»Bin unter allen Umständen dafür; möchte die Unruhe loswerden«, sagte der Alte.
»Schön. Fahren wir also!« versetzte der Bootsmann.
Ein Stapel wollener Decken und etwas Proviant wurden in die Jolle geschafft. Mr. Burns steckte einen Taschenkompaß zu sich. John ging zum Vorderdeck hinüber und stellte dem Indianer eine Platte mit gebratenem Fleisch und Maisbrot hin; der rote Mann sah nicht einmal auf; er glich noch immer einer Bronzestatue. Alle drei Weißen ergriffen Büchsen und Kugelbeutel und ließen sich in die Jolle hinab, die sich gleich darauf von der Sloop löste.
Der Himmel war jetzt vollkommen klar; die Sonne sandte ihre warmen Strahlen über Wälder und Wasserläufe. Die Männer bedienten sich zunächst der Ruder, da aber bald ein leichter Wind aufkam, setzten sie den Mast und entfalteten das Segel. Sie glitten in den Kanal hinein, der sie vom See aus hierhergeführt hatte, und stellten fest, daß er nach rechts weiterging. Sie ließen den Ontario rechts liegen und segelten weiter. Bob handhabte das Steuer. Nach links umbiegend, immer noch in einem verhältnismäßig schmalen Kanal zwischen bewaldeten Ufern dahinsegelnd, wurden sie sich sehr bald darüber klar, daß sie an einer Insel gestrandet waren, zweifellos einer von vielen, nach den Kanälen zu schließen, die sie passierten.
Nachdem sie sicher waren, daß der Kanal auf ihrer Nordseite ebenfalls in den Ontario mündete, beschlossen sie, ihn in anderer Richtung weiter zu verfolgen. Sie wendeten die Jolle und segelten, von einem leichten Windhauch getrieben, tiefer in das Insellabyrinth hinein. Nach einiger Zeit trieben sie in eine größere, seeartige Wasserfläche hinein, von der aus Kanäle nach verschiedenen Richtungen zwischen bewaldeten Ufern ausliefen. Sie kreuzten wiederholt schmälere und breitere Wasserläufe, und konnten somit nicht mehr daran zweifeln, daß sie sich inmitten einer Gruppe größerer und kleinerer Inseln befanden.
»Hab' mich nicht getäuscht, Sir«, sagte Bob Green; »der Sturm hat uns zu den Tausend Inseln verschlagen. Immerhin weit genug ab von unserem Kurs.«
»Schön, oder vielmehr nicht schön«, versetzte Elias Burns; »habe nämlich von dieser Inselwelt reden gehört, und zwar wenig Gutes. Soll hier allerlei räuberisches Gesindel geben, das den Ontario samt Umgebung unsicher macht. Idealere Schlupfwinkel als diese Inseln hier sind ja auch kaum zu denken.«
»Tja«, sagte der Bootsmann nach einer Pause des Schweigens, »kann Euch leider nicht unrecht geben. Hättet Ihr nicht davon angefangen, ich hätt' Euch nichts gesagt, um Euch nicht unnötig zu beunruhigen. Aber es ist wirklich so wie Ihr sagt: das ganze Piratengesindel von Kanada und den südlichen Kolonien hat in der Gegend hier Verstecke, die kein Mensch ausfindig machen kann.«
»Schlimm, Bob, schlimm!« Der Farmer sah betroffen auf. »Fehlt bloß noch, daß so eine Bande die Molly entdeckt. Dann dürften wir sie los sein. Und mit uns selber ist's dann wahrscheinlich auch aus.«
»Solange ich lebe, ist's mit mir grundsätzlich nicht aus«, knurrte Bob. »Außerdem: die Molly liegt dicht am See, und zwar auf der Innenseite der Insel. Wüßte nicht, was einen Strandräuber veranlassen sollte, ausgerechnet da nach Beute zu suchen.«
»Ein Zufall kann dazu führen, daß sie sie finden«, brummte der Alte.
Sie segelten weiter über das stille Wasser und glitten immer tiefer in ein Gewirr von Inseln hinein.
Kommen Indianer in diese Gegend?« fragte Burns.
Der Bootsmann zuckte die Achseln: »Immerhin anzunehmen, daß sich ein paar Rothäute zum Fischen und Jagen manchmal hierher verirren. Huronen sogar möglicherweise. Vor allem aber Irokesen: Oneida, Onondaga, Seneca.«
»Das sind alles Irokesen?« fragte John.
»Ja«, versetzte Green. »Hab' mir das mal erzählen lassen. Man spricht da von den ›Fünf Nationen‹; eigentlich sind's sogar sechs, wenn man die Tuscarora noch dazu zählt, die auch zur irokesischen Sprachgruppe gehören; sonst gibt's da noch die Mohawk und die Cayuga. Aber ich versichere Euch: Ist alles das gleiche Gesindel. Rothaut ist Rothaut!«
»Glaubt Ihr, daß wir etwas von ihnen zu befürchten hätten, wenn sie uns entdeckten?« fragte der Alte.
»Trau grundsätzlich keinem von dem Gesindel, Master. Aber wenn Ihr mich ernsthaft fragt: Ich glaub's nicht. Wenn nicht gerade irgendein Häuptling die Kriegsaxt ausgegraben hat. Sonst ist Friede zwischen den Kolonien und den Irokesen. Aber mir scheint, es wird Zeit, umzukehren; die Sonne ist schon im Sinken, und wenn's erst dunkel ist, könnt' es uns passieren, daß wir die Molly vergeblich suchen.«
»Also gut, kehren wir um«, sagte Burns.
Die Jolle wendete und glitt auf dem eben gekommenen Wege zurück. Es war nicht einfach, sich in dem Gewirr von Kanälen zurecht zu finden, doch vermochten sie mit Hilfe des Kompasses wenigstens die Richtung zu halten. Eine feierliche Ruhe herrschte auf dem spiegelblanken Wasser zwischen den schweigenden Wäldern, welche rundum die Inseln bedeckten; den Männern war es, als glitten sie durch eine Märchenlandschaft.
In der Hauptsache wuchsen hochstämmige Tannen und Fichten auf den Inseln, doch lugte dann und wann immer wieder das junge Grün alter Laubbäume zwischen den Stämmen hervor. Die Gipfel der Waldesriesen leuchteten im Licht des sinkenden Abends; geräuschlos glitt das leichte Boot vor dem schwachen Winde dahin.
Sie passierten eben das Ufer einer Insel, die im Gegensatz zu den meisten anderen felsiges Gestein an den Rändern zeigte, als John plötzlich auf einen im Wasser schwimmenden Gegenstand deutete. Bob hielt darauf zu, und es zeigte sich, daß es sich bei dem treibenden Ding um einen Bootsriemen handelte, der nahe dem Ufer herumschwamm. Während sie vorüberglitten, langte John über Bord, ergriff den Riemen und zog ihn an Bord. Alle drei betrachteten das Ruder aufmerksam. Es war ein normaler Bootsriemen, wie er hier auf dem See und in der Umgebung allgemein in Gebrauch war.
»Hat schon wochenlang im Wasser gelegen, ist beinahe ganz vollgesogen«, stellte Bob fest; »sonderbar genug, daß er überhaupt noch schwamm.«
»Hier sind Buchstaben eingebrannt«, sagte John. Bob und der Alte folgten dem weisenden Finger des Jungen und erkannten gleicherweise die Buchstaben: D. R.
Bob Green stieß einen Pfiff durch die Zähne; sein Gesicht wurde ernst. »Teufel auch!« sagte er, »wie ist das möglich?«
»Was meint Ihr?« fragte der alte Burns beunruhigt.
»Der Riemen stammt von der Jolle des DUKE OF RICHMOND«, sagte Bob. »Gar kein Zweifel.«
»Ihr meint ein Schiff?«
»Ja. Der DUKE OF RICHMOND ist hier auf dem Ontario verschwunden, als wäre er eine Stecknadel.«
»Verschwunden?«
»Habt Ihr denn nichts davon gehört?«
»Was höre ich schon am Genesee!«
»Der DUKE OF RICHMOND war die schönste Sloop, die auf dem ganzen Ontario herumschwamm«, berichtete der Bootsmann. »Sie verließ Stacket Harbour im Oktober und segelte mit Kurs auf Oswego. Da ist sie nie angekommen, und kein Mensch hat seit dem Tag ihrer Abfahrt auch nur noch das geringste von ihr gehört. Nun hat zwar am zweiten Tag nach der Ausfahrt des Schiffes ein ziemlich heftiger Sturm geherrscht, aber der DUKE war eine großartige Sloop und hatte eine hervorragende Mannschaft. Möchte sagen: Es ist nahezu ausgeschlossen, daß sie einem Unwetter zum Opfer gefallen sein soll. Noch unglaubhafter ist, daß sie ähnlich wie wir irgendwo auf Strand gelaufen ist; dann hätte man das Wrack oder wenigstens etwas von seinen Trümmern finden müssen, denn die Nachforschungen haben damals sofort eingesetzt, und zwar mit aller erdenklichen Gründlichkeit.«
Und wie erklärt Ihr Euch also die Sache?«
Vollkommen klarer Fall.« Bob zuckte die Achseln. »Piraten natürlich. Haben das Schiff