Sie konnten sich jedoch nicht lange des so mühsam errungenen Platzes erfreuen, denn plötzlich geriet alles in Bewegung; man suchte irgendwo den Tee einzunehmen, und es hieß, sich mit den anderen wieder hinauszuquetschen. Enttäuschung bemächtigte sich Catherines. Sie war es müde, ständig zwischen fremden Menschen erdrückt zu werden, deren meist nicht einmal anziehende Gesichter ihr alle so fremd waren. Als sie schließlich den Teeraum erreichten, empfand sie es noch peinlicher, zu keiner Gesellschaft zu gehören, keine Bekannten zu begrüßen und von keinem Herrn beschützt zu werden. Mr. Allen war nirgends zu erblicken; und nachdem sie vergeblich nach einem besseren Platz Ausschau gehalten hatten, mußten sie sich wohl oder übel am Ende eines sehr besetzten Tisches niederlassen, obwohl sie dort nichts zu suchen hatten und nur miteinander sprechen konnten.
Sobald sie Platz genommen hatte, beglückwünschte Mrs. Allen sich, ihr Kleid vor Schaden bewahrt zu haben. »Andernfalls wäre es wirklich eine Schande gewesen, nicht wahr? Es ist solch empfindlicher Musselin. Ich habe im ganzen Saal nicht noch ein zweites ebenso hübsches Kleid gesehen.«
»Wie unangenehm ist es doch«, flüsterte Catherine, »hier nicht einen einzigen Bekannten zu haben.«
»Ja, liebes Kind«, erwiderte Mrs. Allen abgeklärt, »das ist wirklich sehr unangenehm.« »Was sollen wir nur tun? An diesem Tisch scheint man sich über unsere Anwesenheit zu
wundern. Es wirkt auch, als drängten wir uns auf.«
»Das ist sehr peinlich. Ich wünschte auch, wir wären in Gesellschaft.« »Schade, dass wir niemanden kennen.«
»Das ist wahr, mein liebes Kind. Die Skinners waren im vergangenen Jahr hier. Wenn ich sie doch jetzt hier träfe!«
»Sollten wir nicht lieber wieder gehen? Hier ist ohnehin kein Gedeck für uns, sehen Sie.« »Wirklich, es ist kein Gedeck mehr übrig. Wie entsetzlich! Aber wir bleiben doch besser hier, man wird in solchem Gedränge nur umhergestoßen. Wie sehe ich am Kopf aus, liebes Kind? Gewiß ist meine Frisur ganz durcheinandergebracht.«
»Nein, sie sieht sehr hübsch aus. Aber, liebe Mrs. Allen, sind Sie ganz sicher, in dieser Menschenmenge keine Seele zu kennen? Ich meine, Sie müßten doch einen Menschen kennen.«
»Nein, auf mein Wort, niemanden! Ich wünsche mir von ganzem Herzen einen großen Bekanntenkreis hier, dann würde ich dir einen Tänzer aussuchen. Ich würde mich so freuen, wenn du tanztest. Drüben geht eine merkwürdige Frau. Welch wunderliches Kleid sie trägt! Wie altmodisch! Sieh dir den Rücken an!«
Nach einiger Zeit bot ihnen einer ihrer Nachbarn Tee an; sie nahmen dankend an, und so entstand eine kleine Unterhaltung mit dem Spender. Das war die einzige des ganzen Abends, bis Mr. Allen sich wieder zu ihnen gesellte; aber da war der Tanz schon vorüber.
»Nun, Miss Morland, hoffentlich haben Sie sich gut amüsiert.«
»Sehr, danke«, erwiderte sie und bemühte sich vergebens, ein Gähnen zu unterdrücken. »Wenn wir doch einen Tänzer für sie gefunden hätten!« meinte seine Frau. »Ich sagte schon, ich hätte es lieber gesehen, wenn die Skinners diesen Winter hier wären statt im vergangenen oder wenn die Parrys mitgekommen wären. Dann hätte sie mit George Parry tanzen können. Es tut mir so leid, dass sie keinen Tänzer hatte.«
»Das nächste mal wird’s hoffentlich besser«, tröstete Mr. Allen.
Nach Beendigung des Tanzes zerstreute sich die Menge, und die Nachzügler konnten bequem umherspazieren. Jetzt wäre für Catherine, die an den Ereignissen des Abends noch keinen hervorragenden Anteil gehabt hatte, der Augenblick gekommen, bemerkt und bewundert zu werden. Und mancher junge Mann, der ihr den Abend über noch nicht nahe gekommen war, erblickte sie jetzt. Aber nicht einer erspähte sie in hingerissenem Entzücken, kein Raunen huschte durch den Saal, und niemand nannte sie göttlich. Und doch sah Catherine besonders gut aus, und hätten die Anwesenden sie nur drei Jahre früher gesehen, dann hätten sie Catherine jetzt für ausnehmend schön gehalten.
Man beobachtete sie tatsächlich mit einiger Bewunderung; und sie hörte sich von zwei Herren ein hübsches Mädchen nennen. Diese Worte hatten die Wirkung, dass ihr der Abend sofort viel angenehmer erschien; ihre geringe Eitelkeit war befriedigt. Sie fühlte sich diesen beiden Herren für die gezollte Anerkennung mehr verpflichtet als eine Schönheit für fünfzehn Sonette zum Lobe ihrer Reize. Catherine ging zu ihrem Stuhl zurück, ausgesöhnt mit jedermann und völlig zufrieden mit ihrem Anteil an der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Drittes Kapitel
Jeder Morgen brachte seine regelmäßigen Pflichten. Es hieß, Läden und unbekannte Stadtteile zu besuchen und sich in der Brunnenhalle sehen zu lassen. Hier wandelte man eine Stunde lang auf und ab, blickte jeden an, aber sprach mit niemand. Immer noch sehnte Mrs. Allen sich nach einem ausgedehnten Bekanntenkreis, ein Wunsch, den sie jeden Morgen wiederholte und der bewies, dass sie keine Menschenseele kannte.
Sie hielten ihren Einzug in die kleineren Gesellschaftsräume, und diesmal war das Glück Catherine holder. Der Zeremonienmeister stellte ihr einen feinen jungen Herrn namens Tilney als Tänzer vor. Er war vier- oder fünfundzwanzig Jahre alt, ziemlich groß, von gefälligem Äußeren und wenn auch nicht gerade hübsch, so doch nicht weit davon entfernt. Er wußte sich prächtig zu unterhalten, und Catherine pries sich sehr glücklich. Während des Tanzes bot sich nicht viel Muße zu Gesprächen, aber als sie sich zum Tee niedersetzten, fand sie ihn immer noch sehr angenehm. Er sprach flüssig und geistvoll, und in seinem Benehmen lag eine anziehende Schalkhaftigkeit und Schelmerei, obgleich sie deren Sinn nicht immer verstand. Nachdem man sich einige Zeit über die nächstliegenden Dinge unterhalten hatte, sagte er unvermittelt: »Bisher, gnädiges Fräulein, bin ich meinen Pflichten als Gesellschafter nur sehr nachlässig nachgekommen. Ich habe Sie noch gar nicht gefragt, wie lange Sie in Bath weilen, ob Sie schon früher hier waren, ob Sie schon in dem großen Ballsaal getanzt, das Theater oder ein Konzert besucht haben und wie es Ihnen überhaupt hier gefällt. Ich war wirklich sehr unaufmerksam; aber sind Sie jetzt noch bereit, mir diese Fragen zu beantworten? Wenn ja, will ich sogleich beginnen.«
»Sie brauchen sich nicht zu bemühen, mein Herr.«
»Es bedeutet mir nicht die geringste Mühe, gnädiges Fräulein.« Dann zwang er sein Gesicht zu einem verbindlichen Lächeln und flötete mit gezierter leiser Stimme und einfältiger Mi«16-»Sind Sie schon lange in Bath, gnädiges Fräulein?«
»Ungefähr eine Woche, mein Herr«, erwiderte Catherine und kämpfte mit dem Lachen. »Oh,