Das Gesicht des Obersten war dunkelrot angelaufen; seine hellen Augen schleuderten Blitze. Mit zornbebender Stimme, in der Ekel und Verachtung mitklangen, sagte er: »Monsieur de Hotham, ich habe genug gesehen und gehört. Ich bedarf Ihrer nicht mehr. Betrachten Sie sich als gefangen. Jeder Ihrer Schritte wird von dieser Minute an bewacht werden. Zur gegebenen Zeit werde ich Sie den englischen Behörden übergeben. Verbrecher finden bei mir keine Zufluchtstätte. Merken Sie sich eins: Trifft Ihren Vetter, Lord Somerset, durch Ihre indianischen Freunde ein Unglück, ist Ihr Leben verwirkt. Unser Profos macht mit Mördern ebenso wenig Umstände wie mit Spionen. Adieu!«
Vernichtet, an allen Gliedern schlotternd, wankte Hotham aus dem Zelt. Auf Brissacs Wink folgte ihm eine Ordonnanz.
»Pfui Teufel, was für ein Cochon!« knurrte der Oberst, und, sich an Richard Waltham wendend: »Ich muß Sie, Mylord, und Ihre Begleiter einstweilen hierbehalten, bis ich dem General Bericht erstattet habe; ich denke, daß wir ihn morgen erreichen. Dann werden sich wohl Mittel und Wege finden, Sie zu den Ihren zurückzugeleiten. Einstweilen betrachten Sie sich als meine Gäste. Sie, Mylord, darf ich bitten, an meiner Tafel zu speisen.«
Richard Waltham verbeugte sich eben dankend, als eine Ordonnanz eintrat und dem Leutnant leise eine Meldung erstattete.
»Was gibt's?« fragte der Oberst.
»Mehrere Huronen sind bei den Außenwachen und wünschen Herrn Oberst zu sprechen.«
Das Gesicht des Kommandeurs verzog sich zu einem sarkastischen Lächeln. »Aha, jetzt kommt's«, sagte er, »na, das wollen wir gleich erledigen. Lassen Sie die ehrenwerten Krieger kommen, Leutnant, und möglichst auch gleich ein paar Flaschen Rum herbeischaffen.«
»Warten Sie bitte hier, Mylord«, sagte der Oberst, nachdem die Ordonnanz gegangen war, und verließ, von Brissac gefolgt, gleichfalls das Zelt. Draußen ließ er sich auf einem bereitgestellten Stuhl nieder und sah den drei Huronen entgegen, die durch die Lagergasse auf ihn zukamen. An-da-wa, ein älterer Häuptling und ein jüngerer, ebenfalls mit den Häuptlingsfedern geschmückter Krieger, verneigten sich leicht vor dem Befehlshaber ihrer weißen Bundesgenossen.
»Willkommen, große Häuptlinge«, sagte der Oberst, augenscheinlich gut gelaunt, »erlaubt, daß ich euch auf meine Art begrüße.« Auf einen Wink wurde ihm ein großer, mit Rum gefüllter Becher gereicht. Der Oberst nippte daran und reichte ihn dem älteren Häuptling, der einen tiefen Zug nahm und den Becher weitergab. Es war dies Oberst Clermonts übliche Art, mit Indianern umzugehen; er nannte den Rumbecher seine Friedenspfeife.
»Also, würdiger Häuptling, sage mir nun, was du auf dem Herzen hast« sagte Clermont.
Der Alte antwortete in erträglichem Französisch: »In deinem Lager weilen Gefangene, die uns gehören. Ich bitte dich, sie uns zurückzugeben.«
Mit gut gespieltem Erstaunen, das selbst geeignet schien, die hellhörigen Indianer zu täuschen, wandte sich der Oberst dem neben ihm stehenden Marquis zu. »Wie, Brissac«, sagte er, »wir haben Gefangene, die unseren roten Freunden gehören? Was heißt das?«
»Ich begreife nichts, mon Colonel«, antwortete der Leutnant mit todernstem Gesicht. »Da muß ein Irrtum vorliegen.«
»Ja, Indianer, ihr scheint euch zu irren«, sagte der Oberst.
»Nicht irren. Spuren führen in dein Lager«, versetzte der Häuptling. »Wir wissen: Goldhaar, Starker Bär und Alte Eiche sind hier.«
»Prachtvolle Namen, die eure Gefangenen da führen«, grinste der Oberst, »aber ich weiß nichts damit anzufangen.«
»Wenn Sie gestatten, mon Colonel«, schaltete Brissac sich jetzt ein, »ich bekam vorhin Meldung, daß unsere Vorposten in der Nacht vier Männer gefangennahmen, die sich in verdächtiger Weise in der Nähe des Lagers herumtrieben. Vermutlich handelt es sich um englische Spione.«
»Ah so, das ist natürlich etwas anderes!« sagte der Oberst. »Sollten das die Leute sein, die du suchst, Hurone?«
Der Indianer lächelte und versicherte, sie seien es ganz gewiß.
»Aber das sind dann doch unsere Gefangenen, Brissac«, sagte Clermont. »Oder haben wir sie etwa unseren roten Freunden weggenommen?«
»Nein, mon Colonel, es sind zweifellos unsere Gefangenen, im freien Felde ergriffen, als sie das Lager umschlichen.«
»Ja aber, mein Freund«, wandte der Oberst sich an den alten Huronenhäuptling, »du kannst doch nicht Gefangene in Anspruch nehmen, die meine Leute aufgegriffen haben. Wo sind denn deine Gefangenen?«
»Sie sind hier.«
»Aber wie kommen sie hierher?«
»Sie sind davongelaufen, während wir schliefen.«
»Ja, aber, Häuptling, wie können einem während des Schlafes Gefangene entlaufen? Sowas gibt es doch gar nicht. Ist mir wahrhaftig noch nie passiert. Da hättet ihr eben besser aufpassen müssen. Jetzt handelt es sich da jedenfalls um meine Gefangenen. Ihre Sache wird hier genau untersucht werden, und stellt sich heraus, daß es Spione sind, werden sie nach Kriegsrecht erschossen. Du wirst begreifen, mein Freund, daß ich die Leute unmöglich an dich herausgeben kann. Sie sind von meinen Soldaten gefangengenommen worden, und der große weiße Vater in Montreal würde sehr böse werden, erführe er, daß ich sie euch überlieferte.«
»Wenn dir Gefangene davonliefen und wir fingen sie ein, wir würden sie an dich zurückgeben«, sagte der Häuptling.
»Vielleicht würdet ihr das. Aber ich würde es gar nicht verlangen. Die Sache ist doch so: In dem Augenblick, wo sie euch entflohen, waren sie nicht mehr eure Gefangenen. Was meine Krieger in dieser Nacht an verdächtigen Gesellen aufgriffen und ins Lager brachten, darf ich nicht herausgeben, ohne daß der große Vater in Montreal es ausdrücklich befiehlt. Auch euch nicht. Aber ich will ihm gleich einen Brief schreiben, und sagt er ja, dann sollt ihr sie haben, vorausgesetzt, daß sie nicht das Lager ausspionieren wollten, denn dann muß ich sie erschießen lassen. Es hat mich sehr gefreut, dich zu sehen, mein tapferer Häuptling, ich werde dir Nachricht geben, verlaß dich darauf.« Er erhob sich, winkte den Indianern lächelnd zu und betrat das Zelt. Verblüfft und schwer enttäuscht verließen die Huronen, von Ordonnanzen geleitet, das Lager.
Der Oberst sagte zu Richard Waltham, der der Verhandlung hinter dem Zeltvorhang zugehört hatte: »Sie sehen, Mylord, ein alter Soldat muß sich zuweilen auch auf Diplomatenkniffe verstehen. Ich darf es mit dem roten Volk nicht verderben; bin insoweit leider nicht Herr meiner Entschlüsse. Will den Burschen aber gleich ein paar Bouteillen Rum schicken; das wird sie besänftigen.«
Eine Stunde später befand sich die Truppe auf dem Marsch in südwestlicher Richtung. In ihrer Mitte befanden sich Lord Somerset und die Gefährten seiner Abenteuer.
NI-KUN-THA – DER FUCHS
Von sechs stämmigen, muskulösen Senecakriegern bewacht, torkelten John und Ni-kun-tha durch den hochstämmigen Urwald. Der zweite Tag eines bis zur Erschöpfung anstrengenden Waldmarsches neigte sich seinem Ende zu. In Johns Gesicht malten sich außer Ermüdung Zorn und Erbitterung; dazu quälte ihn die Sorge um den Vater, von dem er annehmen mußte, daß er mit den anderen ebenfalls in die Hände der Wilden geraten sei. Das Gesicht des neben ihm schreitenden Indianers war völlig ausdruckslos, nur in seinen dunklen Augen glimmte es zuweilen gefährlich. Sie waren am Vortage mit auf den Rücken gefesselten Händen bis zum Sonnenuntergang marschiert. Während der Nacht waren sie von ihren Wächtern mittels zweier kreuzweise übereinander gelegter Stäbe gefesselt worden. Zu diesem Zweck wurde der eine Stab quer über die Brust gelegt und an die nach rechts und links ausgestreckten Arme gebunden; der zweite Stab führte vom Kopf bis zu den Füßen; an ihm wurden Hals und Knöchel mit Schlingen befestigt.
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