Der gleiche Vorgang wiederholte sich bei meinen nachfolgenden Büchern: dass ich immer wieder nach neuen Gegenständen und neuen Lebenskreisen griff, wie es meinem eigenen vielgestaltigen Dasein entsprach, und dass diese sich immer aufs neue bei einer Lesergemeinde einzuführen hatten, die mich an einem früheren Platz erwartete, als wo ich stand.
Einmal im Lauf dieser kämpfereichen Jahre wollte mir ein heller Glücksstern aufstrahlen, der meine Geschicke mit einem Mal hätte wenden können. Dass ich ihm nicht nachging, dass ich ihn ungenützt versinken ließ – war’s durch eigene Torheit oder durch Zusammenwirken dämonischer Hemmungen, oder wollte mein Schutzgeist selber mich fern von dem großen literarischen Strom? – ich weiß es nicht und stehe vor einer der Unbegreiflichkeiten meines eigenen Lebens. Der berühmte Tragöde Joseph Lewinsky vom Burgtheater in Wien hatte sich öffentlich mehrfach in Wort und Schrift warm für meine Gedichte eingesetzt – nicht ohne den Mitläufern der damaligen naturalistischen Bewegung Ärgernis zu geben –, weshalb ich mir das Herz nahm, ihm ein Drama zur Prüfung vorzulegen; Lewinsky schrieb – o Wunder! –, dass er das Stück im Burgtheater aufführen wolle; es war ein Gegenwartsstück, um eine Liebesverwicklung aufgebaut und in Venedig spielend. Ich müsse mir’s aber gefallen lassen, dass ein übrigens ganz kurzer und nicht streng mit dem Gang der Handlung verwachsener Akt völlig ausgelassen werde, wodurch das Stück an Geschlossenheit gewinnen und bühnenwirksamer werden würde. Heute sehe ich ein, dass ich hätte jubeln und unbedingt ja sagen müssen und die mir mit Wärme entgegengebrachte Gunst eines so mächtigen Gönners über alle anderen Gesichtspunkte setzen. Aber die Forderung ging mir aufs stärkste gegen das Gefühl: der beanstandete Akt – eigentlich konnte man ihn so kaum nennen, denn es war fast nur ein vorüberziehendes Bühnenbild zu symbolhafter und stimmungbereitender Andeutung des Ausgangs – war mir als traumhaft wirkender, das Tatsächliche poetisch untermalender Zug mehr ins Herz gewachsen als das ganze Stück. Natürlich war der alte Bühnenpraktikus im Recht, vor allem wegen des damaligen, ganz auf Wirklichkeit gestellten dramatischen Verfahrens. Ich meinerseits glaubte aber auch nicht im Unrecht zu sein, wenn ich an die Beispiele aus der großen dramatischen Dichtung dachte, wo ein symbolischer Vorgang das rein pragmatische Geschehen vorübergehend begleitet. Und später kam ja eine Zeit, wo überhaupt das strenge dramatische Gefüge gerne in eine Reihe loser Bühnenbilder gelockert wurde. Ich war zu theaterfremd, um zu wissen, dass die Spielleiter auch dem Größten unbedenklich Stücke vom Leib schneiden. Mir lag an der Aufführung gar nichts mehr, wenn eben der Teil, an dem meine Künstlerfreude hing, der gewöhnlichen Spannung zuliebe fallen musste. Vielleicht hätte ich durch einen weltkundigen Ratgeber zu dem Schritt überredet werden können in Anbetracht der unabsehlichen Möglichkeiten, die sich auftun zu wollen schienen. Aber ich war allein und gewohnt, dem eigenen inneren Antrieb zu folgen. In dieser Klemme fasste ich einen Groll gegen mich selbst, dass ich die vielleicht einmalige Glückslage des vergangenen Winters in München, wo ich für Monate allein mir selbst gehörte und das Theater nach Lust besuchen konnte, nicht besser ausgenützt hatte. Warum meine Muße an einen bürgerlichen Stoff wenden, der, wie Lewinsky richtig urteilte, keine starke dramatische Spannung besaß –, ich hatte ihn sogar zuerst als Roman gedacht und mich nur durch die Nähe des Theaters verleiten lassen, ihn in die Form des Dramas zu gießen. Ich war mir bewusst, dass meine Novellen großenteils einen starken dramatischen Einschlag enthielten. Warum hatte ich nun nicht für den Bühnenversuch einen von vornherein dramatisch gedachten und zugleich einer höheren Ordnung angehörenden