Wyatt kannte die scheußliche Unsitte der wilden Fallensteller und Felljäger. Sie schnitten einem, der gegen sie war, das Kopfhaar ab und rasierten seinen Schädel unter lautem Gejohle völlig kahl. Daß sie bei dieser Prozedur nicht gerade sanft umgingen, läßt sich denken.
Wyatt hatte nicht die mindeste Lust, sich auf einen solchen »Spaß« einzulassen.
Da packte der Ire den Alten und riß ihn zu sich heran. Mit einem Schlag fegte er den Stetson O’Brian vom Kopf, griff in den grauen Haarschopf des Alten und brüllte: »Boys! Hier wird einer Pelztierjäger!«
Wyatt war sich darüber im klaren, daß sich die Lage nahezu hoffnungslos zugespitzt hatte.
Er mußte handeln. Und zwar sofort.
Hinter sich hatte er den zugefrorenen See. Vor sich die Zelte der Jäger, ein großes Feuer und etwa fünfzehn Männer.
Mit einem raschen Schritt schob er sich vor den rothaarigen Hünen. »Laß den Mann los, Paddy!«
Der Ire rollte die Augen. »Was hast du gesagt, Yankee?« fragte er, heiser vor Wut.
»Du sollst den Mann loslassen.«
Der Irländer war nicht Menschenkenner genug, in den Augen des Marshals lesen zu können. Er hätte eine Menge darin lesen können!
»Sag mal, Yankee, wie sprichst du eigentlich mit mir, he? Ich glaube, du mußt erst scharf zurechtgestutzt werden, ehe du ein Pelzjäger wirst!«
Der Missourier trat bis auf anderthalb Yards heran. Er war kaum kleiner als der Pelzjäger, blieb vor ihm stehen und funkelte ihn an.
Fast leise stieß er hervor: »Laß ihn los, Boy!«
»Boy?«
Joel O’Neil schleuderte den Alten zur Seite wie eine Puppe und warf sich dem Marshal mit einem fürchterlichen Schwinger entgegen.
Blitzschnell duckte Wyatt den Kopf ab, und pfeifend surrte der Schlag über ihn weg.
Die Männer grölten und pfiffen schrill vor Ärger. Und dennoch waren sie siegessicher, denn immerhin war der riesige O’Neil der Athlet der Crew.
Als der Ire erneut zu einem Sturm auf den Gegner ansetzte, stieß Wyatt ihn mit einer geraden Linken vor die Brust zurück.
O’Neil hieb einen wütenden rechten Schwinger nach ihm.
Der Schlag traf Wyatts rechte Schulter.
Da riß der Missourier vorwärtssteppend einen fürchterlichen linken Haken aus der Hüfte, der krachend am Kinnwinkel des Iren detonierte.
Es war ein Schlag wie der Prankenhieb einer großen Raubkatze.
Joel O’Neil wurde zurückgeworfen, stand einen Augenblick steif auf den Absatzspitzen und kippte dann wie ein gefällter Baumstamm zurück, um der Länge nach hinzuschlagen.
Stille herrschte um das Feuer.
Bis der flachsblonde Jimmy Teck brüllte: »Den mach’ ich fertig!«
Er war mittelgroß, aber untersetzt wie ein Gorilla, sprang vor und pendelte auf den Marshal zu.
Nur eine Rechte brachte er nach vorn, dann riß ihm eine Doublette des Marshals die krummen Beine weg.
Zornig brüllend, machten die Männer Anstalten, sich auf den eisenharten Mann zu stürzen.
Da sahen sie in seinen beiden Fäusten Revolver blinken.
»Bleibt stehen, Boys. Laßt euch nicht verrücktmachen!«
Wyatt war einen schnellen Blick auf Sam. Der schaltete schnell und riß seine Schrotflinte aus dem Scabbard.
»Hört zu, Männer. Wir steigen jetzt auf unsere Gäule und reiten weiter. Wir haben euch nichts getan. Wenn diese beiden nervösen Burschen verrücktspielen wollten, so war das ihre Sache. Ihr habt damit nichts zu schaffen!«
»He, er hat einen Bluffer-Colt!« brüllte ein langer Schlaks mit breitem Brustkasten und eingeschlagener Nase. »Es ist ein Coltman!«
Da zuckte die Hand eines spitzgesichtigen Burschen zum Waffengurt.
Wyatt stieß den Buntline Revolver vor.
»Laß die Bleispritze im Leder, Jonny. Ich verstehe da gar keinen Spaß.«
Es war jedoch klar, daß die Fallensteller die beiden Fremden nie und nimmer ungeschoren auf die Pferde lassen würden.
Plötzlich flog der Spitzgesichtige zur Seite, riß den Colt hoch...
... und fing den brüllenden Schuß auf, der ihm aus dem Buntline Revolver entgegenschlug.
Wyatt stand breitbeinig da. »Laßt es genug sein, Boys. Ich hab keine Lust, hier ein Blutbad anzurichten. Wir haben euch nichts getan...«
»Bandit!« schrie der am rechten Oberarm Verwundete.
Wyatt ließ den rechten Colt ins Halfter gleiten, zog mit der freien Hand seinen Marshalstern aus der Tasche und hielt das blinkende Metallstück hoch.
»Ich bin Marshal und folge einem Mörder. Dieser Mann da ist mein Gehilfe. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es hier unter euch Männer gibt, die mich aufhalten wollen.«
»Er ist ein Marshal!« rief ein älterer Mann. »Devils, laßt ihn in Frieden!«
»Wie heißt er denn?« grölte ein buckliger Mensch mit verschlagenen Augen.
Da trat Sam O’Brian vor, hielt die Schrotflinte nach vorn und fauchte: »Wyatt Earp heißt er, Kleiner. Und ich schwöre dir und deinen Freunden, daß ich den ganzen Bleihagel sauber unter euch verteile, wenn ihr jetzt nicht endlich Vernunft annehmt.«
»Wyatt Earp!«
Selbst der rothaarige Riese, der immer noch keuchend und halbbenommen im Schnee saß, stieß den Kopf vor und wiederholte die beiden Worte: »Wyatt Earp?«
Der Marshal ließ den großen Revolver mit einem Handsalto ins Halfter gleiten und ging zu seinem Pferd. Ohne sich auch nur noch einmal umzudrehen, zog er sich in den Sattel und ritt davon.
Niemand rührte sich.
Da stapfte auch O’Brian zu seinem Gaul und stieg auf.
Es war ihm nicht ganz wohl, als er der wilden Bande seinen breiten Rücken bieten mußte. Aber da der Marshal sich nicht ein einziges Mal umwandte, blieb der Alte auch hart. Es geschah nichts.
Ungeschoren entfernten sie sich vom Lager. Erst als sie einige hundert Yards hinter sich hatten, forderte Wyatt den Gefährten auf, schneller zu reiten.
»Vorwärts, Sam, ehe es sich die Kerle anders überlegen!«
Sie machten etwas abseits vom Seeufer Rast.
Vorsichtshalber lösten sie sich in der Wache ab, um nicht doch von den möglicherweise auf Rache sinnenden Fellhändlern überrascht zu werden.
Wyatt wollte den Alten nicht im Schlaf stören und wachte bis in den grauenden Morgen hinein.
Dann erst weckte er O’Brian.
Der seinerseits ließ den Marshal bis in den Mittag schlafen.
Als der Missourier die Augen aufschlug, sah er, wie der Alte über einem Feuer einen großen Fisch am Eisenspieß brutzeln ließ.
Wyatt blickte zur Sonne hoch und sprang sofort auf die Füße. »Sam – sind Sie des Teufels. Es ist ja gleich Mittag.«
»Na und – wartet vielleicht irgend jemand auf uns? Haben Sie diese paar Stunden Schlaf vielleicht nicht verdient und bitter notwendig gehabt? Außerdem, was wollen Sie: Sie haben das Frühstück gespart. Es gibt gleich Bratfisch!«
»Wo haben Sie den denn her?«
Der Sheriff wies auf den