagte mein Vater.
Herr von Norpois hob die Augen zum Himmel, als wollte er sagen: ja, der! – »Vor allem einmal ist es ein Akt der Undankbarkeit. Es ist schlimmer als ein Verbrechen, ist ein Fehler von einer Dummheit, die ich als pyramidal bezeichnen möchte! Nebenbei gesagt, wenn da niemand Frieden stiftet, ist der Mann, der Bismarck fortgejagt hat, imstande, nach und nach die ganze Bismarckische Politik abzuschwören, und dann gibt es den Sprung ins Ungewisse.«
»Mein Mann sagt mir, Herr von Norpois, Sie würden ihn vielleicht den Sommer in einem der nächsten Jahre nach Spanien entführen, das freut mich außerordentlich für ihn.«
»Gewiß, ein äußerst reizvolles Projekt, an das ich mit Freuden denke. Sehr gern würde ich diese Reise mit Ihnen machen, mein Lieber. Und Sie, gnädige Frau, haben Sie schon an die Verwendung der Ferien gedacht?«
»Vielleicht werde ich mit meinem Sohn nach Balbec gehen, ich weiß noch nicht ...»
»Ah! Balbec ist angenehm, ich habe dort mehrere Sommer verbracht. Man fängt jetzt an ganz allerliebste Villen da zu bauen, ich glaube, der Ort wird Ihnen gefallen. Aber darf ich fragen, wieso Ihre Wahl gerade auf Balbec gefallen ist?«
»Mein Sohn ist sehr darauf aus, gewisse Kirchen der Gegend zu sehen, besonders die von Balbec selbst. Für seine Gesundheit fürchtete ich allerdings ein wenig die Anstrengungen der Reise und besonders des Aufenthalts. Aber, wie ich höre, hat Balbec jetzt ein ausgezeichnetes Hotel, das ihm ermöglichen wird, sich zu pflegen, wie es sein Zustand erfordert.«
»Ah, das muß ich einer Dame wiedererzählen, bei der das großen Anklang finden wird.«
»Die Kirche von Balbec ist sehr schön, nicht wahr?« fragte ich und überwand damit meine Traurigkeit über die Kunde, daß einer der Anziehungspunkte von Balbec in seinen allerliebsten Villen bestehe.
»Nun,