Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Karl Wezel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222193
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es wieder zusammenlegte, gen Himmel sahe und es seufzend einsteckte; dies konnte sie oft stundenlang wiederholen.

      Nach einiger Zeit erholte sie sich wieder; ihre Krankheit verließ den Körper und zog sich ganz in die Seele zurück, die von dieser Zeit an der Sitz einer periodischen Schwermut wurde. Sie empfing von der Wohltätigkeit eines Unbekannten ein Jahrgeld, das sie in den Stand setzte, den Rest ihres melancholischen Lebens ohne Sorge für ihren Unterhalt zuzubringen. Sie bewohnte auf einem Dorfe in der Nachbarschaft von Selmanns gegenwärtigem Aufenthalte ein kleines Häuschen, und eine alte Frau war ihre einzige Gesellschafterin und zugleich ihre Bedienung; hier hatte sein Freund auf einem Spaziergange sie gefunden und ihre Geschichte aus ihrem eignen Munde gehört, die sie in ihren heitern Stunden mit einer ungemein schmelzenden Beredsamkeit und dem durchdringendsten Affekte vorzutragen wußte.

      Selmann wurde über der Erzählung nachdenkend; da ihm aber sein Freund berichtete, daß sie die Gewohnheit habe, jährlich das Gedächtnis ihres unglücklichen Liebhabers mit einer ländlichen rührenden Feierlichkeit zu begehen, und daß dieser Tag sich nähere, so richtete er sich plötzlich auf. »Diese müssen wir sehen!« rief er. Man stellte ihm seine Unpäßlichkeit und die Gefahr für seine Gesundheit vor, nichts half; Wagen und Pferde mußten bestellt werden, und an dem bestimmten Tage gab ihm seine Begierde so viel anscheinende Stärke und Lebhaftigkeit, daß er völlig gesund in Begleitung seiner beiden Gesellschafter hinzureisen schien.

      Amalie saß schon einige Stunden an dem Orte, wo Siegmund sich das Leben genommen hatte. Es war ein kleines lichtes Fichtenwäldchen, das auf einem abhängigen Boden stund, weiter unten zu dicken Gesträuche wurde und sich in ein enges Tal verlor, durch welches sich ein kleiner Fluß über eine Menge Klippen und losgerißne Felsen schäumend durcharbeitete. Das ganze schmale Tal war sein Bette; die oftmalige Verengerung desselben nötigte seinen Strom, sich zu teilen, und er mußte gleichsam sich den Weg mit Anstrengung aller Kräfte öffnen. Die andre Seite des Ufers erhub sich beinahe senkrecht in ungeheuren romantischen Felsenstücken empor, die in einer beträchtlichen Höhe sich in eine unzählbare Menge Spitzen zerteilten, worunter einige kahl emporragten, andere mit einzelnen Bäumen, andere mit dichtem Gesträuche oder Walde bekleidet waren und insgesamt die Grenze des Horizontes machten.

      Auf diesem romantischen Schauplatze, den die Natur ausdrücklich für melancholische Auftritte geschaffen zu haben schien, hatte Amalie für ihre Feierlichkeit eine Stelle gewählt, wo das lichte Wäldchen einen freien Platz mit einzelnen Bäumen leer ließ, bei welchem der Dickicht anging. Vor dem Gesichte stieg die Felsenwand mit ihren mannigfaltigen Spitzen bis in die Wolken; eine allgemeine tote Stille herrschte in der ganzen Luft, die durch das ferne, bald brausende, bald dumpftönende hohle Geräusche des ungesehenen Flusses auf die fürchterlichste Weise von verschiedenen Seiten bald schwächer, bald stärker unterbrochen wurde; nur bisweilen schienen die Wipfel der Bäume durch ein mattes Rauschen die Harmonie melancholischer machen zu wollen. Zwischen zween von den einzeln dastehenden Bäumen hatte Amalie ein Grabmal mit eignen Händen errichtet, das aus einem mit Fichtenzweigen und einzelnen Blumen bestreuten, länglicht viereckichten Erdhügel bestund und von den traurig niederhängenden Ästen der beiden Bäume beschattet wurde. An einen derselben gelehnt, saß die schwermütige Leidtragende auf einem Steine, in stummer tränenloser Betrübnis; ihre Haare hingen zerstreut über die Schultern; die Füße waren entblößt; ihre Kleidung war schwarz und hin und wieder Risse darinne, welches Wirkungen ihres Schmerzes sein mochten; auf dem bleichen Gesichte saß Schwermut und der niederschlagendste Schmerz – ein Schmerz, der die Künste eines Raffaels übersteigt! – die Augen waren starr auf das Grab geheftet, und die Hände lagen in einer ringenden Stellung auf dem Schoße. Sie besaß noch einige schwache Reste einer ehemaligen Schönheit, die wie die erhaltnen Marmorsäulen eines antiken Tempels durch ihren Kontrast die Wirkung der übrigen wüsten Ruinen verstärkten.

      Sobald die Ankommenden in ihren Gesichtskreis kamen, schien sie auf sie zu sehen; doch bald lenkten sich ihre Augen wieder unbeweglich auf den Grabhügel. Selmann hatte sie kaum erblickt, als er wie leblos dastund, so völlig außer sich gesetzt, als wenn sich seine Empfindung ganz ins Herz zurückgezogen hätte. Nachdenkend ging er zu wiederholten Malen einige Schritte vorwärts, blieb dann stehn und sahe Amalien unverwandt an. Endlich eilte er auf sie zu, setzte sich zu ihr, ergriff ihre Hand und ließ einige Tränen auf sie fallen, die die Unglückliche mit einer zärtlich bekümmerten Miene aufküßte und seufzend nach dem Grabe sich hin neigte.

      Lange Zeit war er so stumm als sie; endlich sagte er wie aus dem Innersten: »Unglückliches Mädchen! wenn wird sich dein Kummer endigen?« – Sie hub die Hände mit vielem Ausdrucke empor, wies gen Himmel, fiel auf die Knie dicht an das Grab und schien in sich zu beten, worauf sie wieder auf ihren Stein zurückkehrte.

      Selmann nötigte seine Gesellschaft, bis zum Untergange der Sonne bei ihr auszuhalten, und da sie aus einem Gelübde beständig zu schweigen schien, so unterbrach niemand ihre Niedergeschlagenheit mit einem Worte. Sobald die Sonne untergegangen war, stund sie auf, verrichtete kniend ein stummes Gebet und ging dann, von ihren drei Zuschauern begleitet, in ihre Wohnung zurück.

       Inhaltsverzeichnis

      Dieser Tag war für Selmanns Schwächlichkeit angreifend gewesen; die Heftigkeit der Empfindungen, unter welchen er ihn zugebracht hatte, untergrub vollends seine schon anbrüchige Gesundheit. Er kam entkräftet von Amalien zurück, wurde täglich schwächer, und nichts schien gewisser als sein Tod.

      Er hatte dieser Bekümmerten ein Geschenk angeboten, das sie von der äußersten Dürftigkeit, welche ihre Wohnung ankündigte, befreien sollte. Sie schlug es aus; er drang in sie, und sie nahm es unter der Bedingung an, wenn er ihr erlauben wolle, einen freien Gebrauch davon zu machen. – »Und welchen?« fragte er. – »Mit der einen Hälfte«, antwortete sie und führte ihn dabei auf die Seite, »will ich dem abgebrannten Manne, dessen Brandstelle sie dort sehen, ein Haus bauen und mit der andern meinem Siegmunde ein Grabmal errichten lassen. Meinen Sie?«

      »Zwei, drei soll er ihrer haben!« – Er nötigte sie nochmals, sein Geschenk für sich zu behalten und es ihm zu überlassen, ihre beiden Verlangen zu befriedigen. Sie tat es nicht anders, und so schieden sie voneinander, und in einer Woche war der rechtschaffne Selmann tot.

      Er ließ seinen Freunden in den letzten Unterredungen mit ihnen die Versichrung zurück, daß sein Herz der einzige Schöpfer seiner Freuden und seiner Mißvergnügen gewesen sei. »Zweimal«, sprach er, »ist mir die Welt zum Ekel geworden; und wenn nichts auf dieser Erde mehr fähig war, mich zu sättigen, so waren menschenfreundliche Empfindungen die einzige Speise, die meinen Geschmack befriedigte. Ich zog mich in mein Herz zurück, um den Sophismen des Verstandes zu entgehn. Ein einziger Tag, wie ich ihn bei Amalien zubrachte, war mir eine Schadloshaltung für ein halbes Jahr Unmut. Solange die Freuden des Herzens noch meine Empfindung reizen, glaube ich zu leben; wenn ich zu diesen stumpf werde, dann bin ich tot. – O möchte ich diesen Zeitpunkt nicht eine Minute überleben!«

      Der Himmel erfüllte diesen Wunsch: Sein letzter Tag war noch mit einer Freude der Wohltätigkeit bezeichnet.

      Edler Mann! das schönste Denkmal setze ich dir, wenn ein Denkmal von meinen Händen dich ehren kann – ich setze es dir, nur hinterlaß mir dafür zur Erbschaft – dein Herz!

       Inhaltsverzeichnis

      We first endure, then pity, then embrace.

      Pope

       Inhaltsverzeichnis

      Eine sehr lange Vorrede hatte ich meinen Lesern zugedacht und auch wirklich schon verfertigt, worinne ich Kunstrichtern und Lesern tausend Verbindlichkeiten und tausend Unannehmlichkeiten sagte, worinne ich mich beschwerte und rechtfertigte, drohte und bat, spottete und lachte, besonders ungemein viel von mir und