Der Optimismus seines Begleiters ermutigte Sir Isaac ein wenig, und er erwartete die Entscheidung in besserer Laune. Dazu kam noch, daß sich die meisten Zuschauer ähnlich äußerten wie Black. Alles setzte auf ›Timbolino‹. Man konnte zwei zu eins gegen ›Nemesis‹ setzen.
Aber diese Stimmung dauerte nur kurze Zeit.
Gresham war mit Mary in den Teeraum gegangen und stand an dem kleinen Eingang, der zu den Tribünen hinaufführte, als ihm der Ruf: »›Nemesis‹ zwei zu eins!« entgegentönte.
»Die werden doch nicht etwa gegen mein Pferd wetten!« rief er erstaunt.
Er winkte einen Bekannten heran, der gerade vorüberging.
»Wird gegen ›Nemesis‹ gewettet?« fragte er.
Der Mann nickte. Es war ein Kommissionsagent, der alle möglichen Aufträge entgegennahm, die man ihm gab.
»Gehen Sie hin und setzen Sie für mich auf ›Nemesis‹. Setzen Sie soviel Geld, wie Sie nur auftreiben können. Sehen Sie zu, daß Sie die Quote auf eins zu eins bringen«, sagte Gresham entschlossen.
Er war kein Spieler, aber er war klug und geschäftstüchtig. Er konnte ein Rennen richtig beurteilen und wußte genau, was sich zugetragen hatte. Daß er plötzlich auf sein eigenes Pferd setzte, machte großen Eindruck. Das Interesse für ›Timbolino‹ flaute ab und wandte sich bis zu einem gewissen Grade ›Nemesis‹ zu.
Dann wurden wieder bedeutendere Summen auf das Pferd von Sir Isaac gesetzt.
Black wettete nicht aufs Geratewohl, aber hier sah er eine Chance, leicht Geld zu verdienen. Er glaubte wirklich, was er Sir Isaac gesagt hatte, und war fest davon überzeugt, daß der Jockei sich keine Mühe gegeben hatte. Da er noch genügend Kredit bei den besten Buchmachern hatte, konnte er hohe Wetten abschließen.
Aufs neue machte sich ein völliger Umschwung bei den Wetten bemerkbar. Wieder war ›Timbolino‹ der Favorit, und ›Nemesis‹ lag schwächer – zuerst sechs zu vier, dann zwei zu eins, dann fünf zu zwei.
Aber nun gingen telegrafische Wetten aus dem ganzen Land ein. Die Resultate des Rennens und knappe Berichte waren in den Abendzeitungen von England, Irland und Schottland erschienen.
Die kleinen Wetter in ganz Großbritannien trafen schnell ihre Entscheidungen und setzten aufs neue. Einige wollten ihre bisherigen Einsätze retten, andere ihre Gewinne, wie sie glaubten, noch vergrößern.
Sie setzten fast ausschließlich auf ›Nemesis‹. Die objektiven Berichterstatter hatten kein anderes Interesse gehabt, als dem Publikum genaue Berichte zu geben und den Verlauf des Rennens so zu schildern, wie er gewesen war. Und sie hatten ein anderes Bild gewonnen als Sir Isaac Tramber und Oberst Black.
Das letzte Rennen war für halb fünf Uhr angesetzt, und nachdem die Pferde am Ziel angekommen und abgesattelt waren, wurden ›Timbolino‹ und ›Nemesis‹, die in dem denkwürdigen Lincolnshire-Handicap ein totes Rennen gelaufen waren, feierlich zur Bahn geführt.
Die Frage des Platzes war bedeutungslos. Zwei erfahrene alte Jockeis ritten die Tiere, und es gab keinen langen Aufenthalt beim Start. Ein Rennen mit nur zwei Pferden gewährleistet jedoch noch nicht den gleichmäßigen Start. Es schien nichts im Wege zu stehen, daß das winzige kleine Feld zur selben Zeit abkam, aber als das Band hochschnellte, drehte sich ›Nemesis‹ gerade halb um und verlor dadurch einige Längen.
»Ich wette auf ›Timbolino‹«, rief jemand mit schriller Stimme am Fuß der Tribünen. Schnell antwortete ein anderer: »Ich nehme an – drei zu eins.«
Die Wette wurde noch von vielen Seiten durch Zuruf angenommen.
Sir Isaac beobachtete das Rennen von unten aus. Black stand an seiner Seite.
»Nun, was habe ich Ihnen gesagt?« fragte der Oberst befriedigt. »Sie haben das Geld so gut wie in der Tasche, mein Junge. Sehen Sie doch, Ikey, mit drei Längen in Front! Das Rennen können Sie ja gar nicht mehr verlieren.«
Der Jockei von ›Nemesis‹ trieb sein Pferd nicht vor der Zeit an, hielt die Zügel kurz und schien sich damit zufriedenzugeben, drei Längen zurückzuliegen. Gresham beobachtete die beiden Pferde durch den Feldstecher und war mit dem Verhalten seines Jockeis zufrieden.
»Sie laufen nicht allzu schnell«, sagte er zu dem Herrn an seiner Seite. »Aber vorhin war ›Nemesis‹ an diesem Punkt noch weiter zurück als jetzt.«
Beide Pferde lagen ruhig im Rennen. Bei dem fünften Achtmeilenpfosten gab der Jockei ›Nemesis‹ die Zügel etwas frei, und ohne offensichtliche Anstrengung verbesserte die Stute ihre Position. Er wußte genau, was er ihr zutrauen konnte, und hielt sie vorläufig zurück.
Der Rest des Rennens ist rasch geschildert. Es war in keiner Weise aufregend, bis sie den letzten Pfosten vor dem Ziel erreichten. In diesem Augenblick sah sich der Jockei von ›Timbolino‹ um.
»Er ist geschlagen«, sagte Gresham halb zu sich selbst. Er wußte aus Erfahrung, daß einige Jockeis die Angewohnheit haben, sich umzudrehen, wenn das Pferd unter ihnen nachläßt.
Zweihundert Yard vom Ziel entfernt holte ›Nemesis‹ mühelos auf, so daß sie mit ihrem Gegner auf gleiche Höhe kam. ›Timbolinos‹ Jockei hob die Peitsche.
Zwei kurze, scharfe Schläge, und das Pferd schoß eine Kopflänge vor. Aber ›Nemesis‹ griff aus, ging an dem rasch zurückfallenden ›Timbolino‹ vorüber und gewann das Rennen leicht mit eineinhalb Längen.
Sir Isaac wollte seinen Augen nicht trauen. Er keuchte schwer, ließ den Feldstecher sinken und starrte bestürzt auf die Pferde.
Es war klar, daß sein Pferd geschlagen war, schon lange, bevor es das Ziel erreicht hatte.
»Er hält das Pferd absichtlich zurück«, schrie er, außer sich vor Wut und Ärger. »Seht doch diesen Betrüger an, ich werde ihn vor das Ehrengericht bringen! So reitet man doch kein Pferd!«
Blacks Hand spannte sich stahlhart um seinen Arm.
»Halten Sie doch den Mund«, flüsterte er ihm zu. »Wollen Sie denn allen Leuten hier auf die Nase binden, daß Sie bankrott sind? Das Rennen ist ganz in Ordnung, Sie sind besiegt. Ich habe ebensoviel verloren wie Sie – machen Sie, daß Sie von hier wegkommen.«
Sir Isaac eilte mitten durch die große Menschenmenge, die erregt über den Ausgang des Rennens debattierte. Er fühlte sich wie betäubt und konnte noch nicht fassen, was das für ihn bedeutete. In seiner Verstörtheit und Verwirrung war ihm nur eins klar: ›Timbolino‹ hatte verloren! Ein dunkles Gefühl sagte ihm, daß er ein ruinierter Mann war, wenn nicht Black ihn auf irgendeine wunderbare Weise aus dieser Situation rettete. Das war die einzige Hoffnung, die ihm blieb – und an diese klammerte er sich jetzt.
»Das Pferd ist mit Absicht zurückgehalten worden«, wiederholte er düster. »Es war ganz unmöglich, daß es verlieren konnte! Das ist doch richtig, Black?«
»Wollen Sie wohl ruhig sein«, fuhr ihn der Oberst an. »Sie werden noch die größten Unannehmlichkeiten haben, wenn Sie Ihre Zunge nicht im Zaum halten.«
Er führte den zitternden Mann von der Bahn fort und ließ ihn einen steifen Brandy trinken.
Allmählich fand der Baronet in die Wirklichkeit zurück, und seine schreckliche Lage kam ihm zum Bewußtsein.
»Ich kann nicht zahlen, Black«, jammerte er. »Was für eine fürchterliche Katastrophe für mich! Was war ich doch für ein Narr, daß ich Ihren Rat annahm! Verdammt noch mal, Sie haben mit Gresham unter einer Decke gesteckt – warum hätten Sie mir sonst den