Kino
Personen:
Xaver Hierlinger, Melber
Sophie Hierlinger, seine Frau
Sopherl, die Tochter
Andere Münchner
Andere Münchnerinnen
1
Vor dem Kino
HIERLINGER: Herrgottzaggerament-zaggera! I hab’s ja z’erscht g’sagt.
FRAU HIERLINGER: Was hast g’sagt?
HIERLINGER: Mit enkern Schmarrn, hab i g’sagt… Dös waar ja a wahrs Unglück gwen, wenn i heut zu mein Tertl ganga waar! Na! Weil’s a so a fada Sunntag is, muaß i mit da Familli in da Schdadt umanand zieahgn!
FRAU HIERLINGER: No woaßt, a bissel galant derfst scho aa no sei! Hockst a so de ganz Wocha im Kaffeehaus und kimmerst di net um ins!
HIERLINGER: Unta da Woch wer i mi aa no um enk kimmern! Da hast recht!
SOPHERL: Babbi, geh ma ins Kino! Da steht’s, was geb’n werd.
HIERLINGER: Da werd scho was geb’n wern!
SOPHERL liest: Am gebrochenen Härzen – Erschitterndes Drama –
HIERLINGER: Am gebrochenen Härzen – dös mog i. Am… Ding… hätt i bald g’sagt.
FRAU HIERLINGER: Geh, tua di net gar a so äußern!
HIERLINGER:… Also, geh ma eini!
2
Im Kino. Dunkel
HIERLINGER: Herrgottzaggerament – zaggera!
DIENER: Stufä!
HIERLINGER: Ja, Stu-fä! Z’erscht laßt er oan abirumpeln! Was glaab’n denn Sie? Eine solchene Gehirnerschidderung!
EIN MÜNCHNER IM DUNKEL: Gar so vui werd si net erschiddern –
HIERLINGER: Wos werd net? Wer redt denn da überhaupts? So a Zigeuna!
STIMMEN: Bsst! Ruhä!
HIERLINGER: So a Pfundhamml, so a unappetitliche!
DER MÜNCHNER IM DUNKEL: Geh, tua di schleicha und schaug, daß d’ dein Gipskopf aus da Platt’n außa bringst, sonst werd’s ma unwohl! Du auftrieb’na Wassasüchtling!
HIERLINGER: Ah! Ah! Da…
FRAU HIERLINGER: Sei ruhig, Xaver! Gib dich doch mit einem soichen ordanären G’sindel nicht ab…
DER MÜNCHNER IM DUNKEL: Jäh! G’sindel! Sie möcht aa was sag’n, de g’scherte Heubod’nspinna!
FRAU HIERLINGER: Also so was Gemeins…
STIMMEN: Bsst! Ruhä! Sätzen! Die Familie Hierlinger setzt sich. Ein Landschaftsfilm wird abgehaspelt. Schwedische Wasserfälle, dazu weiche Walzermelodien. Hierlinger schaut sich immer wieder nach seinem Feinde um, der im Dunkeln sitzt.
HIERLINGER: Der hat mi aufg’warmt, der ung’hobelte Laggl, der!
FRAU HIERLINGER: Ich bitt dich, Xaver! Du mußt dich beruhigen, Xaver! Es wird hell. Hierlinger dreht sich wieder um und schaut drohend hin, der Feind schaut drohend her, da verklärt ein Lächeln das Gesicht eines jeden.
DER MÜNCHNER: Jetz is recht! Da Hierlinga!
HIERLINGER: Da Söllhuaba Beni!
SÖLLHUBER: Hätt ma ins beinah hart g’redt…
HIERLINGER: Im Dunkeln is guat munkeln, und was sich liebt, das neckt sich…
SÖLLHUBER: Aba bei deina Frau Gemahlin muaß i mi scho no eigens entschuldingen…
FRAU HIERLINGER: Ja – Sie!
SÖLLHUBER: Bitte halt vuimals – net wahr, gnä Frau! Wissen S’ scho, wia’s geht, wenn man si anand net kennt… Da gibt’s oft de schlimmst’n Vawechslunga…
FRAU HIERLINGER: Ja – Sie!
HIERLINGER lacht: Du hast di scho a wengl weit außa lass’n mit deini tiaf’n Tön, mei Liaba…
STIMMEN: Bsst! Ruhä! Es wird dunkel. Nun kommt der Film: ›Am gebrochenen Herzen‹.
3
Schrift: Die ehemals gefeierte Schönheit Theresita Benzoni merkt, daß der Funke der Leidenschaft in ihrem Gemahle erloschen ist…
SÖLLHUBER ruft vor: Xari!
HIERLINGER: Wos?
SÖLLHUBER: Der dei aa?
HIERLINGER: Ja – ja – !Net zweni!
STIMMEN: Ruhä! Was is denn das für eine Auffierung?
ANDERE STIMMEN: De broatletschat’n Hauspascha!
SÖLLHUBER: Wia hoaß i?
STIMMEN: Sssssssssst!
Schrift: Sie beschließt, noch einmal mit der Macht ihrer Töne das Herz des geliebten Mannes zu rühren wie früher.
Bild: Eine Dame, mit aufgelösten Haaren, einem Doppelkinn und anderen sinnlichen Reizen, im Morgenrocke, sitzt am Klavier, hebt und senkt mit schöner Rundung die Hände und streicht die Tasten.
Er steht am Fenster, mit dem Rücken gegen sie.
Die Töne wirken. Man sieht es an den Händen, die er auf den Rücken hält.
Die Töne wirken stärker. Die Hände vibrieren. Er dreht sich um, sie schießt einen Blick auf ihn. Er kommt einen Schritt näher, zwei Schritte, bleibt stehen.
Sie klaviert weiter. Da kommt er ganz nahe und kniet neben ihr nieder.
Sie streicht ihm mit der Hand über die Haare. Er schaut sie an, sie schaut ihn an.
Lange, innig, tief.
Schrift: Einen Augenblick ist Carlo Benzoni dem alten Zauber, der einst so mächtig auf ihn eingewirkt hatte, verfallen. Schon aber steigt ein anderes Bild vor seinem geistigen Auge auf – Graziella – und – –
Bild: Er liegt noch auf den Knien vor ihr und blickt zu ihr auf. Da nehmen seine Augen etwas Starres an, dringen ins Leere. Aus dem Leeren drängt sich das Bild eines Frauenzimmers hervor.
Mit hochgeschnürtem Busen, kecken Augen, verführerischem Lächeln… Er steht auf, streckt die Hände sehnend aus nach dem Bilde, seine Augen treten hervor, das Bild verschwindet, er kommt zu sich, schaut seine Gemahlin kalt an, und sie läßt ihren Kopf sinken, mit einem Ruck, noch einem Ruck und einem Ruck, streckt die Arme aufs Klavier, den Kopf auf die Tasten, und ist in Schmerz aufgelöst.
Sie rinnt unterm Morgenrock auseinander.
Verwandlung.
Ein Auto fährt vor. Benzoni! Fährt durch mehrere Straßen.
Ein anderes Auto folgt im schnellsten Tempo. Theresita!