Maria von Guadalupe, das Original
Dieses Bildnis ist in Mexiko allgegenwärtig. Es wurde über die Jahrhunderte zu einer Ikone des Glaubens der mexikanischen Ureinwohner, der Nachfahren der Azteken. Auch wenn es nicht leichtfällt, zu verstehen: Der christliche Glaube, der vor rund einem halben Jahrtausend mit gewalttätigen Plünderern ins Land kam, wurde nach den wundersamen Ereignissen von Guadalupe von der gedemütigten Bevölkerung angenommen. Nebenbei: Auf einem kleinen Friedhof außerhalb von Mexiko-City sah ich das Bildnis von Guadalupe auf einem heutigen Grabstein verewigt.
Juan Diego war ein gebürtiger Azteke. 1525 trat er zum christlichen Glauben über. Er war vom neuen Glauben zutiefst überzeugt. Man muss ihn als guten Katholiken bezeichnen. Fast täglich suchte er die Kirche im mexikanischen Tlaticlo auf. Er verbrachte einen erheblichen Teil seines Alltags damit, von seinem bescheidenen Heim im Dörfchen Tolpetlac zum Gotteshaus und zurück zu marschieren. Neun Meilen war der Weg lang, Juan Diegeo stand meist schon in der Nacht auf.
Am 9. Dezember 1531 war Juan Diego wieder einmal unterwegs zur Kirche, da hörte er unweit des Berges Tepeyac wunderschöne Musik. Als er nach kurzer Pause weitermarschieren wollte, so wird überliefert, sprach ihn eine Stimme an: »Juanito, Juan Dieguito.« Wer redete ihn da so zärtlich an? Wer verwandelte seinen Namen im Spanischen geradezu zu einem Kosewort? Man kann die Anrede so übersetzen: »Kleiner Juan-chen, Juan Diego-chen«.
Die Gläubigen sind von der Realität des mysteriösen Erlebnisses überzeugt. Sie kommen aus aller Welt nach Mexiko, um dem Ort des rätselhaften Geschehens zumindest einmal im Leben nahe zu sein. Da schläft der erschöpfte Hirte in ärmlicher Kleidung im Gotteshaus ein. Neben ihm sitzt ein reicher Industrieller im teuren Anzug. Wo man auch im gewaltigen Kirchenhaus sitzt, man kann immer das Bildnis der Maria sehen. Gar manches Mal war ich in der Basilika. Mehr als der mächtige Bau hat mich die friedliche Stimmung im Gotteshaus beeindruckt. Nonnen und Mönche, Arme und Reiche erweisen der Maria ihre Referenz. Selbst Touristen in grellbunter Kleidung fallen hier nicht unangenehm auf.
Die Atmosphäre ist nicht in Worte zu fassen. Es liegt ein geheimnisvoller Frieden über dem Raum. Die Menschen spüren so etwas wie eine geistig-seelische Verbindung. Sie verstehen einander, auch wenn sie aus unterschiedlichsten Kulturkreisen und Schichten kommen. Mich, der ich alles andere als kirchenfromm bin, hat Guadalupe immer wieder zutiefst beeindruckt. Mir war, als würde in jener riesigen Kathedrale zumindest für einen Moment die tiefe Sehnsucht nach Ruhe und Frieden erfüllt, in einer Welt der Hektik, nur einen Katzensprung von der lauten, oft stinkenden Metropole Mexiko City entfernt.
Gottesdienst in der Basilika
Es ist, als gehe ein Zauber von den mysteriösen Ereignissen aus, die vor fast einem halben Jahrtausend Juan Diego in ihren Bann zogen. Ein »edles Fräulein, dessen Gewand leuchtete wie die Sonne, als ob es vom Licht widerstrahle« stand da, so ist uns überliefert worden, auf einem Felsen. »Der Glanz von ihr schien wie Edelsteine, wie der schönste Schmuck. Und die Kakteen und die übrigen Kräutlein sahen aus wie Smaragde. Wie Türkis sah ihr Blätterwerk aus, und ihre Zweige, ihre Dornen leuchteten wie Gold.«
Juan Diego fiel auf die Knie. Er schlug ergriffen, ja erschüttert, die Augen nieder. Die himmlische Erscheinung erklärte, sie sei »die vollkommene heilige Jungfrau Maria«. Juan Diego bekam den Befehl, auf dem Tepeyac eine Kapelle errichten zu lassen. Er solle nur rasch den Bischof von Mexiko aufsuchen und das dringende Anliegen Mariens vortragen. Juan Diego hatte keinen Zweifel: Er musste gehorchen, dem Willen Mariens konnte er sich nicht widersetzen. Er stürzte in die Stadt, um eine Audienz bei Bischof Juan de Zumarrage zu erbitten. Der hochrangige Mitarbeiter in Gottes Bodenpersonal war allerdings nicht unbedingt ein Mann des Volkes, der sich auf ein Gespräch mit einem einfachen Gläubigen einließ, schon gar nicht mit einem Indio, der sich womöglich eine obskure Geschichte ausgedacht hatte. Oder war der Mann gar alkoholisiert gewesen, als er angeblich eine Erscheinung hatte?
Wenn Juan Diego aber doch die Wahrheit sprach? Immerhin ließ er sich nicht abwimmeln, sondern beharrte darauf, den Bischof unbedingt sprechen zu müssen. Seine Ausdauer wurde auf eine harte Probe gestellt. Man ließ ihn warten, stundenlang. Immer wieder versuchte man, ihn abzuwimmeln. Vergeblich. Schließlich hörte sich der hohe Würdenträger Juan Diegos Bericht an und schickte ihn wieder weg. Enttäuscht machte sich Juan Diego auf den Heimweg. Unterwegs begegnete ihm wieder die Erscheinung. Wieder bekam er den Auftrag, zum Bischof zu gehen. Wieder wurde er vorgelassen. Der Bischof fühlte sich belästigt. Er forderte Juan Diego auf, ihm doch einen Beweis für seine angebliche Begegnung zu bringen. Wie aber sollte so ein Beweis aussehen? War das Wort Marias nicht Beweis genug? Wie sollte er dem Bischof glaubhaft machen, dass ihm tatsächlich Maria, die Mutter Gottes nach katholischem Glauben, begegnet war?
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