Elftes Kapitel – Wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen
Zwischen dem Erscheinen der »Florentiner Novellen« und dem der »Italienischen Erzählungen« lagen fünf volle Jahre. Ich möchte sie gerne in irgendeiner Felsenkluft verschlafen haben, dass ich nichts mehr von ihnen zu wissen brauchte; aber dafür war die Krise zu lang und zu verhängnisvoll.
Der bange Spuk meines Daseins, dass mir stets aufs neue der Lebens- und Arbeitsraum streitig gemacht wurde, hatte durch die plötzliche Heirat Edgars eine äußerste Steigerung erfahren. Er war ja von Natur Junggeselle und länger als seine jüngeren Brüder in diesem Stande geblieben. Aber seine reiche Persönlichkeit zog die Frauen mächtig an, und Leidenschaften, die er erweckte, hatten um seine ganze Jugend eine Sturmzone gelegt, aus der heraus er sich endlich nach Ruhe sehnte; in einer deutschen Ehe hoffte er sie am ehesten zu finden. Jedoch kein Glücksstern wachte, als er auf den Rat wohlmeinender aber seelenunkundiger Freunde in der Heimat die Augen auf eine junge Landsmännin warf und nach einer Bekanntschaft von nur wenigen Wochen das feingesichtige Steinbild Rosa mit den leeren weißen Augen ins Haus führte. Von einer weisen Frau und echten Dichterin, Marie von Ebner-Eschenbach, stammt der ewig gültige Ausspruch, dass es nichts Unvernünftigeres gebe als eine Vernunftheirat. Edgar hatte von seiner Ehe nichts gefordert als Frieden und häusliches Gestilltsein von der Unruhe, die ihn verzehrte. Allein er war bei seinem Idealismus kein Menschen- oder gar Frauenkenner und erlag wie so mancher andere dem unfassbaren Wahn jener Tage, nach der Innenwelt der Frau nicht zu fragen, wenn nur das Äußere befriedigte, als ob diese Innenwelt in der des Mannes, sobald sie nur erst seinen Namen trug, restlos aufgelöst würde. Im letzten Augenblick vor dem verhängnisvollen Schritt muss ihn noch ein warnendes Blitzlicht getroffen haben, denn er fragte den Bekannten, der die Anstalten besorgte, ob es kein Zurück mehr gebe. Allein die Familie der Braut hatte ihn schon, bevor er sich dessen versah, mit gesellschaftlichen Stricken gebunden; er konnte sich nicht mehr lösen, ohne das Mädchen vor der Welt bloßzustellen. Die Ritterlichkeit siegte: als ich von einer Reise zurückkehrte, auf der er mir eben erst brieflich seine Verlobung mitgeteilt hatte, fand ich ihn zu Hause schon als Ehemann. Er hatte mir seine Braut als ein schmiegsames, anspruchsloses Wesen geschildert, das aber in der geistigen Entwicklung nicht weiter sei als eine Vierzehnjährige, weshalb er alles von meinem Einfluss erhoffe. Von diesem Charakterbild stimmte allein der Punkt, der sich auf das Geistige bezog, nur dass auch kein höheres Bedürfnis vorhanden oder zu erwecken war. Sie hatte die schön geschnittenen Züge einer griechischen Gemme, aber es fehlte ihrer Jugend alles Frische, Blühende, und man sah nicht gern auf den Grund ihrer Augen. Ich erschrak vor dem Strom von Kaltluft, der von ihr ausging und der mir die bedrückte Stimmung, die ich im Hause vorfand, erklärte. Nicht umsonst war eine alte Patientin meines Bruders, die ihren Arzt zärtlich liebte, beim Anblick des Steinbilds in Tränen ausgebrochen. Das innere Zurückweichen war gegenseitig, man konnte nur hoffen, sich nebeneinander einzurichten. Aber bevor ich kam, hatten schon die Dämonen ihr Werk begonnen: dem unerfahrenen Wesen war der leibhaftige Geist der Zwietracht in Gestalt ihrer eigenen Mutter nachgefolgt, in deren verbitterndem Treiben damals niemand die schwere, viel zu spät erkannte seelische Erkrankung ahnte, sodass sie gleich in die ersten Ehetage hinein ungestört nach beiden Seiten Misstrauen und Unfrieden säen konnte.
Nach der mir mitgeteilten Verabredung sollte durch die Heirat an den häuslichen Verhältnissen nichts geändert werden und mir, wie sich’s versteht, meine Rechte vollauf gewahrt bleiben. In seiner stolzen Unbekümmertheit hatte Edgar die Frau genommen, wie sie ging und stand, ohne nach dem Wirtschaftlichen zu fragen. Er hatte aber nicht bedacht, dass die Gründung einer neuen Familie und das Zusammenleben mit der alten in dem durch ungeschickte Raumverteilung beengten Hause, das ohnehin größtenteils durch seine Praxis belegt war, sich nicht ohne ständige Opfer von der einen Seite und Reibungen von der anderen durchführen ließen. Vor allem sah er auch gar nicht, wie sehr ich schon bei dem Hauskauf im Nachteil gewesen war, weil ich mich nie über Unwiderrufliches beklagte, wie es auch stets undenkbar geschienen hätte, innerhalb der Familie über das Mein und Dein zu verhandeln. In Italien ist es vielfach üblich, dass die Neuvermählte, die in einen geschlossenen Familienkreis eintritt, nicht Herrin sondern Tochter vom Hause wird; vererbtes Brauchtum legt in solchen Fällen seine bestimmten Gesetze auf. Ein ähnlicher, auf deutsche Begriffe nicht übertragbarer Zustand mochte Edgar vorgeschwebt haben, als er in meiner Abwesenheit und ohne vorgängige Abgrenzung der Befugnisse eine Lage schuf, in der nur Engel einträchtig hausen können, wo aber unter Menschen jederzeit die stofflichere Natur obsiegt. Nichts war naheliegender – aber zugleich von ihm unvorgesehener –, als dass diese mit der natürlichen Selbstsucht der Primitiven vor allem daran ging, sich auf meine Kosten Raum und Bequemlichkeit zu schaffen, während ich mich bestrebte, sie in nichts zu beengen und wenigstens häusliche Zusammenstöße zu vermeiden. Aber ich befand mich auf einer gleitenden Ebene.
Zunächst – und dies ließ sich wegen der gemeinsamen Küche gar nicht umgehen – war mir der einzige wertvolle Raum des Untergeschosses, das erhöhte Gartensälchen, als Speisezimmer für das junge Paar abgenommen worden. Das war während meines Fortseins belanglos, denn Mama bestritt ihre Ernährung mit einem Schälchen Milch, die sie sich auf Spiritus kochte, und einer Semmel. Aber jetzt, da man sich wieder einrichtete, musste das Essen für uns beide bei jedem Wetter durch den Garten in mein kleines