Da stürzte sie sich außer sich auf ihn, stand vor ihm, blickte ihm Auge in Auge und sagte mit zitternder Stimme:
– So wollen Sie mich behandeln! So wollen Sie mich behandeln! Nee, nee! Und für wen denn das? Für diese Krabbe, die nich mal Ihr Kind ist! Nein, Ihres nicht! Nein, Ihres nicht! Ihres nicht! Weiß der Deubel, das pfeifen ja die Spatzen von den Dächern, nur Sie wissen’s nicht! Fragen Sie doch den Kaufmann, den Fleischer, den Bäcker, alle, alle!
Sie stammelte fast erstickt vor Wut, dann schwieg sie und blickte ihn an.
Er regte sich nicht, er war totenblaß, schlaff hingen ihm die Arme herab, und nach ein paar Sekunden stotterte er mit zitternder, erschöpfter Stimme, aus der eine furchtbare Erregung klang:
– Was sagst Du da? Was sagst Du da?
Sie schwieg erschrocken über sein Aussehen. Er ging einen Schritt auf sie zu und wiederholte:
– Was sagst Du da? Was sagst Du da?
Da antwortete sie, jetzt wieder ruhiger:
– Ich sage, was ich weiß, was alle Welt weiß!
Er hob beide Hände, warf sich auf sie wie ein wildes Tier und versuchte sie niederzuschlagen. Aber trotz ihres Alters war sie stark und noch beweglich genug. Sie entwischte ihm, lief um den Tisch und indem die Wut wieder in ihr aufstieg, schrie sie ihm entgegen:
– Sehen Sie’n doch an! Sehen Sie’n doch an. Sie sind ja zu dumm! Ist das nicht der reine Herr Duretour? Sehen Sie doch die Nase an und die Augen! Haben Sie so was, solche Augen, so ‘ne Nase? Solche Haare? Hatte sie etwa solche Haare, sie? Ich sage Ihnen, alle Welt weiß es, alle Welt, nur Sie nicht. Die ganze Stadt lacht ja darüber. Sehen Sie ‘n doch nur an!
Sie rannte zur Thür, riß sie auf und verschwand.
Hans blieb entsetzt, unbeweglich vor seinem Suppenteller sitzen.
Eine Stunde darauf kam sie ganz langsam wieder, um nachzusehen. Der Kleine hatte die Kuchen gegessen, sein Kompott, Obst, und aß jetzt mit seinem Suppenlöffel Eingemachtes. Der Vater war hinausgegangen.
Cölestine nahm das Kind, küßte es, und langsam brachte sie es in sein Zimmer und zu Bett. Dann kehrte sie ins Eßzimmer zurück, räumte den Tisch ab, brachte alles, etwas unruhig geworden, in Ordnung. Man hörte nicht das geringste Geräusch im Hause.
Sie lauschte an der Thür des Zimmers ihres Herrn, nichts bewegte sich. Sie sah durch das Schlüsselloch, er schrieb ganz ruhig, wie es schien.
Dann kehrte sie in die Küche zurück, setzte sich dort hin, um jedenfalls bereit zu sein, denn sie ahnte irgend etwas. Auf einem Stuhle schlief sie ein, und erst bei Tagesanbruch wachte sie auf.
Sie brachte das Haus in Ordnung, wie gewöhnlich jeden Morgen, fegte, klopfte, wischte Staub, und gegen acht Uhr machte sie für Herrn Lemonnier das Frühstück zurecht. Aber sie wagte nicht, es in sein Zimmer hineinzubringen, denn sie wußte nicht, wie er sie empfangen würde. Und sie wartete, bis er klingelte. Er klingelte nicht, es wurde neun, es wurde zehn.
Cölestine setzte jetzt verstört das Frühstück auf ein Tablett, und mit klopfendem Herzen machte sie sich auf den Weg. An der Thür blieb sie stehen und lauschte – nichts regte sich. Sie klopfte, man antwortete nicht.
Da nahm sie allen Mut zusammen, öffnete, trat ein. Dann stieß sie einen furchtbaren Schrei aus und ließ das Frühstück fallen, das sie in der Hand hielt:
Herr Lemonnier hing in seinem Zimmer am Kronleuchter!
Seine Zunge bläkte gräßlich heraus, der rechte Morgenschuh war herabgefallen, lag an der Erde, der linke klebte noch am Fuß. Ein umgefallener Stuhl war bis ans Bett geflogen.
Cölestine lief kreischend davon, die Nachbarn kamen gestürzt; der Arzt stellte fest, daß der Tod etwa um Mitternacht eingetreten sei.
Auf dem Schreibtisch des Selbstmörders fand man einen Brief an Herrn Duretour gerichtet, der enthielt nur eine Zeile:
»Ich lasse Ihnen das Kind, und vertraue es Ihnen an.«
Eine wahre Geschichte
Draußen blies heftig der Wind, ein rasender, stöhnender Herbststurm, einer jener Stürme, der die letzten Blätter von den Bäumen schüttelt und sie zu den Wolken emporwirbelt.
Die Jäger hatten ihr Mahl beendet; sie saßen in ihren hohen Stiefeln, mit roten Köpfen, ein wenig angesäuselt da. Es waren jene normannischen Halbedelleute, halb Herren, halb Bauern, reich, kräftig, wie es schien gemacht, den Ochsen, die sie auf den Markt trieben, die Hörner herunterzubrechen.
Sie waren den ganzen Tag über auf der Jagd gewesen auf der Besitzung des Herrn Blondel, des Ortsvorstehers von Eparville. Und nun saßen sie um den großen Tisch in dem schloßartigen Gutshaus, das ihrem Wirt gehörte.
Sie erzählten mit Gebrüll, sie lachten dröhnend, sie soffen wie die Löcher, die Beine unterm, die Ellenbogen auf dem Tisch. Ihre Augen leuchteten beim Schein der Lampe, ein gewaltiges Feuer brannte im Kamin und warf rote Lichter an die Decke.
Sie sprachen von Jagd und Hunden, und nun waren sie auf dem Punkte, wo halbbetrunkenen Männern andere Gedanken kommen, und alle folgten einem derben, pausbäckigen Mädchen mit den Augen, die in ihren roten Händen die Schüsseln hin und her trug.
Da rief plötzlich ein großer, langaufgeschossener Kerl, der Tierarzt geworden war, nachdem er zuerst Theologie studiert hatte und der das ganze Tiervolk der Gegend behandelte, Herr Séjour:
– Gott verdamm mich, Blondel, da haben Sie aber ein strammes Mädel!
Lautes Lachen klang. Da erhob ein alter, etwas deklassierter Edelmann, der sich aufs Trinken gelegt hatte, Herr von Varnetot, die Stimme:
– Hört mal, ich habe mal mit so’nem Mädel eine komische Geschichte erlebt, die muß ich euch mal erzählen. Immer, wenn mir die Erinnerung kommt, denke ich an meine Hündin Mirza, die ich an Graf d’Haussonnel verkauft habe und die täglich, sobald sie nur freigelassen wurde, wieder zu mir zurückkehrte, denn sie konnte nicht von mir lassen.
Endlich wurde ich wütend und sagte dem Grafen, er möchte das Tier gefälligst an die Kette legen. Na, wissen Sie, was mit dem Tier da passierte? Es ist vor Kummer gestorben!
Aber, um auf das Mädel zurückzukommen, hört mal zu: Ich war so fünfundzwanzig Jahre alt, unverheiratet und lebte ganz allein auf meinem Schlosse Villebon. Wißt ihr, wenn man jung ist und Geld hat und jeden Abend nach Tisch sich aus den Hosen bocken möchte vor Langeweile, dann schmeißt man seine Augen überall herum.
Na, und da entdeckte ich ein Mädel, das diente bei Deboultot in Cauville. Blondel, Sie haben doch Déboultot gekannt? Na, und das Luderchen fing mich richtig ein, daß ich zu ihrem Herrn ging und ihm vorschlug, er sollte mir seine Magd lassen, von mir kriegte er dafür meine schwarze Stute Cocotte, auf die er schon seit zwei Jahren scharf hatte. Er streckte mir die Hand entgegen:
– Top, Herr von Varnetot!
Der Handel war fertig, die Kleine kam zu mir, und ich brachte meine Stute selbst nach Cauville und ließ sie ihm für dreihundert Thaler.
Na zuerst war’s eitel Wonne und Seligkeit. Kein Mensch hatte eine Ahnung davon, nur hatte mich Rosa, fand ich, etwas zu gern. Wißt ihr, das Ding war nicht das erste beste; die mußte irgend was Vornehmes in den Adern haben, die stammte gewiß von irgend einem Mädel ab, das sich mal mit seinem Herrn eingelassen hatte.
Kurz, sie hatte mich zum fressen gern. Herrgott, war das eine Liebe! Ein Gethue, ich kriegte Kosenamen ab! Aber ich sagte mir, lange darf das nicht mehr dauern, sonst bleibe ich doch noch hängen, na, aber mich legt keiner so leicht rein, ich laß mich nicht leicht durch’n bißchen Schänthun fangen.
Kurz, ich überlegte mir die