Ambrosius sollte den heutigen Tag natürlich nur den Damen und der Unterhaltung widmen. Von Geschäften sollte nicht die Rede sein. Dennoch wünschte er den Schauplatz seiner künftigen Wirksamkeit zu sehen, und sein Onkel führte ihn in das Heiligtum ein.
»Du siehst, mein Lieber«, sagte er und klopfte mit der flachen Hand zärtlich auf eine Heringstonne, »du siehst, hier ist alles einfach, praktisch; nichts von unnützem Luxus; kein Blendwerk – kein Schwindel. Solid, mein Lieber, solid, das ist die Losung!«
»Hm – ja«, meinte Ambrosius, »das ist das Wahre. Es sieht hier allerdings sehr reell aus.«
Aus einer finstern Ecke fuhr Lurch hervor – scheu, bleich und fadenscheinig; die staubige Nymphe dieser staubigen Grotte.
»Dieses«, sagte Herr Lanin und wies auf seinen Kommis mit dem Zeigefinger, als wäre er nur eine große Konserve, »dieses ist Lurch.«
Die beiden jungen Leute verbeugten sich gegeneinander. Ambrosius steif und hochmütig, Lurch äußerst gelenkig und hastig.
»Lurch ist mein Gehilfe«, erklärte Herr Lanin. Lurch ergriff verwirrt ein Paket Lichte und rieb sich damit die Nase, bis sein Prinzipal trocken bemerkte: »Was wollen Sie mit den Lichten? Es ist ja niemand da.«
»Ich dachte – –«, stotterte Lurch, Herr Lanin aber schenkte ihm keine Beachtung weiter, sondern begann die Anordnung der verschiedenen Gegenstände zu erklären; er setzte auseinander, dass er bei Aufstellung der Artikel ein bestimmtes, sozusagen mathematisches System befolge: »Die Nachfrage bestimmt jeder Sache ihren Platz. Gewöhnliche Dinge, Dinge des täglichen Lebens, wie Seife, Kerzen – stehen niedrig, leicht erreichbar, andere, wie Orangen, teure Zigarren – höher, weiter fort. So entsteht ein quasi architektonisches Ganzes, indem Orangen, Seife, Heringe quasi Bausteine sind, die ihren bestimmten Platz haben und, nach der Berechnung eines jeden denkenden Menschen, keinen anderen Platz haben können.«
Ambrosius billigte dieses Verfahren; er nannte es weise und zweckmäßig. Sein Onkel fügte noch eingehendere Erörterungen hinzu, führte Beispiele an. Er nahm an, Ambrosius wolle grüne Seife kaufen – nur eine Annahme »substituierte« das. Gut! Sogleich sprang Herr Lanin an ein Schubfach, hob eine sehr unreine Büchse empor und lachte. Wollte dagegen Ambrosius eine feine Havanna rauchen, wiederum nur Annahme, dann musste Herr Lanin eine kleine Leiter hinanklimmen, um eine Zigarrenkiste vorzuzeigen. Ambrosius folgte dem allen mit Aufmerksamkeit, lachte, wenn die Seife oder die Zigarren wirklich zum Vorschein kamen, und sagte unzählige Mal »Ja!« – Ab und zu kam Fräulein Sally herein. Sie war jedesmal überrascht, die Herren hier zu finden. Befahl Lurch unter beständigem Lachen, Tee und ein Stück Käse herzugeben, schrie auf, weil sie den Käse nicht anfassen mochte, und verschwand wieder wie ein netter kleiner Brausewind, der sie war.
Die Herren traten auf die niedrige Treppe des Ladens hinaus und schauten auf den Marktplatz hinab. Die Vorübergehenden blieben stehen und musterten Lanins Neuen, der dann seine schöne Gestalt reckte, einige abgerundete Bewegungen mit den Armen machte oder auch wohl, auf das Rathaus deutend, mit lauter Stimme sagte: »Der Bau ist gut – der sogenannte Renaissance-Stil.«
Es war schon spät abends. Herr Lanin blinzelte heftig mit den Augenlidern, gähnte einige Mal diskret und zog sich dann in sein Studierzimmer zurück, um noch einen juristischen Fall zu überdenken. Frau Lanin wurde in ihrem großen Sessel sehr schweigsam. Fräulein Sally aber und Ambrosius saßen noch am Fenster beieinander und lernten sich kennen. Die Lampe war nicht angezündet worden. Ein graues Zwielicht waltete im Gemach. Die Tische, die Sessel, die Hausfrau lagen wie dunkle Schattenmassen im Hintergrunde. Im helleren Rahmen des geöffneten Fensters zeichneten sich die Profile der beiden jungen Leute scharf ab. Diese Profile bewegten sich, näherten sich, fuhren wieder auseinander, beugten sich dann wieder gemessen und höflich vor. Die Unterhaltung ward halblaut geführt; mit gewisser Regelmäßigkeit wechselte der Diskant mit dem Bass.
»O ja, ich habe eine Freundin«, sagte Fräulein Sally weich.
»Wirklich? Doch natürlich!«
Ambrosius’ Stimme klang, als müsse er beständig das Lachen unterdrücken. »Natürlich! Eine jede junge Dame hat eine Freundin. Natürlich!«
»Natürlich?« meinte Fräulein Sally und neigte ihren Kopf melancholisch zur Seite. »Es ist nicht so natürlich. Nicht eine jede hat das Glück, eine Seele zu finden, die sie versteht. Mir – mir fällt es besonders schwer, denn, sehen Sie, Cousin, ich verlange viel – sehr viel.«
»Aber Sie haben gefunden?«
»Ja! Vielleicht! Das heißt, wir lieben uns; aber – verstehen Sie, ich werde mehr geliebt. Es ist vielleicht nicht recht, aber – – –« Fräulein Sally schwieg und sann in das Dämmerlicht hinein.
»Ich verstehe – hm –« versetzte Ambrosius, »Sie sind, sozusagen, mehr empfangend; das Fräulein Freundin mehr gebend – hm – hingebend. Sie, Cousine, sind dann wohl auch mehr herrschend?«
»Vielleicht.«
»Oh, gewiss, gewiss!« neckte Ambrosius.
»Aber ich liebe sie dennoch sehr.«
»Haben Sie keine Geheimnisse voreinander?«
»Sie hat keines, nein; aber ich« – Fräulein Sally seufzte und legte die Hand auf diejenige Stelle des schwarzen Kleides, unter der das geheimnisvolle Herz schlug. Ambrosius lachte heftig und drohte mit dem kleinen Finger. Er fand das köstlich. »Also, Sie haben doch Ihre Geheimnisse. Damen haben immer Geheimnisse, immer.«
»Herren nicht?« fragte Sally schelmisch.
»Nein! Das ist Sache der Damen. Ich wüsste gern diese Geheimnisse.«
»Oh, die Herren sind immer so neugierig.«
»Es ist Wißbegierde. Neugierig sind ja – hm – spezifisch