Sir Isaac schüttelte hilflos den Kopf.
»Ich weiß es nicht«, sagte er teilnahmslos. »Sechs-oder siebentausend Pfund. Und ich habe augenblicklich nicht einmal sechs-oder siebentausend Pence. Es ist eine schreckliche Katastrophe für mich, Black! Ein Mann in meiner gesellschaftlichen Stellung – ich werde meine Pferde verkaufen müssen!«
»Gesellschaftliche Stellung!« Black lachte geringschätzig. »Darum würde ich mich jetzt am allerwenigsten grämen! Ich glaube, Sie leben tatsächlich nicht in der Wirklichkeit! Ist Ihnen denn nicht klar, daß Sie ebensowenig eine gesellschaftliche Stellung haben wie ich? Wer sorgt sich denn darum, ob Sie Ihre Ehrenschulden zahlen oder nicht? Die Leute werden mehr erstaunt sein, wenn Sie zahlen, als wenn Sie Ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Schlagen Sie sich jetzt einmal all diesen Unsinn aus dem Kopf und werden Sie vernünftig. Sie können alles, was Sie verloren haben, wieder hereinholen und noch viel mehr verdienen. Vor allem müssen Sie heiraten – und zwar schnell. Und dann muß Lady Mary eben das Geld ihres Onkels erben – fast ebenso schnell.«
Ikey sah ihn verzweifelt an.
»Selbst wenn sie mich heiraten würde«, sagte er kleinlaut, »müßte ich noch jahrelang auf das Geld warten.«
Black lachte verächtlich.
*
Auf ihrem Heimweg von der Rennbahn wurden sie von einem Mann überholt, der den Baronet am Arm berührte.
»Entschuldigen Sie, Sir Isaac«, sagte er und überreichte ihm ein Kuvert.
»Für mich?«
Ikey öffnete verwundert den Umschlag. Ein kleiner Zettel und vier Banknoten zu je tausend Pfund kamen zum Vorschein.
Tramber las atemlos:
›Zahlen Sie Ihre Schulden und führen Sie von jetzt an ein anständiges Leben. Meiden Sie Oberst Black wie den Teufel und arbeiten Sie, um Ihren Lebensunterhalt zu verdienen.‹
Die Handschrift sah verstellt aus, aber an der Ausdrucksweise war leicht Lord Verlond zu erkennen.
15
Lord Verlond las beim Frühstück die ›Times‹. Das Frühstück war im Hause des Lords kein sehr geselliges Mahl. Lady Mary saß ihm in ihrem hübschen Morgenrock gegenüber und war zufrieden, daß sie ungestört ihre Briefe und Zeitungen lesen konnte. Sie erwartete nicht, daß der alte Herr sich mit ihr unterhielt.
Er sah über den Tisch nachdenklich zu ihr hinüber. Sein Gesicht erschien ihr immer geistvoll und fein, wenn er sich nicht gerade feindselig mit anderen unterhielt. Aber jetzt richteten sich seine ernsten Augen mit einem Ausdruck auf sie, den sie noch nicht gesehen hatte.
»Mary«, sagte er plötzlich unvermittelt, »kannst du wohl eine große Überraschung ertragen?«
Sie lächelte, obwohl sie ein ungewisses Gefühl überkam. Sie hatte schon manchmal einen wirklichen Schrecken in diesem Hause erlebt.
»Ich glaube schon, daß ich es überleben werde.«
Er schwieg einige Zeit, blickte sie aber unverwandt an.
»Würdest du umfallen, wenn du erführst, daß dieser junge Irrwisch, dein Bruder, noch am Leben ist?«
»Er lebt noch!« rief sie aus und sprang auf.
Verlond brauchte sie nicht weiter zu fragen, wie sie die Nachricht aufnahm. Ihr Gesicht rötete sich lebhaft, und ihre Augen strahlten freudig. »Ist das auch wirklich wahr?«
»Ja, es stimmt«, sagte der Lord mürrisch. »Es ist doch merkwürdig, wie alles zugeht. Ich dachte, der junge Bursche sei längst tot. – Warst du nicht auch dieser Ansicht?«
»Ach, sprich doch nicht so, du meinst es ja doch ganz anders.«
»Ich meine genau das, was ich sage«, fuhr er sie an. »Er war entsetzlich ungezogen zu mir, bevor er wegging. Weißt du, wie er mich damals nannte?«
»Aber das war doch schon vor sechzehn Jahren.«
»Meinetwegen vor sechzehn Jahrhunderten! Es ist mir ganz gleichgültig, wie lange es her ist – er hat es mir jedenfalls an den Kopf geworfen. Er sagte, ich sei ein langweiliger alter Schwätzer.« Sie lachte, und auch die Züge des Lords heiterten sich auf.
»Du kannst natürlich lachen! Aber für ein Mitglied des Oberhauses ist es keine einfache Sache, wenn es von einem Etonschüler ein langweiliger Schwätzer genannt wird.«
»Wo ist er denn?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe seinen Weg bis nach Texas verfolgt. Anscheinend war er dort bis zum Alter von einundzwanzig Jahren auf einer Ranch. Nach dieser Zeit war es etwas schwer, ihm auf der Spur zu bleiben.«
»Du hast dich also um ihn gekümmert«, sagte sie plötzlich. »Du hast Nachforschungen angestellt.«
Einen kurzen Augenblick schien der Lord verwirrt zu sein.
»Ich habe nichts dergleichen unternommen«, brummte er dann. »Glaubst du wirklich, ich würde mein schönes Geld zum Fenster hinauswerfen, um herauszubringen, wo sich ein solcher Tunichtgut herumtreibt?«
»Ach, du hast es ja doch getan«, beharrte sie. »Warum tust du immer so, als ob du ein so schrecklicher Mann wärest.«
»Er ist also wohl irgendwie gefunden worden«, sagte er ärgerlich. »Das bedeutet, daß ein großer Teil des Vermögens an ihn übergehen wird, das du sonst geerbt hättest. Gresham wird nun wahrscheinlich nichts mehr von dir wissen wollen.«
Sie lächelte. Lord Verlond erhob sich und ging zur Tür.
»Sag diesem nichtsnutzigen Burschen –«
»Wen meinst du denn?«
»James natürlich! Sag ihm, daß ich meine Ruhe haben will. Ich gehe jetzt in mein Arbeitszimmer und möchte nicht gestört werden. Hast du mich verstanden?«
Lord Verlond war an diesem Morgen sehr beschäftigt, aber auch Oberst Black und sein Freund blieben nicht untätig. Es war Montag, und an diesem Tag mußten alle Wettschulden reguliert werden. In zahlreichen Londoner Clubs warteten Buchmacher, in deren Listen die Namen Blacks und Sir Isaacs mit großen Summen eingetragen waren. Sie sahen immer häufiger sorgenvoll auf die Uhr.
Aber zum Erstaunen aller, die die Verhältnisse genauer kannten, wurden alle Beträge pünktlich beglichen.
Die ›Firma‹ hatte plötzlich wieder Geld bekommen.
Sir Isaac Tramber verbrachte den Nachmittag in einer äußerst zufriedenen Stimmung. Aus tiefster Verzweiflung war er wieder zu einem hoffnungsfreudigen Leben emporgestiegen. Seine Ehrenschulden waren bezahlt, er konnte sich wieder zeigen und den Menschen ins Gesicht sehen.
Als er in einem Taxi zu Blacks Büro fuhr, pfiff er vergnügt eine Melodie vor sich hin.
Der Oberst war nicht in seinem Büro, und Sir Isaac, der vorsichtshalber den Chauffeur hatte warten lassen, fuhr zu der Wohnung des Obersts.
Black kleidete sich gerade für den Abend an, als der Baronet dort eintraf.
»Hallo, Sie kommen zur rechten Zeit!« Black lud ihn zum Sitzen ein. »Ich habe eine Nachricht für Sie, die Ihnen Freude machen wird. Sie gehören doch zu den Leuten, die sich vor den ›Vier Gerechten‹ fürchten. Das haben Sie nun nicht mehr nötig. Ich habe alles über die Leute herausgefunden. Diese Entdeckung kostete mich allerdings zweihundert Pfund, aber das ist die Sache auch wert.«
Er sah auf