»Ich fürchte, das kann ich nicht zugeben«, sagte Frank kühl.
Sie starrte ihn an.
»Ich möchte Ihnen ein für allemal sagen, Mr. Fellowe, daß ich meine eigene Herrin bin und tue, was mir gefällt. Sie haben nicht das mindeste Recht«, – sie stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf –, »mir zu sagen, was ich tun oder lassen soll. Ich gehe, wohin ich will und mit wem ich will.«
»Heute abend werden Sie jedenfalls nicht ausgehen«, erwiderte Frank ungerührt.
»Wenn es mir paßt, heute abend auszugehen, dann werde ich es tun!«
»Nein, Sie werden das bleibenlassen.« Er hatte sich jetzt wieder ganz in der Gewalt. »Ich werde vor Ihrem Hause warten. Wenn Sie mit diesem Mann ausgehen, verhafte ich Sie.«
Sie trat entsetzt einen Schritt zurück.
»Ich werde Sie ganz bestimmt verhaften«, fuhr er entschlossen fort. »Ich kümmere mich nicht darum, welche Folgen das für mich hat. Ich werde irgendeine Beschuldigung gegen Sie erheben, werde Sie durch die Straßen auf die Polizeistation bringen und in eine Zelle sperren, als ob Sie eine gemeine Diebin wären. – Das alles werde ich tun, weil ich Sie liebe«, sagte er leidenschaftlich, »weil Sie für mich das Höchste und Wertvollste auf dieser Welt sind – weil ich Sie mehr liebe als mein Leben, mehr, als Sie jemals ein anderer Mann lieben kann. – Und wissen Sie, warum ich Sie auf die Polizeistation bringen werde?« fuhr er dann ernst fort. »Weil Sie dort sicher sind! Die Frau, die Sie dort betreut, steht dafür ein, daß Sie nicht mit einem solchen Schuft in Berührung kommen – dorthin darf er Ihnen nicht folgen, wie unverschämt er auch sonst sein mag.«
Er wandte sich wütend um, als Oberst Black in tadellosem Abendanzug das Zimmer betrat.
Der Oberst blieb plötzlich stehen, als er Franks Gesichtsausdruck sah, und ließ seine Hand in die Tasche gleiten.
»Nehmen Sie sich vor mir in acht!« rief Frank.
Black erblaßte.
May fand endlich ihre Sprache wieder.
»Wie können Sie nur! Was erlauben Sie sich!« sagte sie tonlos. »Sie wollen mich verhaften – wie können Sie nur an so etwas denken? Und obendrein erzählen Sie noch, daß Sie mich lieben!« Sie sah ihn zornbebend an.
Er nickte langsam.
»Ja, ich liebe Sie«, erwiderte er ruhig, »ich liebe Sie so sehr, daß ich um Ihrer Sicherheit willen Ihren Zorn auf mich ziehe. Kann ich Sie noch mehr lieben?«
In seiner Stimme lag ein bitterer und zugleich rührend hilfloser Ton, aber seine Entschlossenheit war nicht mißzuverstehen.
Er verließ sie nicht eher, als bis sich Black nach einer scharfen Auseinandersetzung mit ihm verabschiedet hatte. In seiner erklärlichen Aufregung hatte er seine ursprüngliche Absicht, dem Oberst eine kleine, grüne Flasche mit Glasstöpsel abzunehmen, vollständig vergessen.
Als Black an diesem Abend in seine Wohnung zurückkehrte, fand er untrügliche Anzeichen, daß sie systematisch durchsucht worden war. Er könnte jedoch nicht entdecken, wie sich die Leute Zutritt verschafft hatten. Die Türen waren alle geöffnet, obwohl sie mit den kompliziertesten Sicherheitsschlössern versehen waren und er selbst sie mit einem Schlüssel verschlossen hatte, von dem kein Duplikat existierte. Die Fenster waren alle geschlossen, es war auch kein Versuch gemacht worden, Geld oder Wertsachen aus dem Schreibtisch zu entwenden. Als einziges Zeichen ihrer Anwesenheit hatten die Einbrecher ein Siegel zurückgelassen, das in das Löschpapier auf dem Schreibtisch eingedrückt war.
In dem sauberen runden Wachssiegel stand nur eine römische Vier. Aber die Schlichtheit dieser Mahnung erschreckte ihn um so mehr. Es schien, als ob die ›Vier Gerechten‹ all seiner Bemühungen, sich ihnen zu entziehen, spotteten. Sie öffneten ohne Mühe seine sichersten Patentschlösser, wußten mehr und besser über seine Tätigkeit Bescheid als seine vertrautesten Freunde und kamen und gingen, wann es ihnen paßte.
Diese Erkenntnis hätte einen Mann, der nicht die Zähigkeit Blacks besaß, sicher völlig verwirrt und hilflos gemacht. Aber der Oberst hatte schon einen jahrelangen harten Kampf geführt. Wie viele fürchterliche Drohungen hatte er schon erhalten! Ständig hatte er im Schatten der Vergeltung gelebt, und doch hatte ihn die angedrohte Rache nie ereilt.
Mit Stolz rühmte er sich, daß er noch nie die Ruhe verloren oder sich zu übereilten Handlungen hatte hinreißen lassen. Aber nun wurde, vielleicht zum ersten Male in seinem Leben, seine Handlungsweise nicht von persönlicher Habgier diktiert, sondern von einer größeren Leidenschaft – er wollte sich rächen.
Diese Einstellung ließ ihn weniger sorgfältig vorgehen, als er es sonst zu tun pflegte. Er achtete nicht darauf, ob man ihn an diesem Abend beobachtete, und doch waren ihm ›Schatten‹ gefolgt – nicht nur einer, sondern mehrere.
12
Sir Isaac Tramber war in einer bösen Stimmung, als er sich nach Lincoln begab. Er hatte sich ein Zugabteil reservieren lassen und verwünschte das unglückliche Zusammentreffen, als er entdeckte, daß das nächste von Horace Gresham belegt war.
Er war auf dem Bahnsteig auf und ab gegangen und hatte auf seine Gäste gewartet. Lord Verlond hatte versprochen, ihn zu begleiten und auch Lady Mary mitzubringen. Um so größer war sein Ärger gewesen, als er am Fenster des nächsten Abteils das Schild entdeckt hatte: ›Reserviert für Mr. Horace Gresham‹.
Horace kam ungefähr fünf Minuten vor Abfahrt des Zuges. Er war, im Gegensatz zu Sir Isaac, zufrieden und gut gelaunt; er erwiderte den kaum wahrnehmbaren Gruß des Baronets durch ein leichtes Kopfnicken.
Tramber sah nervös auf seine Uhr und fluchte innerlich auf Verlond und sein verschrobenes Wesen. Drei Minuten vor Abfahrt des Zuges tauchten die Gestalten des jungen Mädchens und des alten Mannes endlich in der Ferne auf.
»Sie dachten wohl, wir würden überhaupt nicht kommen?« fragte der Lord, als sie herangekommen waren. »Sie scheinen etwas nervös zu sein.«
Sir Isaac half Lady Mary etwas verlegen beim Einsteigen.
»Aber nein, ich hatte nur nicht damit gerechnet, daß Sie so spät kommen würden.«
»Wir sind doch gar nicht spät daran.«
Verlond ließ sich gemächlich auf dem Eckplatz nieder, den Sir Isaac für die junge Dame vorgesehen hatte.
Bekannte gingen vorbei und grüßten; ein paar Neugierige traten näher.
»Fahren Sie auch zu den Rennen nach Lincoln, Lord Verlond?« fragte ein junger Mann.
»Nein«, erwiderte der Lord mit gespielter Liebenswürdigkeit, »ich bin eben im Begriff, mich mit Mumps ins Bett zu legen.«
Nach dieser Antwort verzog sich der andere schleunigst.
»Sie können sich zu mir setzen, Ikey – lassen Sie Mary nur allein«, sagte der Alte mürrisch. »Ich möchte zunächst einmal alles über Ihr Pferd wissen. Hundertfünfzig Pfund habe ich darauf gesetzt. Es ist viel wichtiger, daß Sie mir über das Pferd Aufschluß geben, als daß Sie nichtssagende Fragen an meine Nichte stellen.«
»Das war aber doch gar nicht meine Absicht«, entgegnete Sir Isaac vorwurfsvoll.
»Doch! Sie wollen wissen, ob sie heute nacht gut geschlafen hat, ob sie es auch nicht zu warm im Wagen findet, ob sie lieber mit dem Rücken oder mit dem Gesicht zur Fahrtrichtung sitzt und ob ihr ein Eckplatz angenehmer ist als ein Mittelplatz. Lassen Sie Mary nur zufrieden, Ikey. Das entscheidet sie alles am besten selbst. Ich kenne das Mädchen besser als Sie.« Er sah Mary aufmunternd an. »Der junge Gresham ist nebenan. Geh doch einmal in den Gang und klopf ans Fenster,