Eva Kluge verharrte in ihrem feindlichen Schweigen, und die Gesch fuhr fort: »Sie haben ihn ganz schön zugerichtet, da ist kein Fleck an ihm, der nicht was abgekriegt hat. Ihr Mann mag sein, wie er will, aber so können Sie ihn nicht vor die Tür setzen. Sehen Sie ihn sich bloß mal an, Frau Kluge!«
Sie sagte unbeugsam: »Ich habe keinen Mann mehr, Frau Gesch. Ich hab’s Ihnen gesagt, ich will nichts mehr davon hören.«
Und sie wollte in ihre Wohnung zurück. Die Gesch sagte eifrig: »Seien Sie nicht so eilig, Frau Kluge. Schließlich ist es Ihr Mann. Sie haben Kinder mit ihm gehabt …«
»Darauf bin ich besonders stolz, Frau Gesch, darauf besonders!«
»Man kann auch unmenschlich sein, Frau Kluge, und was Sie tun wollen, das ist unmenschlich. So kann der Mann nicht auf die Straße.«
»Und war das, was er mit mir all die Jahre getan hat, etwa menschlich? Er hat mich gequält, er hat mir mein ganzes Leben kaputtgemacht, schließlich hat er mir noch meinen Lieblingsjungen weggenommen – und zu so einem soll ich menschlich sein, bloß weil er Dresche von der SS bekommen hat? Ich denke gar nicht daran! Den ändern auch noch so viele Schläge nicht!«
Nach diesen heftig und böse ausgestoßenen Worten zog Frau Kluge der Gesch einfach die Tür vor der Nase zu und schnitt ihr so jedes weitere Wort ab. Sie war einfach nicht fähig, noch weiteres Gerede auszuhalten. Bloß um allem Gerede zu entgehen, hätte sie den Mann womöglich doch noch wieder in die Wohnung aufgenommen und es immer und ewig bereut!
Sie setzte sich auf einen Küchenstuhl, starrte in die bläuliche Gasflamme und dachte an diesen Tag zurück. Gerede, nichts wie Gerede. Seit sie dem Vorsteher des Amtes eröffnet hatte, sie wolle aus der Partei austreten und das sofort, hatte es nur noch Gerede gegeben. Sie war von ihrem Bestellgang befreit worden, aber dafür war sie ununterbrochen vernommen worden; vor allem wollten sie durchaus von ihr erfahren, warum sie denn aus der Partei auszutreten wünschte. Was für Gründe sie denn habe. Sie hatte starr und unverändert geantwortet: »Das geht keinen was an. Darüber sprech ich nicht, warum ich raus will. Und das heute noch!«
Aber je mehr sie sich weigerte, umso hartnäckiger wurden die. Alles andere schien sie nicht zu interessieren, nur das ›Warum‹ wollten sie erfahren. Gegen Mittag waren dann noch zwei Zivilisten mit Aktentaschen aufgetaucht und hatten sie ununterbrochen befragt. Ihr ganzes Leben sollte sie erzählen, von den Eltern, den Geschwistern, ihrer Ehe …
Erst war sie ganz bereitwillig gewesen, froh, dem endlosen Gefrage über die Gründe ihres Austritts zu entgehen. Aber dann, schon als sie von ihrer Ehe berichten sollte, war sie wieder bockbeinig geworden. Nach der Ehe würden die Kinder drankommen, und sie würde nicht von Karlemann erzählen können, ohne dass diese gewitzten Füchse merkten, dass da etwas nicht stimmte.
Nein, auch darüber sagte sie nichts aus. Auch das war privat. Ihre Ehe und ihre Kinder gingen niemanden etwas an.
Aber diese Leute waren zähe. Sie wussten viele Wege. Der eine griff in seine Aktentasche und fing an, in einem Aktenstück zu lesen. Sie hätte gerne gewusst, was er da las: Es konnte doch über sie nicht solch ein Aktenstück bei der Kriminalpolizei geben, denn dass diese Zivilisten irgendwas Polizeiliches waren, das hatte sie unterdes doch gemerkt.
Dann fingen sie wieder an zu fragen, und nun erwies es sich, dass in dem Aktenstück etwas über Enno stehen musste. Denn nun wurde sie über seine Krankheiten, seine Arbeitsscheu, seine Wettleidenschaft und über seine Weiber ausgefragt. Es fing wieder ganz harmlos an, dann plötzlich sah sie die Gefahr, schloss fest den Mund und sagte nichts mehr.
Nein, auch das war privat. Es ging keinen was an. Was sie mit ihrem Mann hatte, das war ihre Sache allein. Übrigens lebte sie getrennt von dem Manne.
Da war sie wieder erwischt. Seit wann sie getrennt von ihm lebe? Wann hatte sie ihn zum letzten Male gesehen? Hing ihr Wunsch nach Austritt aus der Partei etwa mit dem Manne zusammen?
Sie schüttelte nur den Kopf. Aber sie dachte mit Schaudern daran, dass sie sich wahrscheinlich nun den Enno vornehmen würden, und aus dem schlappen Kerl würden sie in einer halben Stunde alles ausgequetscht haben! Dann stand sie mit ihrer Schande, von der bisher sie allein wusste, vor allen nackt und bloß da. Dann schrieben sie womöglich über sie, und auf der Partei würden sie endlos über die Mutter schwätzen, die solch einen Sohn geboren hatte.
»Privat! Rein privat!«
Die Briefträgerin, die in Gedanken verloren das Zittern und Beben des blauen Gasflämmchens beobachtet hat, fährt zusammen. Sie hat vorhin einen schweren Fehler begangen, sie hatte ja Gelegenheit, den Enno für ein paar Wochen zu verstecken. Sie brauchte ihm nur für ein paar Wochen Geld zu geben und die Weisung, sich bei einer seiner Freundinnen zu verstecken.
Sie klingelt bei der Gesch. »Hören Sie, Frau Gesch, ich habe es mir noch mal überlegt, ich möchte wenigstens ein paar Worte mit meinem Manne sprechen!«
Jetzt, wo die andere ihr den Willen tut, wird die Gesch böse. »Das hätten Sie sich eher überlegen müssen. Jetzt ist Ihr Mann fort, schon gute zwanzig Minuten. Nun kommen Sie zu spät!«
»Wo ist er denn hin, Frau Gesch?«
»Wie soll ich das denn wissen? Wo Sie ihn rausgeschmissen haben! Bei eine von seinen Weibern wohl!«
»Wissen Sie nicht, zu welcher? Bitte, sagen Sie es doch, Frau Gesch! Es ist wirklich sehr wichtig …«
»Auf einmal!« Und widerwillig setzt die Gesch hinzu: »Er hat was von ’ner Tutti gesagt …«
»Tutti?«, fragt sie. »Das soll doch Trude, Gertrud bedeuten … Wissen Sie den anderen Namen nicht, Frau Gesch?«
»Er hat ihn ja selber nicht gewusst! Er hat nicht mal genau gewusst, wo sie wohnt, er hat bloß gedacht, er find’t sie. Aber bei dem Zustand, in dem der Mann ist …«
»Vielleicht kommt er noch mal wieder«, sagt Frau Eva Kluge nachdenklich. »Dann schicken Sie ihn zu mir. Jedenfalls danke ich Ihnen schön, Frau Gesch. Guten Abend!«
Aber die Gesch grüßt nicht zurück, sie knallt bei sich die Tür zu. Sie hat noch nicht vergessen, wie die andere ihr vorhin die Tür vor der Nase zugemacht hat. Das ist noch lange nicht raus, dass sie den Mann schickt, wenn er wirklich noch mal hier auftaucht. So ’ne Frau soll sich zur rechten Zeit besinnen, nachher ist es manchmal zu spät.
Frau Kluge ist in ihre Küche zurückgekehrt. Es ist seltsam: obwohl doch das Gespräch eben mit der Gesch ohne Ergebnis geblieben ist, hat es sie erleichtert. Die Dinge müssen eben ihren Lauf nehmen. Sie hat getan, was sie tun konnte, sich sauber zu halten. Sie hat sich