Der Besucher packte seine Röhren zusammen und antwortete, er werde jetzt, wie geplant, nach Paris reisen und sein Geheimnis um zwei Millionen dem Franzosenkaiser verkaufen, weil er das Geld brauche. Hernach aber wolle er jenen um den Vorteil bringen, indem er ein zweites Modell Garibaldi unentgeltlich zur Verfügung stelle. Er ging auch in die Küche und sprach vertraulich mit Josephine, und als er fort war, überzeugte ich mich, dass ihr Kopf auf dem alten Flecke stand. Ich wagte endlich wegen der Bücher zu forschen, da gestand sie, mich nur geneckt zu haben. Die Bücher waren ihr Eigentum, über das sie frei verfügen konnte. Der Herr, dessen sinnreiche Einfälle übrigens bekannt waren, hatte einmal mit seiner Frau als Gast bei meiner damals noch unverheirateten Mutter gewohnt, und da er eben nicht bei Kasse war, Josephine jene unbenutzten Bücher statt eines anderen Entgelts für ihre Dienste hinterlassen.
Die vielen bei Tage ausgestandenen Ängste, die ich meist aus unüberlegten Reden der Erwachsenen schöpfte – auch die Furcht, eines meiner Lieben zu verlieren, gehörte dazu, obwohl ich vom Tode noch nichts wusste –, kehrten bei Nacht in abenteuerlichen Vermummungen wieder und machten mir oft genug den Schlaf zu einer ganz bedenklichen Angelegenheit. Das ging bis zu Sinnestäuschungen im vermeintlich wachen Zustand. So sah ich eines Nachts im Mondschein ganz deutlich meine Mutter im langen weißen Hemd vom Lager steigen, sich neben meinem Bettchen einen Strumpf knüpfen, und als ich erwartete, dass sie sich jetzt über mich beugen werde, lautlos hinter den Ofen gleiten. Als sie gar nicht zurückkommen wollte, kroch ich nach längerem Warten ängstlich aus dem Bett und sah den Raum hinter dem Ofen leer. Eine schreckliche Unruhe befiel mich, aber als ich nun vor ihr Lager schlich, lag sie in festem Schlafe. Eine solche kindliche Halluzination hätte vielleicht im Mittelalter genügt, eine unglückliche Frau der Hexerei und der Schornsteinfahrt zu überführen.
Aber diesen Kinderleiden, von denen die Erwachsenen nichts zu ahnen pflegen, hielt eine unermessliche Kinderseligkeit die Wage. Solche Fest- und Wonnetage wie unsere Geburtstage konnte das spätere Leben aus all seinem Reichtum nicht mehr hervorbringen. Der feierlichste war der meinige, der Thomastag; da er in die Weihnachtswoche fiel, wurde an diesem Abend der Baum angezündet und die Bescherung gehalten. Schon viele Tage vorher hantierte unsere Josephine mit köstlichen süßen Teigen und stach mit den hochehrwürdigen alten Modeln, die ich immer irgendwie mit unseren altgermanischen Göttern in Zusammenhang bringen musste – vielleicht hatte unser Vater einmal die Bemerkung gemacht, dass die »Springerlein« Wodans Roß bedeuten –, das herrlichste Backwerk aus. Es wurde in überschwenglichen Mengen hergestellt und mit den Freundeshäusern korbweise als Geschenk getauscht. Mama saß mit befreundeten Damen und »dockelte« heimlich, d. h. sie nähte aus bunten Seidenlappen die schönsten Puppenkleider. Immer hing da und dort ein goldener Faden, der diese feenhafte Tätigkeit verriet. Die übrigen Lappen hütete ich in einer Pappschachtel, sie waren mir als Stoff zu künftiger Gestaltung fast noch werter als die fertigen Kleidchen. Die Großen begriffen nicht, warum diese Schachtel jede Nacht an meinem Bett stehen musste, aber ich wusste recht wohl, was ich tat, denn wer hätte sie sonst gerettet, falls des Nachts ein Brand ausbrach? Ich hatte schon den Griff eingeübt, womit ich sie fassen wollte, während ich im anderen Arm die Puppen hielt, um durch die Flammen zu springen. Man sage noch, dass kleine Kinder keine Voraussicht hätten! – Wenn dann nach einer herzklopfenden Erwartung endlich die Tür des Weihnachtszimmers aufging und der Duft und Glanz des mit goldenen Nüssen behangenen Baums uns entgegenströmte, dann war mit dem ersten seligen Aufatmen auch der Höhepunkt des Glückes überschritten. So herrlich Puppenstube, Küche, Kaufladen mit ihrem Inhalt waren, der Gedanke, dass auch dieser Abend unaufhaltsam zu Ende gehen musste wie jeder andere, machte den Besitz im voraus zunichte. Das Schönste an dem Fest war jedes Mal der letzte Augenblick der Erwartung.
An den Geburtstagen der Brüder wurden immer alle Geschwister mitbeschenkt. Man erwachte früh bei noch geschlossenen Läden voll Hoffnung und Ungeduld, stellte sich aber schlafend und blinzelte nur nach den Dingen, die da kommen sollten, während mütterliche Hände ganz leise vor jedes Kinderbett ein Tischchen rückten. Da standen dann im Morgenlicht bezaubernde Dinge, wie Farbenschachteln, bunte Bleistifte, goldgeränderte Tassen, für mich eine Glasschachtel mit goldenen, silbernen und farbigen Perlen zum Sticken und Anreihen, und was mich immer am höchsten beglückte: ein blühendes Rosenstöckchen mit vielen Knospen, das ich selber pflegen durfte. Vor dem Geburtstagskind aber brannten die Jahreskerzen über dem Kuchen. – Wenn ich meine seligen Obereßlinger Erinnerungen gegen die Briefe meiner Mutter aus jener für sie so schweren und düsteren Zeit halte, so kann ich erst ganz die Größe dieser unendlichen Liebe ermessen, die den Himmel über unseren jungen Häuptern so rein und blau erhielt. Obereßlingen war die Sandbank, auf die politische Verfemung und literarisches Nichtverstandensein meinen Vater geworfen hatten. Sein Genius büßte dort in der Enge des Daseins und der Eintönigkeit der Landschaft, die dabei nichts Großartiges hatte, die Schwungkraft ein. Aber das Kind sah anders. Ihm war die bloße Berührung des ungepflasterten Erdbodens und seine grüne Nähe Glückes genug, der Hopfsche Garten, wo man Stachel- und Johannisbeeren pflücken und der Henne ins Nest gucken durfte, das Paradies. Ein ungewöhnlich entwickeltes Geruchsvermögen machte mir auch all die hundert Kräutlein im Grase zu lauter kleinen Persönlichkeiten, mit denen ich in Beziehung trat.
Edgar und ich hielten in der Kinderschar am engsten zusammen, weil wir zuerst vor allen anderen dagewesen waren und uns eine gemeinsame Welt erbaut hatten. Dass ich aber auch noch als Sechsjährige am liebsten mit ihm von einem