Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783962813598
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wa­ren bei Anna Quan­gel al­ler Zorn und al­ler Vor­wurf ge­gen Otto ver­gan­gen. Hät­te sie sich den ge­rings­ten Er­folg da­von ver­spro­chen, so hät­te sie ihn we­gen ih­res vor­schnel­len Wor­tes ›Du und dein Füh­rer‹ um Ver­zei­hung ge­be­ten. Aber es war klar zu se­hen, dass Quan­gel nicht mehr an die­sen Vor­wurf dach­te, ja, an­schei­nend dach­te er auch nicht mehr an sie. Er sah an ihr vor­bei, er sah durch sie hin­durch, er stand am Fens­ter, die Hän­de in den Ta­schen sei­nes Ar­beits­rocks und pfiff lang­sam, nach­denk­lich, mit großen Pau­sen da­zwi­schen vor sich hin, was er sonst nie ge­tan hat­te.

      An was dach­te der Mann? Was mach­te ihn in­ner­lich so er­regt? Sie setz­te ihm das Es­sen auf den Tisch, er fing an zu löf­feln. Ei­nen Au­gen­blick be­ob­ach­te­te sie ihn so von der Kü­che aus. Sein schar­fes Ge­sicht war über den Tel­ler ge­neigt, aber den Löf­fel führ­te er ganz me­cha­nisch zum Mun­de, sei­ne dunklen Au­gen blick­ten auf et­was, das nicht da war.

      Sie wand­te sich in die Kü­che zu­rück, einen Rest Kohl zu wär­men. Ge­wärm­ten Kohl aß er ger­ne. Sie war nun fest ent­schlos­sen, ihn gleich jetzt an­zu­spre­chen, wenn sie mit dem Kohl her­ein­kam. Er moch­te ihr noch so scharf ant­wor­ten, sie muss­te die­ses un­heil­vol­le Schwei­gen bre­chen.

      Aber als sie mit dem ge­wärm­ten Kohl wie­der in die Stu­be kam, war Otto ge­gan­gen, der Tel­ler stand halb leer ge­ges­sen auf dem Tisch. Ent­we­der hat­te Quan­gel ihre Ab­sicht ge­merkt und hat­te sich fort­ge­schli­chen wie ein Kind, das wei­ter trot­zen will, oder er hat­te über dem, das ihn in­ner­lich so un­ru­hig mach­te, das Wei­ter­es­sen ein­fach ver­ges­sen. Je­den­falls war er fort, und sie muss­te bis in die Nacht auf ihn war­ten.

      Aber in der Nacht vom Frei­tag zum Sonn­abend kam Otto so spät von der Ar­beit, dass sie trotz all ih­rer gu­ten Vor­sät­ze schon ein­ge­schla­fen war, als er sich ins Bett leg­te. Sie wach­te erst spä­ter auf von sei­nem Hus­ten; sie frag­te be­hut­sam: »Otto, schläfst du schon?«

      Der Hus­ten hör­te auf, er lag ganz still. Noch ein­mal frag­te sie: »Otto, schläfst du schon?«

      Und nichts, kei­ne Ant­wort. So la­gen sie bei­de sehr lan­ge still. Je­der wuss­te von dem an­de­ren, er schlief noch nicht. Sie wag­ten nicht, ihre Stel­lung zu än­dern, um sich nicht zu ver­ra­ten. End­lich schlie­fen sie bei­de ein.

      Anna war si­cher, dass es kei­ne Zei­tung ge­we­sen war. Es war zu viel Weiß auf dem Blatt, und die Schrift war grö­ßer als in ei­ner Zei­tung ge­we­sen. Was konn­te der Mann ge­le­sen ha­ben?

      Sie är­ger­te sich wie­der über ihn, sei­ne Heim­lich­tue­rei, all dies Verän­dert­sein, das so viel Un­ru­he und neue Sor­gen brach­te, zu all den al­ten hin­zu, die doch schon ge­reicht hat­ten. Trotz­dem sag­te sie: »Kaf­fee, Otto!«

      Bei dem Klang ih­rer Stim­me wen­de­te er sein Ge­sicht und sah sie an, ganz als sei er ver­wun­dert, dass er nicht al­lein sei in die­ser Woh­nung, ver­wun­dert, wer da mit ihm sprach. Er sah sie an, und er sah sie doch wie­der nicht an. Es war nicht sei­ne Ehe­ge­fähr­tin Anna Quan­gel, die er so an­sah, son­dern je­mand, den er ein­mal ge­kannt hat­te und des­sen er sich müh­sam er­in­nern muss­te. Ein Lä­cheln lag auf sei­nem Ge­sicht, in den Au­gen; über die gan­ze Flä­che des Ge­sichts war die­ses Lä­cheln aus­ge­brei­tet, wie sie es noch nie bei ihm ge­se­hen hat­te. Sie war im Be­griff zu ru­fen: Otto, ach Otto, geh doch nun nicht auch du von mir fort!

      Aber ehe sie sich noch recht ent­schlos­sen hat­te, war er an ihr vor­über­ge­gan­gen und aus der Woh­nung fort. Wie­de­r­um ohne Kaf­fee, wie­der muss­te sie ihn zum Wär­men in die Kü­che tra­gen. Sie schluchz­te lei­se da­bei: Was für ein Mann! Soll­te ihr denn gar nichts blei­ben? Nach dem Soh­ne auch der Va­ter ver­lo­ren?

      Quan­gel ging un­ter­des ei­lig auf die Prenz­lau­er Al­lee zu. Ihm war ein­ge­fal­len, dass er sich bes­ser vor­her solch ein Haus ein­mal an­sah, ob sei­ne Idee von ei­nem sol­chen Hau­se auch rich­tig war. Sonst muss­te er sich was an­de­res aus­den­ken.

      In der Prenz­lau­er Al­lee ging er lang­sa­mer, sei­ne Au­gen streif­ten die Hau­stü­ren, als such­ten sie et­was Be­stimm­tes. An ei­nem Eck­haus sah er die Schil­der von zwei Rechts­an­wäl­ten und ei­nem Arzt ne­ben vie­len Ge­schäfts­schil­dern.

      Er drück­te ge­gen die Haus­tür. Sie öff­ne­te sich so­fort. Rich­tig: kein Por­tier in solch ei­nem viel be­gan­ge­nen Hau­se. Er stieg lang­sam, die Hand auf dem Ge­län­der, die Stu­fen der Trep­pe em­por, eine ehe­mals »hoch­herr­schaft­li­che« Trep­pe mit Ei­chen­par­kett, von der aber vie­le Be­nut­zung und Krieg jede Spur des Hoch­herr­schaft­li­chen ge­nom­men hat­te. Jetzt sah sie nur schmie­rig und ab­ge­tre­ten aus, die Läu­fer wa­ren na­tür­lich schon längst ver­schwun­den, wahr­schein­lich bei Kriegs­aus­bruch ein­ge­zo­gen.

      Otto Quan­gel pas­sier­te ein An­walts­schild im Hoch­par­terre, er nick­te, lang­sam stieg er wei­ter. Es war nicht so, dass er etwa al­lein dies Trep­pen­haus be­nutzt hät­te, nein, im­mer­zu eil­ten Leu­te an ihm vor­über, ihm ent­ge­gen­kom­mend oder ihn über­ho­lend. Im­mer hör­te er Klin­geln ge­hen, Tü­ren schla­gen, Te­le­fo­ne läu­ten, Schreib­ma­schi­nen klap­pern, Stim­men spre­chen.

      Aber da­zwi­schen kam im­mer wie­der ein Au­gen­blick, da Otto Quan­gel das Trep­pen­haus ganz für sich al­lein hat­te oder doch sei­nen Trep­pen­ab­schnitt für sich al­lein, wo al­les Le­ben sich in die Bü­ro­räu­me zu­rück­ge­zo­gen zu ha­ben schi­en. Das wäre dann der rich­ti­ge Au­gen­blick ge­we­sen, es zu tun. Es war über­haupt al­les rich­tig, ge­nau wie er es sich ge­dacht hat­te. Ei­li­ge Men­schen, die ein­an­der nicht ins Ge­sicht sa­hen, schmut­zi­ge Fens­ter­schei­ben, durch die nur ein grau­es Ta­ges­licht si­cker­te, kein Por­tier, über­haupt nie­mand, der an dem an­de­ren In­ter­es­se nahm.

      Als Otto Quan­gel im ers­ten Stock­werk das Schild des zwei­ten An­walts ge­le­sen hat­te und durch eine deu­ten­de Hand da­hin be­lehrt wor­den war, der Arzt woh­ne noch eine Trep­pe hö­her, nick­te er zu­stim­mend. Er mach­te kehrt, er kam eben ge­ra­de vom An­walt, er ging aus dem Haus. Un­nö­tig, sich dort wei­ter um­zu­se­hen, ge­nau das Haus, wie er es brauch­te, und von sol­chen Häu­sern gab es Tau­sen­de in Ber­lin.

      Der Werk­meis­ter Otto Quan­gel steht wie­der auf der Stra­ße. Ein dunk­ler jun­ger Mann mit sehr wei­ßer Ge­sichts­haut tritt auf ihn zu.

      »Herr Quan­gel, nicht wahr?«, fragt er. »Herr Otto Quan­gel aus der Ja­blons­ki­stra­ße, nicht wahr?«

      Quan­gel knurrt ein ab­war­ten­des »Nu?«, ein Laut, der bei­des, Zu­stim­mung wie Ab­leh­nung, be­deu­ten kann.

      Der jun­ge Mann nimmt ihn für Zu­stim­mung. »Ich soll Sie von der Tru­del Bau­mann bit­ten«, sagt er, »dass Sie sie ganz ver­ges­sen. Ihre Frau möch­te die Tru­del auch nicht mehr be­su­chen. Es ist nicht nö­tig, Herr Quan­gel, dass …«

      »Be­stel­len