Die Liebeswunde wurde lange Zeit in ihrer Brust unterhalten, bis eines Tages Sophronius ausgegangen war, auf einem gelehrten Fechtplatze die Gegner seiner Meinungen öffentlich zu Boden zu disputieren. Seine Abwesenheit, die wegen seiner Streitsucht in dergleichen Fällen gemeiniglich lange dauerte, war die günstigste Gelegenheit zu einer Liebeserklärung. Aber die Sache war höchst kützlich: ein Frauenzimmer, eine Liebeserklärung! – Sogenannte Tugend, das heißt, verkleideter Ehrgeiz, weibliche Schamhaftigkeit, Furchtsamkeit stritten in ihr dawider: geschwind warf ihre Neigung das Gewand der heiligen Freundschaft um, kiff und tobte wider die Gegenpartei, bis diese übertäubt war und schwieg. – Gleich wurde Tobias in ihr Zimmer gerufen.
Hätte Sophronia Emiliens Talente gehabt, so hätte sie einen ganz andern Weg gewählt: Anstatt ihrem Liebhaber das Herze mit Gewalt sprengen zu wollen, hätte sie eine Miene angelegt und – puff! wäre es in die Luft geflogen.
Er traf sie in ihrem Nachtkleide, so nachtmäßig angezogen, daß sogar ihre Füße unbedeckt waren. Sie nahmen beide Platz am Teetische. Der sein sollende Liebhaber saß wie ein versteinerter Menschenkörper da, sprach gleichgültig zuweilen etliche Worte und sahe gleichgültig durch das dünne Nachtkleid wie durch die Gläser eines Guckkastens. Die Zigeunerin lief ihm wieder durch den Kopf. – Da der Tee getrunken war und seine äußerste Unempfindlichkeit noch nicht viel Hoffnung versprach, so rückte sie zum Hauptangriffe an. Sie hielt ihm eine Rede, die nach ihrer Meinung ungemein feine Wendungen enthielt und doch in halbverblümten Ausdrücken ohne die geringste Wendung sagte, was sie wünschte und begehrte. Die Zigeunerin hielt einen neuen Durchmarsch und trat so stark auf, daß Tobias um den Kopf warm wurde. – Das Gespräch wurde auf verwandte Materien geleitet, der Antrag wiederholt; Tobias nahm seinen Hut. Sie hielt ihn zurück, sie bat, sie liebkoste, sie beschwor ihn, dazubleiben; er blieb. Sie faßte bei der Gelegenheit seine Hände, sie drückte sie auf das zärtlichste, sie ging zu einem Ruhebette, sie setzte sich, sie verdoppelte ihre Schmeicheleien und Liebkosungen. Tobias fühlte eine hastige Bewegung an dem Ventile der rechten Herzenskammer, daß er vor Beklemmung einen tiefen Seufzer holte. Dies nahm Sophronia für eine Losung zur Übergabe an und glaubte nunmehr den entscheidenden Angriff zu tun; sie griff ihm säuberlich nach –
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»Homo tamen habet ideas innatas, du Ignorant!« – Mit diesen Worten trat eben Sophronius polternd in die Stube, warf Hut und Stock auf den Tisch, ohne einen Blick auf das Ruhebette zu tun.
»Homo tamen habet ideas innatas, innatissimas«, sprach er – »du Nichtswürdiger! – O könnte ich dich meiner Rache aufopfern!«
Die Zweideutigkeit dieser Herausfoderung und die Überraschung bei einer Unternehmung wider die ehelichen Rechte wirkten bei Sophronien eine so schnelle Furcht, daß sie nicht imstande war, ihre Herzhaftigkeit aufzubieten, sondern den zitternden Liebhaber bei dem Arme faßte und in das nächste Kabinett stieß.
Sophronius, der in seinem Zorne keines Sinnes mächtig blieb, nahm nicht das geringste von seiner Flucht wahr, sondern warf sich nachdenkend in einen Stuhl. Plötzlich fuhr er auf: »Zermalmen will ich dich!« rief er und lief nach dem Kabinette. –
»Vor aller Welt dich deiner Ignoranz überführen!« – Madam verstund auch dies unrecht und bildete sich gewiß ein, daß er die Gebeine des armen Tobias zu Pulver stoßen wolle.
Eilfertig rennte sie auf ihren Mann zu und wollte ihn abhalten, ins Kabinett zu gehn.
»Was?« rief er, »soll ich meine Feinde, meine Widersacher nicht schlagen? öffentlich Unrecht behalten, ohne daß meine Feder mich verteidigt?«
Sie merkte bei diesen Worten wohl, daß es eine gelehrte Schlacht ohne Blutvergießen werden sollte, allein es lag ihr doch daran, ihn außer dem Kabinette zu erhalten. Sie sagte ihm daher ganz gelassen: »Im Kabinette sind keine Feinde.«
»Aber meine Waffen!« versetzte er.
»Du ereiferst dich, bester Mann! Du schadest deiner Gesundheit, wenn du sogleich auf den Ärger nachdenkst und den Kopf anstrengst; warte bis diesen Nachmittag!«
»Ich kann nicht! – Meine Ideen sprengten mir den Kopf, so voll ist er von dem, was ich zur Beschämung des Ignoranten dem Publikum sagen will. – Ich muß fort, ich muß meine Ideen aufs Papier werfen oder ersticken.«
»Ich kann es unmöglich zulassen; ich muß dich dann zu deinem Besten zwingen, dir nicht das Leben zu rauben.«
»Ich muß, ich muß!« schrie er, wand sich los und rennte in das Kabinett hinein.
Tobias, der, ohne zu wissen, warum, am ganzen Leibe zitterte, glaubte zuversichtlich, daß Sophronius seinen Gebeinen den Untergang durch jene schrecklichen Worte angedroht habe; da er also das Rasseln an der Türe hörte und besorgte, die Drohung sollte sogleich in Erfüllung gehen, so versteckte er sich weislich unter einen Tisch, der ringsum mit einem grünen Tuche behangen war.
Sophronius warf nach seinem Eintritte die Kleidung eilfertig ab und setzte sich im Schlafrocke an den nämlichen Tisch, der meinen Helden wider seine Wut schützen sollte. Er ergriff die Feder, tauchte sie ein und hatte schon die Worte: Vindiciae veritatis – ganz leserlich hingeschrieben, als etwas sein rechtes Bein drückte; er streckte es unter den Tisch bis an die Wand aus, und da Tobias den ganzen Raum unter den Tische ausfüllte, so fand das Bein einen undurchdringlichen Widerstand; in seiner gelehrten Begeisterung wollte er sein Vorhaben mit Gewalt durchsetzen und stieß etlichemal auf den armen Versteckten mit solcher Heftigkeit los, daß er laut seufzte. Er horchte – und schrieb weiter. Kurz darauf fiel es dem Beine zum zweiten Male ein, sich eine bequemere Lage zu suchen; es fuhr hastig unter den Tisch und ließ sich nach einem derben Stoße auf Tobias' Genicke nieder. Eine Zeitlang ertrug er diese Beschwerlichkeit; doch Sophronius geriet bei den Stellen, wo er Meisterhiebe auf seinen Gegner tat, mit dem ganzen Körper in Affekt, und dergleichen affektvolle Stellen kamen so oft, daß seine Füße unaufhörlich auf Tobias' Genicke stampften. In der Länge wurde dies empfindlich; er nahm deswegen sehr bescheiden den einen Fuß des Sophronius, um ihn vom Halse auf einen weniger empfindlichen Teil zu legen. Wie erschrak Sophronius! Bestürzt warf er den Stuhl zurück, sprang auf, warf mit dem Ärmel das Tintenfaß auf seine vindicias, lief in die Stube und, als er da niemanden fand, in die Stube seiner Frau, wo er ganz erschöpft und todblaß ankam. Inzwischen nützte das Gespenst, das ihn in die Flucht getrieben hatte, die Gelegenheit, kroch hervor und schlich so leise durch die Stube hindurch, als wenn er die böseste Tat verübt hätte.
»Was hast du?« fragte ihn Madam Sophronia mit etwas gebieterischem Tone. – Er konnte nichts antworten. Sie fragte noch einmal und gebot ihm zu antworten, und sie erfuhr die klägliche Geschichte. Sophronius wußte nicht, wie er sich die Begebenheit erklären sollte, schämte sich vor seiner Weisheit, es für ein Gespenst zu halten, und war doch so wenig den ganzen Tag in sein Kabinett zu bringen, als wenn er wirklich eins gesehen hätte. Lieber verschob er seine Rache bis auf morgen, und dazu gehörte doch wahrhaftig keine kleine Dosis Furcht, um seine Rachbegierde auf einen ganzen Tag niederzuschlagen. Das Kartell wider seinen philosophischen Gegner wurde ein Raub der Tintenüberschwemmung und zu großem Schaden keine leserliche Spur mehr davon gefunden.
Die Sache wurde ruchbar; Tobias erzählte sein Abenteuer nach der Länge bei Tische! Sophronius stutzte – hurtig, Madam, eine Lüge her! sonst wird er eifersüchtig! – nein, Madam Sophronia war betreten und fand keine; sie winkte dem Erzähler mit den Augen, warf ihm bald einen drohenden, bald einen bittenden Blick zu; nichts half! er fuhr in seiner Aufrichtigkeit fort; und Sophronius, der eifersüchtiger war als ein Türke, ergrimmte dergestalt im Geiste, daß er vom Tische aufsprang, als wenn ihn ein neues Gespenst verscheuchte, das große Vorlegemesser ergriff und – sich aus Verzweiflung die philosophische Kehle abschnitt? – oder es in den Busen seiner treulosen Ehefrau stieß? –nein! einen gebratenen Kapaun in sechs Portionen zerfleischte. Da dies im Zorne und deswegen nicht, ohne die wichtigsten Regeln der edlen Vorschneidekunst zu verletzen, geschah, so war dies eine günstige Gelegenheit, seine Eifersucht zu dämpfen und zu bestrafen. Seine aufgebrachte Ehegattin legte seine wider Anstand und Reinlichkeit