Jetzt klapperte es auf den Steinen. Ida Wulf kam die Straße herab. – Unter Rosas Fenster blieb sie stehen, blickte hinauf und lachte, ihre weißen Zähne zeigend. »Guten Morgen, Fräulein Rosa.«
»Guten Morgen, Ida.«
»Sind Sie krank gewesen, Fräulein Rosa?«
»Ja.«
»Sind Sie wieder gesund?«
»Ja.«
»Werden Sie wieder spazierengehen?«
»Ja. Warum nicht.«
Rosa errötete bei dieser Antwort.
»So.«
Ida klopfte mit der Fußspitze auf die Steine, zog ihr Gesicht kraus und schaute die Straße hinab.
»Wie geht es dir, Ida?« fragte Rosa hinunter.
»Gut«, meinte Ida und zuckte die Achseln; dann sagte sie leiser: »Dass Fräulein Sally heiraten will – wissen Sie?«
»Nein. Wen denn?«
»Den Herrn Toddels – von Paltow, wissen Sie?«
»Den!«
Rosa lächelte.
»Lachen Sie nicht, Fräulein Rosa; es ist wahr«, beteuerte Ida. »Sie sind schon gestern Arm in Arm spazierengegangen.«
Als Rosa schwieg, fügte Ida mit verständigem Kopfnicken hinzu: »Warum auch nicht? Recht hat sie.«
»Gewiss!« erwiderte Rosa hastig.
»Und von dem jungen Herrn haben Sie keinen Brief?« fragte Ida plötzlich.
»Nein. Weißt du etwas?«
»Ich weiß gar nichts«, antwortete Ida, sich zum Weitergehen anschickend, »ich glaubte nur, er hat Ihnen einen Brief geschrieben. Guten Morgen, Fräulein Rosa. Der Peter hat mich zum Brückenkrug hinabbestellt.«
»Wozu denn?«
Ida zuckte die Achsel. »Wieder seine Dummheit«, damit ging sie – klapp, klapp – weiter, den dürren Körper nachlässig hin und her werfend.
Mit geröteten Wangen und aufgeregt glänzenden Augen blieb Rosa im Fenster liegen. Plötzlich trat ihr früheres Leben wieder an sie heran, als wäre es nie gestört worden. Sally und Toddels, Ida und Peter, die am Brückenkopf noch immer ihr verstecktes Wesen trieben, endlich Ambrosius. Es war ihr, als müsste er jetzt dort unten vorüberschlendern. Gewiss. Ida hatte recht, er konnte ihr schreiben, nichts wäre natürlicher. Sie begriff nicht, wie sie hatte alles aufgeben können. Sie holte wieder ihre Liebe zu Ambrosius hervor. Kam es nicht täglich vor, dass ein junger Mensch einem Mädchen treu blieb und es gegen den Willen der Eltern heiratete? Kaum begann die Seele des Mädchens zu genesen, als sich auch die früheren Mädchenträume wieder einstellten, die vor dem wahren Schmerz zerstoben waren.
Von jetzt ab erwartete Rosa Ambrosius’ Brief, erwartete ihn mit jenem unverdrossenen, nie rastenden Eifer, der das Ohr für den geringsten Laut schärft. Dazu gesellte sich noch der ganze wunderliche Aberglaube der Hoffnung. Um die Zeit, da der Briefträger die Briefe auszutragen pflegte, stand Rosa am Fenster auf der Lauer und versuchte aus allerhand mystischen Zeichen zu entnehmen, ob sich der ersehnte Brief in der schwarzen Tasche befand oder nicht. »Geht der Briefträger«, sagte sie sich, »auf die andere Seite der Straße hinüber oder – muss er an jener Türe zweimal schellen, dann ist der Brief da.« Zuweilen ging der Briefträger auf die andere Seite der Straße hinüber oder schellte zweimal an der betreffenden Türe, aber der Brief kam doch nicht.
Diese neue Beschäftigung machte Rosa unruhig, und am Nachmittage, als die Dämmerung ihr behagliches Licht über die Straßen breitete, während ein glanzloser weißer Mond am Himmel hing – da hielt sie es nicht länger im Zimmer aus. Sie legte ihren vertragenen Wintermantel an, drückte sich den ruppigen Filzhut tief in die Stirn und ging hinaus.
Es tat wohl, wieder in freier Luft auf der Straße zu stehen, den Wind sich in die Haare fahren zu lassen und mit den Absätzen auf die Steine zu trommeln. Rosa empfand wieder etwas von der ungebundenen Ausgelassenheit, die sonst in solchen Dämmerstunden die Schankschen Schülerinnen zu jedem dummen Streich aufgelegt gemacht hatte. Mit kleinen Schritten ging sie die Straße hinab – sie wollte zum Fluss hinuntergehen; später, wenn es finster geworden war, hatte sie einen Gang durch die Stadt vor; bei Lanins – Klappekahls – an der Schule – beim Trödler vorüber, alles wollte sie heute wiedersehen.
Am Ende der Straße standen der Sekretär Feiergroschen und der Apotheker im eifrigen Gespräch beieinander. Klappekahl erzählte etwas, sein Gesicht dem Sekretär fast in den Sammetkragen des Überrockes steckend; der schöne Sekretär, nachlässig an einen Laternenpfahl gelehnt, hörte zu und sandte nur ab und zu ein Wörtchen unter dem goldenen Bart hervor.
»Eine widerwärtige Affäre!« meinte Klappekahl. »Ich brauche mich eigentlich nicht hineinzumischen. Was geht mich die ganze Geschichte an? Was?« Und er stemmte seinen Mittelfinger gegen die Brust und blickte den Sekretär scharf an. Dieser jedoch zuckte nur die Achseln und schlug mit dem Spazierstock auf das Pflaster. »Natürlich«, fuhr der Apotheker fort, als hätte er die gewünschte Antwort erhalten. »Das sage ich eben, mich geht die ganze Geschichte nicht – so viel – an. – – Aber, aber! – Ich muss mich da hineinmischen. Verstehen Sie? Ich muss!« Er hielt inne, um dieses »muss« Herrn von Feiergroschen mit allen fünf Fingern vor die Nase zu halten. »Erstens – um Lanins willen, zweitens kenne ich den Kommerzienrat Tellerat, und er ersucht mich um diesen Dienst. Endlich tue ich’s für den alten Herz. Es wird ihm lieb sein, wenn ich die Affäre leite. Ich muss also – nichts zu machen.« Dabei schlug er kräftig auf seine Paletottaschen.
»Ja – o ja!« versetzte der Sekretär langsam, nahm seinen Spazierstock unter den Arm, um beide Hände frei zu haben, und zupfte vorsichtig die Spitzen seines Backenbartes. »Das finde ich ganz natürlich. Nur sehe ich nicht ein, warum Sie es ihr – persönlich sagen wollen. Sie könnten es kommoder durch den Alten machen.« Er lachte, weil er sich freute, diesen naheliegenden Ausweg gefunden zu haben. Klappekahl aber schüttelte den Kopf.
»Da sagen Sie mir nichts neues! Ich habe auch daran gedacht, es durch den Alten zu machen – ich bin jedoch davon zurückgekommen«, schloss er feierlich und betrachtete seine Handfläche.
»So? – hm – warum denn?« murmelte Feiergroschen.
»Ja – sehen Sie!« Der Apotheker setzte seine Gründe mit vielem Behagen auseinander,