»Du hast dich um eine Stunde geirrt«, sagte Morland; »wir fuhren um zehn von Tetbury ab.« »Zehn Uhr? Nein, es war elf! Ich habe doch die Schläge gezählt. Ihr Bruder möchte mich am liebsten um den Verstand reden, Miss Morland. Sehen Sie sich nur mein Pferd an. Haben Sie je in Ihrem Leben ein Tier gesehen, das mehr für Geschwindigkeit geboren ist? (Der Diener war gerade aufgestiegen und fuhr von dannen.) Reines Vollblut! Drei und eine halbe Stunde und nur dreiundzwanzig Meilen! Sehen Sie sich das Tier an, und glauben Sie es, wenn Sie können!« »Es sieht zumindest sehr erhitzt aus.«
»Erhitzt? Es hatte bis zur Kirche von Walcot kein feuchtes Haar. Aber sehen Sie sich seine Vorderhand an, seine Weichen, seinen Gang; das Pferd kann einfach nicht langsamer traben als zehn Meilen die Stunde. Binden Sie ihm die Beine zusammen, es wird dennoch vorwärtskommen. Und was halten Sie von meinem Gig, Miss Morland? Hübsch, nicht wahr? Hängt gut; für die Stadt gebaut. Ich habe es noch keinen Monat. Es war für einen Studenten vom Christ Church College gebaut, er ist ein Freund von mir, ein sehr netter Bursche. Er fuhr den Wagen nur ein paar Wochen und wollte ihn dann wieder loswerden. Ich suchte gerade nach irgendeinem leichten Gefährt, obgleich ich mich eigentlich schon für ein Kabriolet entschlossen hatte. Zufällig traf ich ihn an der Magdalenenbrücke, als er nach Oxford hineinfuhr. >Ach, Thorpe<, sagte er, >möchtest du nicht so ein leichtes Ding wie dieses? Es ist einzig in seiner Art, aber ich habe es verflucht satt.< - >Oh, verdammt sagte ich, >da mach ich mit. Was verlangst du dafür?< Und wieviel glauben Sie, Miss Morland, forderte er?«
»Das kann ich nicht erraten.«
»Gefedert wie ein Kabriolet, sehen Sie; Sitz, Koffer, Degenkasten, Spritzleisten, Lampen, Silberbeschlag, alles dran; das Eisenwerk ist so gut wie neu oder noch besser. Er verlangte fünfzig Guineen. Wir wurden sofort handelseinig. Ich legte das Geld auf den Tisch, und der Wagen war mein.«
»Und ich bin gewiß so unerfahren«, erwiderte Catherine, »dass ich nicht einmal sagen kann, ob es billig war oder teuer.«
»Keins von beiden. Wahrscheinlich hätte ich ihn auch billiger bekommen können; aber ich hasse das Feilschen, und der gute Freeman brauchte Moneten.«
»Das war aber freundlich von Ihnen«, sagte Catherine beifällig.
»Verdammt noch mal, wenn man die Mittel hat, einem Freund etwas Gutes zu tun, bin ich nicht kleinlich.«
Bei dieser Gelegenheit wurden die Damen nach ihren weiteren Plänen gefragt, und als man von ihrer Absicht erfuhr, beschloß man, sie zu den Edgarvillen zu begleiten und Mrs. Thorpe aufzuwarten. James und Isabella gingen voran. Die junge Dame war zufrieden mit ihrem Los und sehr darauf bedacht, einem jungen Mann den Weg so angenehm wie möglich zu machen, der den großen Vorzug genoß, gleichzeitig der Freund ihres Bruders und der Bruder ihrer Freundin zu sein. Ihre Gefühle waren so rein und bar jeder Koketterie, dass ihr beim Überholen der beiden aufdringlichen jungen Leute in der Milsom Street nichts daran lag, deren Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und sie sich nur dreimal nach ihnen umsah.
John Thorpe hielt sich selbstverständlich neben Catherine und nahm nach kurzem Schweigen seine Unterhaltung über sein Gig wieder auf. »Auch andere Leute halten den Wagen für billig, wie Sie daraus ersehen, dass ich ihn am nächsten Tage zehn Guineen teurer wieder hätte verkaufen können. Jackson vom Oriel College bot mir sogleich sechzig. Morland war damals gerade dabei.«
»Ja«, warf Morland ein; »aber du vergißt, dass der Gaul einbegriffen war.«
»Mein Pferd! Oh, verdammt noch mal! Mein Pferd gäbe ich nicht für hundert her. – Fahren Sie gern im offenen Wagen, Miss Morland?«
»Ja, sehr! Ich habe so selten Gelegenheit dazu; aber ich tue es für mein Leben gern.«
»Das freut mich. Ich will Sie jeden Tag spazierenfahren.«
»Vielen Dank!« entgegnete Catherine ziemlich betrübt, da sie nicht genau wußte, ob die Annahme eines solchen Angebotes schicklich war.
»Morgen fahre ich Sie den Landsdown-Weg hinauf.«
»Vielen Dank, aber Ihr Pferd braucht doch ein wenig Ruhe.«
»Ruhe! Es ist heute doch nur dreiundzwanzig Meilen gelaufen. Unsinn! Gerade die Ruhe schadet den Pferden; nichts gibt ihnen so schnell den Rest. Nein, nein, ich werde meines während des hiesigen Aufenthaltes wenigstens vier Stunden lang täglich bewegen.«
»Wirklich?« fragte Catherine ernsthaft, »Das wären vierzig Meilen jeden Tag.« »Vierzig, ja, oder auch fünfzig. Was macht mir das aus! Ich werde Sie morgen nach Landsdown hinauffahren. Also denken Sie daran. Ich habe mir das vorgenommen.« »Wie reizend wird das sein«, rief Isabella und wandte sich zurück. »Meine liebste Catherine,
ich beneide dich ordentlich. Aber ich fürchte, dass für drei der Platz nicht reicht.« »Für drei? Nein, unter keinen Umständen. Ich bin auch nicht nach Bath gekommen, um meine
Schwestern spazierenzufahren. Das wäre ein netter Spaß! Für dich muß Morland sorgen.« Darauf tauschte das andere Paar einige Höflichkeiten; aber Catherine konnte weder Einzelheiten noch das Ergebnis erhaschen. Die Unterhaltung ihres Begleiters änderte sich jetzt. Von der vorherigen Lebhaftigkeit wechselte er zu kurzen, bestimmten Ausrufen des Wohlgefallens oder der Ablehnung über das Gesicht jeder ihnen entgegenkommenden Frau. Catherine hörte beipflichtend zu, solange sie es vermochte; denn sie fürchtete, eine eigene Meinung auszusprechen, die womöglich der eines selbstbewußten jungen Mannes widerspräche, zumal in Fragen der Schönheit des eigenen Geschlechtes. Schließlich aber wagte sie doch, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken durch eine Frage, die ihr schon geraume Zeit auf der Seele gebrannt hatte: »Haben Sie auch >Udolpho< gelesen, Mr. Thorpe?«
»>Udolpho<? Oh, ich, nein! Ich lese niemals Romane! Ich habe Besseres zu tun.« Catherine war gedemütigt und schämte sich. Sie setzte schon zu einer Entschuldigung an, als er sagte: »Romane sind so flach und ohne jeden Sinn. Seit >Tom Jones< ist kein anständiger mehr geschrieben worden, außer dem >Mönch<, wie ich neulich las. Aber alle anderen sind der größte Blödsinn der gesamten Schöpfung.«
»Ich glaube, >Udolpho< würde Ihnen aber doch gefallen, wenn Sie ihn läsen. Es ist so interessant.«
»Nein, mir nicht! Bestimmt nicht! Wenn ich überhaupt Romane lese, dann nur die von Mrs. Radcliffe. Ihre Romane sind ganz lustig. Sie sind noch lesenswert; sie machen wenigstens ein bißchen Spaß und sind obendrein natürlich.« . »Aber >Udolpho< ist ja von Mrs. Radcliffe«, meinte Catherine zögernd, in der Furcht, ihn zu beschämen. »Nein, wirklich? Ach ja, ich entsinne mich, das stimmt ja auch. Ich dachte an das andere alberne Buch von der Frau, um die man so viel Wesens macht. Wissen Sie, die den französischen Emigranten geheiratet hat.« »Oh, meinen Sie >Camilla<?«
»Ja, das ist es. Solch unnatürliches Zeug! Ein alter Mann, der auf die Schaukel geht. Ich blätterte einmal im ersten Band, aber ich erkannte schnell, dass es nichts taugt; ich wußte eigentlich schon vorher, was es für ein Unsinn war, ehe ich es wirklich gesehen hatte. Als ich nur hörte, sie habe einen Emigranten geheiratet, war ich vollkommen sicher, dass ich es nie zu Ende bringen würde.« »Ich habe es nie gelesen.«
»Das ist auch kein Verlust! Es ist das größte Gewäsch, das Sie sich vorstellen können. Es kommt nichts anderes drin vor, als dass ein alter Mann sich auf die Schaukel setzt und Latein lernt. Wirklich, so ist es.«
Unter solchen kritischen Betrachtungen langten sie vor Mrs. Thorpes Wohnung an, und die Gefühle des selbstbewußten, unvoreingenommenen Lesers der »Camilla« wichen denen des liebevollen und pflichtbewußten Sohnes. Sie begegneten Mrs. Thorpe auf dem Korridor, die sie schon von oben recht lebhaft begrüßt hatte. »Ah! Mutter! Wie geht es?« fragte er und schüttelte ihr herzhaft die Hand. »Wo hast du diesen scheußlichen Hut erstanden? Du siehst damit aus wie eine alte Hexe. Hier ist auch Morland. Wir wollen ein paar Tage bei euch bleiben. Du mußt dich also irgendwo