»Aber ich dachte, du seist deiner Sache ganz sicher.«
Er lachte ein wenig.
»Nun ja, am Montag ist man voll Vertrauen, und am Dienstag zweifelt man wieder. Das gehört nun einmal dazu. Die Form der Pferde wechselt nicht halb so schnell wie die Stimmung der Eigentümer. Wahrscheinlich treffe ich heute noch jemand, der mir sagt, daß ein gewisses Pferd todsicher im letzten Rennen gewinnen wird. Der Mann packt mich am Jackettknopf und versucht, mir die Überzeugung einzuhämmern, daß dies die leichteste Methode sei, Geld zu machen, seit überhaupt Rennen abgehalten werden. Und wenn ich ihn dann nach dem letzten Rennen wiedersehe, erklärt er mir ganz kalt, daß er überhaupt nicht auf das Pferd gesetzt hat, weil er im letzten Moment einen anderen Tip bekam – von einem Unbekannten, der die Schwester der Tante des Pferdebesitzers kennt. Das ist nun einmal so beim Rennen; du darfst nicht erwarten, daß die Leute beständig sind.
Ich bin natürlich noch immer überzeugt, daß ›Nemesis‹ gewinnen wird, aber ich glaube nicht mehr so felsenfest daran wie früher. Selbst der beste Examenskandidat wird in Gegenwart des Examinators nervös.«
Lord Verlond war zu ihnen getreten und hatte die letzten Worte der Unterhaltung gehört.
»Ikey ist auch jetzt noch ganz sicher, daß ›Timbolino‹ gewinnen wird. Übrigens habe ich eben erfahren, daß der Boden ziemlich weich ist.«
Horace sah ihn einen Augenblick fast ängstlich an. »Das kommt Ihrem Pferd wenig zustatten, mein Freund. Ein Sprinter, der das Lincoln-Rennen versucht, braucht festen Boden. Ich sehe schon, daß ich heute fünfzehnhundert Pfund Gewinn mit nach London zurücknehmen werde.«
»Haben Sie auf ›Timbolino‹ gesetzt?«
»Stellen Sie keine unverschämten Fragen«, sagte der Lord kurz, »die obendrein noch unnötig sind. Sie wissen verdammt gut, daß ich auf ›Timbolino‹ gesetzt habe. Oder glauben Sie das etwa nicht? Ich habe darauf gesetzt, aber ich fürchte, ich werde mein Geld verlieren.«
»Sie fürchten?«
Welche Fehler der Lord auch haben mochte, Horace wußte, daß er mit Anstand verlieren konnte, und war daher ein wenig erstaunt.
Der Lord nickte. Er scherzte jetzt nicht, und der unangenehme, feindliche Ausdruck, den seine Gesichtszüge sonst trugen, war verschwunden. Staunend erkannte Horace, daß Verlond sich plötzlich in einen außerordentlich gut aussehenden älteren Herrn verwandelt hatte. Die festen Linien des Mundes waren gerade, und über dem blassen Gesicht lag ein Schatten von Melancholie.
»Ja, ich fürchte tatsächlich.« Er sprach ruhig und ohne die zynische Bitterkeit, die zu ihm zu gehören schien. »Dieses Rennen ist für manche Leute sehr wichtig. Mich geht die Sache allerdings kaum etwas an.« Ein leichtes Lächeln spielte um seinen Mund. »Aber ich kenne andere«, fuhr er dann ernst fort, »für die der Ausgang dieses Rennens Leben oder Tod bedeutet.« Plötzlich nahm er wieder seine gewöhnliche Haltung an. »Nun? Was sagen Sie dazu, daß der alte Lord Verlond plötzlich sentimental geworden ist, Mr. Gresham?«
Horace schüttelte verwirrt den Kopf.
»Ich fürchte, ich habe Ihnen nicht folgen können.«
»Aber vielleicht können Sie mir in anderer Weise folgen«, erwiderte der Lord schroff. »Hier steht mein Wagen. Guten Morgen!«
Horace schaute ihm nach, bis er ihn nicht mehr sehen konnte; dann machte er sich auf den Weg zum Rennplatz.
Das Benehmen des alten Herrn hatte ihn nicht wenig beunruhigt. Man wußte in ganz London, daß Verlond eine verteufelt scharfe Zunge hatte. Aber als Horace darüber nachdachte, während er am Flußufer entlangging, fand er, daß Lord Verlond eigentlich selten etwas gesagt hatte, was unschuldige, harmlose Leute verletzen oder beleidigen konnte. Sein sarkastischer Spott richtete sich hauptsächlich gegen Angehörige seiner eigenen Klasse, und seine Wutausbrüche galten meistens allgemein bekannten Missetätern.
Die Art, wie er seinen Erben behandelt hatte, war natürlich unverzeihlich. Der Lord selbst entschuldigte diese auch niemals; er vermied es hartnäckig, darüber zu sprechen, und im allgemeinen wagte auch niemand, diese unangenehme Sache in seiner Gegenwart zu erwähnen.
Lord Verlond war außerordentlich wohlhabend und Horace Gresham hatte allen Grund, sich darüber zu freuen, daß er selbst gleichfalls ein nicht unbeträchtliches Vermögen besaß. Im anderen Fall wären seine Aussichten nicht die glänzendsten gewesen. Sein eigener Reichtum schloß zumindest die Vermutung aus, daß er nur Lady Marys Geld nachjagte – ein Verdacht, der sonst sicher laut geworden wäre. Ihm selbst war es höchst gleichgültig, ob sie die Millionen des Lords erbte oder nicht.
An diesem Tag befanden sich auch Leute in Lincoln, die die Situation nicht mit so philosophischer Ruhe betrachteten.
Sir Isaac Tramber war geradenwegs zu der Villa auf dem Hügel gefahren, die Oberst Black für zwei Tage gemietet hatte. Er kam in denkbar schlechter Stimmung an seinem Ziel an.
Black saß gerade beim Mittagessen, als der Baronet eintrat.
»Hallo, Ikey! Nehmen Sie gleich hier am Tisch Platz.«
Sir Isaac betrachtete die Speisen kritisch.
»Danke – ich habe schon im Zug gegessen. Ich möchte mit Ihnen reden.«
»Na, dann erleichtern Sie Ihr Herz.« Black legte ein neues Kotelett auf seinen Teller. Er aß reichlich und fand viel Vergnügen darin, gut zu speisen.
»Sehen Sie, Black, die Lage ist wirklich verzweifelt. Wenn mein verdammtes Pferd heute nicht gewinnt, weiß ich wirklich nicht, wo ich noch Geld hernehmen soll.«
»Eins ist jedenfalls sicher«, entgegnete Black kühl, »von mir können Sie nichts bekommen. Ich bin in ebenso großer Verlegenheit wie Sie.«
Tramber schwieg, und Black beendete seine Mahlzeit. Dann schob er den Teller zurück und nahm ein Zigarettenetui aus der Tasche.
»Was können wir denn nun mit Ihrem ›Timbolino‹ gewinnen?«
»Etwa fünfundzwanzigtausend Pfund«, erwiderte Sir Isaac verstimmt. »Aber ich weiß wirklich nicht, ob das verfluchte Pferd das Rennen machen wird. Ich fürchte diesen Gaul von Gresham.«
»Das ist mir aber ganz neu – so etwas habe ich doch früher nie von Ihnen gehört.«
»Die Sache ist nicht zum Lachen! Mein Trainer Tubbs hat ›Nemesis‹ beobachtet. Sie läuft unglaublich schnell; die einzige Frage ist, ob sie auch durchhält.«
»Kann man denn nicht an sie herankommen?«
»Was für ein Unsinn!« rief Tramber unwillig. »In drei Stunden soll das Rennen beginnen. Haben Sie eine Ahnung vom Rennbetrieb! Sie können doch ein Pferd nicht innerhalb von drei Stunden durch irgendwelche Mittel außer Form bringen. Wenn man drei Tage Zeit hätte, wäre das vielleicht möglich, wenn man den Trainer für sich gewinnen könnte. Aber Trainer, die gegen ihren eigenen Stall arbeiten, finden Sie nur in Romanen.«
Black schnitt sorgfältig das Ende einer Zigarre ab.
»Wenn Ihr Pferd verliert, können wir also Konkurs anmelden«, meinte er nachdenklich. »Ich habe darauf gesetzt, um mein Leben zu retten«, fügte er mit grimmigem Ernst hinzu.
Er klingelte, und gleich darauf trat ein Mädchen ein.
»Der Wagen soll vorfahren.« Black sah nach der Uhr. »Ich mache mir zwar nicht besonders viel aus Rennen, aber heute werde ich den Tag doch lieber im Freien zubringen. Da kann man besser denken und hat mehr Einfälle.«
13
Der Rennplatz war außerordentlich belebt. Die Sportwelt interessierte sich sehr für das Lincoln-Rennen, und das prachtvolle Wetter hatte ein übriges getan, zahllose