»Ja denn, Gräfin,« murmelte er verlegen, »ich bitte Sie, bleiben Sie im Lager.«
»Nein, Suwarow, ich bleibe nicht,« sagte sie rasch mit ihrer herrlichen Energie, »ich würde wieder in Angst vergehen, wenn ich nicht bei Ihnen wäre. Sie müssen mir schon gestatten, heute mit Ihnen zu siegen oder zu sterben.«
Die denkwürdige Nacht des 17. Dezember brach an. Ohne Trommelschlag, die Füße mit Stroh umwunden, die erste Kolonne, von Suwarow geführt, ohne einen Schuß im Lauf und ohne Patrontasche, voran, die anderen in einer Distanz von 1000 Schritten folgend, setzten sich die Russen in Bewegung. Kein Laut verriet das große Unternehmen. Schon standen die Freiwilligen vor dem Festungsgraben, Suwarow machte das Kreuz und warf sich, der Erste, hinein. Die Anderen stürmten nach.
Der Überfall gelang vollständig, die türkischen Posten wurden überrascht und niedergemacht, der Wall erstiegen. Kein Schuß fiel, nur das Bajonett arbeitete. Aber jetzt entstand Alarm in der Festung, und die Janitscharen stürzten von allen Seiten auf die Basteien, die nachfolgenden Regimenter wurden überall von einem mörderischen Feuer empfangen, zugleich machte ein Teil der Besatzung einen Ausfall und schnitt Suwarow mit seinen sechshundert Mann von der übrigen Armee ab.
Die Gräfin hatte, nur von einigen Freiwilligen ihres Regiments gefolgt, zuerst die russische Fahne auf der Mauer von Otschakoff aufgepflanzt und die türkischen Kanoniere niedergehauen, dann war sie in die Straßen der Stadt vorgedrungen und hier von allen Seiten umzingelt worden.
In dem Augenblicke, wo es für Suwarow galt, die Verbindung mit den anderen Sturmkolonnen herzustellen, vermißte er die Gräfin, er rief ihren Namen, niemand antwortete. Todesangst faßte ihn, statt die eroberte Batterie zu behaupten, warf auch er sich mit seinen Leuten in die Stadt, nur von dem einen Gedanken beseelt, sie zu retten. Für kurze Zeit schien Alles verloren, die Stürmenden begannen zu weichen, die Türken erhoben ein bestialisches Siegesgeschrei. Da hörte Fürst Repnin, daß Suwarow abgeschnitten sei, warf sich vom Pferde unter seine Soldaten und rief, die Fahne ergreifend: »Suwarow, unser Vater, ist gefangen, mir nach, wer kein Feigling ist!«
»Suwarow, Suwarow gefangen, rettet Suwarow!« lief es von Mund zu Mund, und Alles lief von neuem zum Sturme. Fürst Repnin drang zuerst mit zwei Regimentern ein und brachte Suwarow, der sich bereits im Rücken bedroht sah, Hülfe zur rechten Zeit.
Unaufhaltsam führte der Held nun seine Leute vorwärts, die Janitscharen vor sich niedermetzelnd, bis er den weißen Federbusch der Gräfin wiedersah. Sie selbst stand, nur von wenigen Soldaten umgeben, an ein Haus gelehnt, die Flinte eines Gefallenen in der Hand, und wehrte sich mit der letzten Kraft der Verzweiflung.
»Tötet sie nicht, sie muß lebendig in unsere Hände fallen,« riefen die Türken einander zu, ein Jeder wollte das schöne Weib besitzen. Da fiel Suwarow, in einer Hand den Degen, in der andern die Lanze eines Kosaken, mitten unter sie, trieb sie auseinander und befreite so die Gräfin, welche seine Hand ergriff und in fieberhafter Aufregung an ihr Herz preßte.
Jetzt erst bemerkte Suwarow, daß die Gräfin blutete. »Sie sind verwundet?« rief er.
»Ich glaube,« entgegnete sie matt.
»Wo, um Gotteswillen?«
Sie wies auf ihren linken Arm, er hatte die Stelle bald entdeckt, und während ringsum Schüsse fielen, das Gestöhn der Verwundeten und Sterbenden sich in das Feldgeschrei der Kämpfenden mischte, preßte er seine Lippen auf die Wunde und begann so das Blut zu stillen.
Ein furchtbares Blutbad, ein Gemetzel ohne Gleichen folgte. Als die Sonne sich erhob, wehte die russische Fahne von allen Wällen und Türmen. Otschakoff war erstürmt.
*
Drei Tage lang wurde die Stadt geplündert. Dreißigtausend Gefallene von beiden Seiten bedeckten das Schlachtfeld von Otschakoff.
Als Potemkin dasselbe in Augenschein nahm und seine toten und verstümmelten Soldaten sah, begann er laut zu weinen. So seltsam waren in diesem großen Barbaren Selbstsucht und Roheit mit Großmut und Güte gemischt.
Nachdem man die gefallenen Russen beerdigt hatte, wurden die Leichen der Janitscharen auf dem festgefrorenen Liman aufgeschichtet in der Absicht, daß sie der kommende Eisstoß im Meere begrabe. Die russischen Damen aus dem Gefolge Potemkin’s kamen nun in Schlitten, in ihre prachtvollen Pelze gehüllt, und fuhren um diese grauenvollen Pyramiden herum, die kraftstrotzenden Leiber der toten Janitscharen bewundernd.
Eine Scene, bei der sich das Haar emporsträubt.
Potemkin erhielt von der Kaiserin Katharina II. für den Sieg bei Otschakoff das große Band des Georgordens, hunderttausend Rubel, den Titel eines Hetmans der Kosaken und einen mit Diamanten besetzten und mit Lorbeer umwundenen Feldherrnstab.
Ein noch herrlicherer Lohn wurde Suwarow zu Teil.
Die Wunde der Gräfin Soltikoff war so unbedeutend, daß sie schon nach wenigen Tagen das Bett verlassen konnte. Als sie das erste Mal, in warmes Pelzwerk gehüllt, in ihrem Fauteuil saß, kam Suwarow, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.
»Sie sind noch recht bleich, Gräfin,« sagte er besorgt.
»Und Sie noch viel mehr, General,« erwiderte sie lächelnd, »man könnte beinahe glauben, daß Sie eine bei Weitem gefährlichere Wunde davongetragen haben.« »So ist es, Gräfin,« seufzte er, »der Volksglaube behauptet, daß man demjenigen, von dessen Blut man getrunken, mit Leib und Seele verfallen ist. An mir scheint dies zur Wahrheit zu werden. Sie haben mich an der Kette wie den armen Pascha, und wenn es Ihnen beliebt, werde auch ich in Kurzem vor Ihrem Zelte den Mond anbellen können.«
»Nein, General,« sagte die Gräfin mit einem Blicke, der den General süß durchschauern machte, »für Sie weiß ich eine bessere Stelle.«
»Und diese wäre?«
»Zu meinen Füßen, Suwarow, denn von da ist es nicht mehr weit zu meinem Herzen.«
Schon lag der Held von Kinburn und Otschakoff vor ihr auf den Knieen, und die schöne mutige Frau schlang in inniger Liebe die Arme um ihn.
Katharina II.
Venus und Adonis
Erstes Kapitel.
An einem heißen Sommernachmittag des Jahres 1785 hatte in einem dichten, schattigen Gebüsch des Parkes von Zarskoje Selo ein junger Maler sein luftiges Atelier aufgeschlagen. Seine schlanke Gestalt und sein edel geschnittener Kopf mit den glühenden, dunklen Augen verrieten auf den ersten Blick den Italiener. Er saß auf einem Stein und zeichnete, und vor ihm stand sein Modell, ein junges, hübsches russisches Bauernmädchen mit blondem Haar und vollem Busen, das er trotz ihrem verschämten Widerstreben zu diesem Zwecke von der nahen Gänseweide entführt hatte. Plötzlich teilten sich die Zweige des grünen Musenasyles und eine Frau von dem Umfange einer holländischen Heringstonne stand vor den beiden. Die ländliche Venus stieß einen gellenden Schrei aus und lief davon, während der italienische Maler einige kräftige heimatliche Flüche ausstieß. Der weibliche Störenfried stand indes, die Arme auf der kolossalen Brust