3 Zuerst bei Hermann Seemann, Leipzig, erschienen, dann von Cotta Nachfolger übernommen, 1928 unter dem Titel »Aus frühen Tagen« in der Vaterländischen Verlags- und Kunstanstalt, Berlin, vermehrt herausgegeben. <<<
4 Später dem Bändchen »Aus frühen Tagen« ergänzend einverleibt. <<<
Zehntes Kapitel – Durchbruch
Zu Anfang des Jahres, das auf diesen bewegten Herbst folgte, starb Althofen. Die Nachricht erreichte mich völlig unvorbereitet bei einem Aufenthalt in Rom.
Wie viel auch ein Mensch von Todesahnungen sprechen möge – solange er in der Fülle des Lebens dasteht, glaubt man ihm nicht, denn das Leben muss ewig den Tod verneinen. Dass ich dennoch tief innen dieses frühe Ende vorausgewusst hatte, stand auf einem anderen Blatt, es gehörte nicht in das wache Tagesbewusstsein. Jetzt verstand ich, dass die immer wiederholten düsteren Prophezeiungen keine bloßen Grillen gewesen waren, sondern dass der Tod selber aus dem vermessenen Zeichenstift neckte und scherzte, als er das frevelhafte Spiel mit dem Totenkopf, seinem eigenen, spielte. Auch dass er die gefühlsmäßige Überzeugung von der Kürze seines Lebens nur in Frauengesellschaft äußerte, am meisten da, wo er sich am unbedenklichsten gab, wurde klar, weil der Mann sein Inneres nicht leicht vor dem Geschlechtsgenossen enthüllt, von dem er nur in den seltensten Fällen ein Einfühlen in so schwebende Zustände erwarten kann. Zugleich lösten sich noch andere Rätsel, mit denen diese problematische Natur sich umgeben hatte, und was Edgar später von dem behandelnden Arzt über den Fall erfuhr, legte den Gedanken nahe, dass der Tod vielleicht nicht das schlimmste der Übel war, die ihn bedrohten. Aber wie sinnlos alles Vorausdenken, Abwendenwollen, Plänemachen, wo doch jeden Augenblick die schwarze Kugel heranrollen kann, die alles ins Nichtgewesene verkehrt.
Wenn sich in ein Freundeszerwürfnis das Sterben mischt, so hat immer der Abgeschiedene das bessere Recht. Der Überlebende ist ja noch im Besitz und sieht den anderen um das verkürzt, was immer alles neugestalten und gutmachen kann: das Leben. Und gern vergisst er nun, was von der anderen Seite gefehlt wurde. Wie viele Störungen der Verstorbene auch in das freudige Einverständnis des Zusammenschaffens gebracht, er war doch das Werkzeug gewesen, dessen das Schicksal sich bediente, um mich zu mir selbst zu führen und mein flackerndes Streben zur Stetigkeit zu gewöhnen. War er auch nur wie eine starke Welle in meinem Leben angerauscht und schnell zerronnen, so hatte die Begegnung doch genügt, mein Schiff von der Sandbank, wo es festgefahren war, zu lösen. Es war auch ein tiefes Erbarmen um Schönes und Wertvolles, was zugrunde ging, und um einen Ehrgeiz, der jetzt nicht die kleinste Befriedigung mehr finden konnte. Ich habe mich nachmals lange bemüht – und die einflussreichsten meiner Freunde in Deutschland mit mir, voran mein alter Gönner Friedrich Theodor Vischer, der damals in Kunstsachen das erste Wort hatte, und ebenso sein kunstphilosophischer Antipode Ludwig Pfau –, für das Aquarellenwerk, an dem der Verstorbene mit soviel Eifer gearbeitet hatte, einen Verleger zu finden, was er selber zu meinem Erstaunen versäumt hatte. Es gelang nicht, weil die farbige Vervielfältigung zu kostspielig gewesen wäre, und als gar die fotografische Wiedergabe der Originale möglich wurde, war an eine Herausgabe nicht mehr zu denken. So blieb dem Grenzenloses Wollenden sogar der kleinste posthume Erfolg versagt! Mit dem Tode Althofens brach auch das Werk in Stücke, das ich mit soviel Liebe und Ausdauer untermauert hatte. Stöße von Manuskript warteten auf die Fortsetzung, aber die Hand, die den bildnerischen Teil zu gestalten hatte, moderte im Grab. Ich klopfte bei Erwin an, ob er dafür zu haben wäre, an die Stelle des Verstorbenen zu treten. Als guter Bruder, der er war, sagte er zu, aber mit Seufzen, denn der Vorschlag war ihm fremd und erweckte keinen inneren Anteil. Er hatte recht, er war ja kein Grafiker, er war Bildhauer, außerdem hatte er für Geschichtliches so wenig Sinn wie sein Lehrer Hildebrand, wenigstens zu jener Zeit; später hat er die Lücken auf diesem Gebiet durch unermüdliches Lesen ausgefüllt. Nein, das Unternehmen, auf dem meine Hoffnung durch dritthalb Jahre gestanden, war nicht zu retten. Ob es nicht auch ohne das Zeichnerische ginge, diese Frage warf sich mir gar nicht auf, so fest war mir von Anbeginn der Gedanke an den Bildschmuck eingebrannt. Neben dem Grabe, das soviel Begabung und Ehrgeiz verschlungen hatte, lag ein zweites, unsichtbares, in das ich hilflos hinunterstarrte. Der Tod war jetzt überall, denn er war in meinem Werk.
Aber die Hilfe kam; sie kam aus meinem eigenen Inneren. Schon bei den biografischen Entwürfen waren mir ungerufen novellistische Eingebungen durch den Sinn gegangen, die zurückgedrängt werden mussten. Jetzt meldeten sie sich stärker; aus dem Trümmerhaufen drang es wie leises Glockenläuten, aber es waren keine Trauerglocken mehr: die »Florentiner Novellen« brachen ins Leben.
Hier zeigte sich’s nun sogleich, dass erfundene Vorgänge und Gestalten meine Feder ganz anders beschwingten als das Weitertasten im Erforschten, dem ich nichts Eigenes hinzubringen durfte; geschichtliche und kulturgeschichtliche Gegebenheiten waren jetzt nur das hochwertige Plasma, um Menschengeschick daraus zu formen; Zeit und Ort gaben einen Rahmen, der wirkungsvoller nicht zu denken war. Und die Modelle samt ihrer Redeweise und ihren Gesten fand ich unter den lebenden Florentinern, die mir jeweils Züge ihres Wesens lassen mussten um die Züge ihrer Vorfahren zu bilden, denn es war das Reizvolle dieser alten, nicht abgerissenen Kultur, dass die menschlichen Typen sich erhalten hatten.
Die Geschichte der lebendig bestatteten und wieder auferstandenen Ginevra degli