Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783962813598
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Fuß; fer­ne rief lei­se nach mir eine Stim­me, ich wuss­te nicht, was, je­den­falls Lo­ckung …

      »Ich weiß nicht, ob ich öf­ter hier­her­kom­men wer­de«, sag­te ich has­tig. »Ich kann dich nicht aus­ste­hen, ich has­se dich, und trotz­dem bin ich heu­te Abend zu dir zu­rück­ge­kehrt. Heu­te früh habe ich den ers­ten Schnaps mei­nes Le­bens ge­trun­ken, du hast ihn mir ein­ge­schenkt, du hast dich mit ihm ein­ge­schli­chen in mein Blut, ver­gif­tet hast du mich! Du bist wie der Geist des Schnap­ses: schwe­bend, trun­ken ma­chend, feil …« Ich sah sie an, atem­los, selbst am meis­ten über­rascht von die­sen Wor­ten, die aus mir sich hin­aus­schleu­der­ten, ich wuss­te nicht wo­her …

      Sie saß mir ge­gen­über. Ihre Nä­he­rei hat­te sie nicht wie­der auf­ge­nom­men. Die Bei­ne ohne St­rümp­fe in ro­ten Schu­hen hat­te sie über­ge­schla­gen, und den Rock ein we­nig von den Kni­en zu­rück­ge­scho­ben. Die Bei­ne wa­ren et­was derb, aber lang und schön ge­fes­selt. An der rech­ten Wade sah ich ein fast pfen­nig­großes, brau­nes Mut­ter­mal – das schi­en mir schön. In der Hand hielt sie eine Zi­ga­ret­te, sie blies den Rauch breit durch die fest ge­schlos­se­nen Lip­pen, ohne Zwin­kern sah sie mich an. »Nur wei­ter, Vä­ter­chen«, sag­te sie, »du ent­wi­ckelst dich … nur wei­ter …«

      Ich ver­such­te, nach­zu­den­ken. Wo­von hat­te ich eben noch ge­re­det? Das Ver­lan­gen, sie zu um­ar­men, sie zu be­tas­ten, wur­de fast über­mäch­tig in mir. Aber ich lehn­te mich fest in mei­nen Korb­ses­sel zu­rück, ich klam­mer­te mich mit mei­nen Hän­den an die Leh­nen. Plötz­lich hör­te ich mich dann wie­der spre­chen. Ich sprach ganz lang­sam und sehr deut­lich, und doch war ich atem­los vor Er­re­gung. »Ich bin ein Kauf­mann«, hör­te ich mich sa­gen. »Ich hat­te ein recht gu­tes Ge­schäft, aber jetzt ste­he ich vor dem Bank­rott. Sie wer­den mich aus­la­chen, alle, alle, mei­ne Frau zu­erst … Ich habe vie­le Feh­ler ge­macht, Mag­da wird sie mir alle vor­hal­ten. Du weißt doch, Mag­da ist mei­ne Frau …?«

      Sie sah mich un­ver­wandt an, mit ih­rem sehr wei­ßen, wie ge­pu­der­ten Ge­sicht, das et­was Ge­dun­se­nes hat­te; hoch und ge­wölbt stan­den in ihm über den fast farb­lo­sen Au­gen die dunklen Brau­en.

      »Aber ich kann noch Geld her­aus­zie­hen, aus dem Ge­schäft, ein paar Tau­send Mark. Ich täte es schon, um Mag­da zu är­gern. Mag­da will das Ge­schäft ret­ten. Ist sie mehr als ich? Ich könn­te das Ge­schäft ver­kau­fen, ich weiß auch schon, an wen, es ist eine jun­ge Fir­ma. Er wür­de mir zehn-, viel­leicht auch zwölf­tau­send Mark da­für ge­ben, wir wür­den auf Rei­sen ge­hen … Warst du schon ein­mal in Pa­ris?«

      Sie sah mich an, kei­ne Zu­stim­mung oder Ver­nei­nung war auf ih­rem Ge­sicht zu le­sen.

      Ich re­de­te wei­ter, schnel­ler, atem­lo­ser. »Ich war auch noch nicht dort«, fuhr ich fort, »aber ich habe da­von ge­le­sen. Es ist die Stadt der baum­be­stan­de­nen Bou­le­vards, der wei­ten Plät­ze, der lau­bi­gen Parks … Als Jun­ge habe ich ein biss­chen Fran­zö­sisch ge­lernt, aber ich kam zu früh von der Schu­le, die El­tern hat­ten nicht Geld ge­nug. Weißt du, was das heißt: ›Don­nez-moi un bai­ser, ma­de­moi­sel­le‹?«

      Kein Zei­chen von ihr, nicht ja, nicht nein.

      »Es heißt: ›Ge­ben Sie mir einen Kuss, mein Fräu­lein.‹ Aber zu dir müss­te man sa­gen: Don­nez-moi un bai­ser, ma rei­ne! Rei­ne, das heißt Kö­ni­gin, und du bist die Kö­ni­gin mei­nes Her­zens, du bist die Kö­ni­gin des Gif­tes, das in Fla­schen ver­korkt wird, gib mir dei­ne Hand, El­sa­be – ich wer­de dich El­sa­be nen­nen, Kö­ni­gin – ich will dei­ne Hand küs­sen …«

      Sie goss mir das Glas voll. »Da, trink das noch, und dann gehst du nach Haus. Ge­nug – du hast ge­nug ge­trun­ken, und ich habe ge­nug von dir. Du kannst die Fla­sche Korn mit­neh­men, du musst die gan­ze Fla­sche be­zah­len, zum Gast­stu­ben­preis. Das ist kein Nepp, komm mir mor­gen nicht, dass ich dich ge­neppt habe; du hast dir sel­ber ein­ge­schenkt, ich weiß nicht, wie viel …«

      »Rede nicht, El­sa­be«, sag­te ich prah­le­risch-wei­ner­lich. »Nie wür­de ich so et­was tun! Was ist Geld …?!«

      »Leh­re du mich die Män­ner ken­nen! Wenn ihr voll und geil seid, schreit ihr: ›Was ist Geld?‹ Und am nächs­ten Mor­gen kommt ihr mit dem Gen­darmen und schreit von Nepp. Der Korn und der Sekt und mei­ne Zi­ga­ret­ten – das macht zu­sam­men …« Sie nann­te eine Sum­me.

      »Wenn es nicht mehr ist!«, rief ich wie­der prah­le­risch und riss mei­ne Brief­ta­sche her­vor. »Hier hast du …!« Ich leg­te ihr das Geld hin. »Und hier …«, ich nahm einen Hun­dert­mark­schein und leg­te ihn da­ne­ben, »der ist für dich. Weil ich dich has­se und weil du mich ver­ach­test. Nimm ihn, nimm ihn schon. Ich will nichts von dir, gar nichts! Geh. Ich habe dich schon so im Blut, ich kann dich nie mehr be­sit­zen, als ich dich in mir habe. Wahr­schein­lich bist du öde und lang­wei­lig, du bist nicht von hier, na­tür­lich aus ir­gend­ei­ner Groß­stadt, wo du al­les ge­las­sen hast – das sind ja nur Res­te!«

      Wir stan­den uns ge­gen­über, das Geld lag auf dem Tisch, das Licht war düs­ter. Ich schwank­te lei­se über mei­nen Fü­ßen, die fast halb ge­leer­te Korn­fla­sche hielt ich am Hal­se in mei­ner Hand.

      Sie sah mich an. »Steck dein Geld ein!«, sag­te sie flüs­ternd. »Nimm dein Geld vom Tisch … Ich will dein Geld nicht … Geh …«

      »Du kannst mich nicht zwin­gen, das Geld wie­der zu neh­men, ich las­se es lie­gen … Ich be­schen­ke dich, Kö­ni­gin des kla­ren Korns, El­sa­be ge­nannt, ich gehe …«

      Ich ging müh­sam auf die Tür zu, der Schlüs­sel steck­te von in­nen, ich müh­te mich, ihn im Schloss zu dre­hen …

      »Du«, sprach sie dicht hin­ter mir, »du …«

      Ich dreh­te mich um. Ihre Stim­me war lei­se ge­we­sen, aber voll und sanft, al­les Sprö­de war aus ihr ge­wi­chen. »Du …«, wie­der­hol­te sie, und in ih­ren Au­gen war jetzt Far­be und Licht, »du – willst du?«

      Jetzt war ich es, der sie nur schwei­gend an­sah.

      »Zieh dei­ne Schu­he aus, sei lei­se auf der Trep­pe, die Wirts­leu­te dür­fen dich nicht hö­ren. Komm, mach schnell …«

      Schwei­gend tat ich, wie sie mir ge­hei­ßen. Ich wuss­te nicht, warum ich es tat. Ich be­gehr­te sie jetzt nicht, so be­gehr­te ich sie nicht.

      »Gib mir die Hand!« Sie knips­te das Licht aus und führ­te mich an der einen Hand, in der an­de­ren hielt ich noch im­mer die Korn­fla­sche.

      In der Schank­stu­be war es völ­lig dun­kel, ich schlich ihr nach. Durch ein klei­nes stau­bi­ges Fens­ter fiel auf die ver­win­kel­te enge Stie­ge Licht vom Mond.

      Ich schwank­te, ich war sehr müde. Ich dach­te an mein Bett da­heim, an El­sa­be vol­ler Wün­sche, an den wei­ten Weg nach Haus – es war al­les zu viel. Der ein­zi­ge Trost war die Fla­sche Korn in mei­ner Hand, sie wür­de mir Kraft spen­den. Am liebs­ten wäre ich ste­hen ge­blie­ben und hät­te schon jetzt einen Schluck aus der Fla­sche ge­nom­men, so müde war ich.

      Die Stu­fen knarr­ten, die Tür zur Kam­mer ächz­te lei­se, als sie ge­öff­net wur­de. Auch in der Kam­mer war Mond­schein. Ein Bett, das zer­wühlt war, ein ei­ser­ner Wasch­stän­der, ein Stuhl, ein Klei­der­re­chen an der Wand …

      »Zieh dich aus«, sag­te ich lei­se, »ich kom­me dann gleich.« Und mehr zu mir: »Gibt es hier Ster­ne?« Ich trat ans Fens­ter, das den Blick in einen Obst­gar­ten frei­gab. Ich öff­ne­te