»Myladys Überraschungsreichtum ist und bleibt unerschöpflich«, erklärte Parker höflich wie stets.
»Das ist allerdings richtig«, meinte sie und lächelte wohlwollend. »Sie verfügen über eine gute Beobachtungsgabe, Mister Parker: Nur weiter so!«
*
Martin Landbys privates Wohnhaus war recht klein und stand in einem Garten, der über eine Stichstraße zu erreichen war. Bescheidener Wohlstand prägte dieses Viertel in Bethnal Green.
»Weit und breit nichts von diesen Kriminellen zu sehen«, sagte die ältere Dame enttäuscht, als Parker sein hochbeiniges Gefährt auf dem Parkplatz vor dem Haus abstellte.
»Mit dem Erscheinen des Mister Cantner und seiner Mitarbeiter ist nach wie vor zu rechnen, Mylady«, gab Parker zurück und lieh der älteren Dame seine hilfreiche Hand, als sie den Fond des Wagens verließ. »Möglicherweise aber wartet man bereits im Haus.«
»Das wäre zu schön, um wahr zu sein«, reagierte Lady Agatha. »Dann hat man also den Ford irgendwo in der Nähe abgestellt, nicht wahr?«
Parker ging auf diesen Hinweis nicht näher ein. Er schritt bereits gemessen zur Haustür und knöpfte dabei seinen schwarzen Covercoat auf. Er entnahm einer seiner vielen Westentaschen eine Plastik-Kapsel, die ausgiebig perforiert war. In ihr befand sich eine Glasampulle, die mit einer wasserklaren Flüssigkeit gefüllt war.
Parker zerbrach diese Ampulle zwischen seinen schwarz behandschuhten Fingern und beeilte sich, die Kapsel durch den Briefschlitz ins Haus zu werfen. Dann trat er diskret zur Seite und harrte der Dinge, die da kommen mußten.
Er hörte wenige Sekunden später ein erstes Husten, das in quälendes Bellen überging. Dann wurde die Haustür aufgerissen. Cantner und zwei junge Männer – es waren die Angestellten aus seiner Arbeitsvermittlung – stürzten ins Freie und hatten es ungemein eilig.
Josuah Parker war die Würde in Person, als er mit seinem bleigefüllten Schirmgriff die drei Männer kurz nacheinander zu Boden schickte. Sie purzelten über die beiden Stufen hinunter in den Kies und blieben nach Luft schnappend liegen.
»Recht ansprechend, Mister Parker«, lobte die ältere Dame, wenn auch verhalten. »Ich frage mich, ob ich mit meinem Pompadour noch etwas nachhelfen sollte.«
»Vielleicht später, Mylady«, gab der Butler zurück, »falls die drei Herren sich als wenig hilfreich zeigen.«
Cantner hatte sich aufgerichtet und blickte Agatha Simpson aus tränenden Augen an. Er wollte etwas sagen, hustete aber ausgiebig und ließ sich wieder zurücksinken. Seine Mitarbeiter, die von den freigesetzten Dämpfen aus der Ampulle mehr mitbekommen hatten als ihr Dienstherr, blieben flach auf dem Kies liegen und verzichteten auf jede Einmischung.
»Nach einer alten Spruchweisheit aus dem Volk ist die Welt klein«, schickte Parker in Richtung Cantner voraus. »Irgendwo und irgendwann sieht man sich immer wieder.«
Der Job-Vermittler wollte antworten, doch die Luft war noch zu knapp. Zudem litt er ein wenig unter dem Schirmgriff.
Er riß sich zusammen, wollte nach seinem Hosengürtel greifen, doch er schaffte es nicht. Er leistete keinen Widerstand, als Parker ihm die dort vorhandene Waffe wegnahm. Es handelte sich um eine kleinkalibrige Automatic, die in Parkers Manteltasche verschwand.
»Sie hatten doch hoffentlich vor, auf mich zu schießen, junger Mann«, war Agatha Simpson zu vernehmen. Sie hatte sich vor Cantner aufgebaut und ließ ihren Pompadour schwingen. »Schaffen Sie die Kriminellen ins Haus, Mister Parker. Ich möchte unbeobachtet sein, wenn ich mich mit diesem Subjekt befasse.«
Es dauerte einige Zeit, bis die drei Männer untergebracht waren. Im Wohnraum des zweistöckigen Hauses angekommen, litten sie noch immer unter gewissen Konditionsschwierigkeiten. Sie leisteten keinen Widerstand, als Parker ihnen Plastik-Handfesseln anlegte.
»Und nun zu Ihnen, junger Mann«, meinte Lady Agatha, die sich inzwischen mit ihrem Kreislauf beschäftigt hatte. Mit sicherem Instinkt hatte sie eine Art Hausbar und darin einen trinkbaren Brandy gefunden. . Sie blickte Cantner an und wandte sich dann an ihren Butler.
»In welcher Art soll ich gleich in Notwehr handeln, Mister Parker?« wollte sie wissen. »Dieser Lümmel braucht einen ordentlichen Denkzettel.«
»Denken Mylady an eine spätere ärztliche ambulante Behandlung, oder wünschen Mylady einen längeren Hospital-Aufenthalt, was Mister Cantner betrifft?« wollte der Butler in seiner stets höflichen Art wissen.
*
Er war in Schweiß gebadet und hatte offensichtlich sein bisheriges Weltbild verloren.
Ein Gangster wie Cantner kannte nur Brutalität und hatte damit bisher stets seine Wünsche durchgesetzt. Seine Schläger hatten bisher die grobe Arbeit für ihn geleistet und alle Widerstände aus dem Weg geräumt. Wahrscheinlich hatte Cantner sich wie ein kleiner Gott gefühlt und entsprechend aufgespielt.
Nun aber mußte er sich mit zwei Personen auseinandersetzen, wie sie seinen Weg bisher noch nie gekreuzt hatten. Zwei eindeutig ältere Personen hatten ihn das Fürchten gelehrt, zwei Personen, die er nicht einzuordnen wußte.
Hemmungen schienen diese Lady und ihr Butler nicht zu kennen. Sie diskutierte sach- und fachkundig über gezielte Schüsse in Notwehr und hatten sich bisher noch nicht darüber einigen können, welche Körperstellen getroffen werden sollten.
Mylady erwog auch die Möglichkeit, sich mit einem langen Tranchiermesser zu wehren. Parker hatte es auf ihren Wunsch aus der Küche des Hauses geholt. Lady Agatha prüfte die Schnittfähigkeit der Klinge und benutzte dazu die Seite eines Magazins, die sie sorgfältig aufschlitzte.
»Werden Myladys Erwartungen erfüllt?« erkundigte sich der Butler ernst. »Falls nötig, könnte man die Klinge noch ein wenig nachschärfen.«
»Es wird reichen«, gab sie zurück und widmete sich wieder Cantner, der im Takt den Kopf schüttelte.
»Das ... das können Sie doch nicht machen«, stieß er endlich hervor. »Ich hab’ Sie doch überhaupt nicht angegriffen, Lady.« »Sie hatten es aber vor, junger Mann«, grollte die ältere Dame gekonnt.
»Ich... ich hätt’ doch niemals geschossen«, meinte Cantner.
»Aber gewiß doch«, sagte Lady Agatha gefährlich freundlich. »Selbst jetzt fühle ich mich noch bedroht.«
»Vielleicht sollte man Mister Cantner den Hauch einer Chance einräumen«, machte der Butler sich bemerkbar.
»Was wollen Sie wissen?« erkundigte sich der Gangster.
»Ihre Mitarbeiter suchten im Büro des Mister Landby nach gewissen Unterlagen«, schickte Parker voraus. »Dazu möchte Mylady ein wenig mehr hören. Könnte es sich um Ausschreibungen zu geplanten Bauvorhaben gehandelt haben?«
»Ausschreibungen«, wiederholte Cantner und nickte. »Es geht da um ein Kulturzentrum in Hackney, mehr weiß ich wirklich nicht.«
»In wessen Auftrag, Mister Cantner, wurden Sie tätig?« lautete Parkers nächste Frage.
Lady Simpson hielt das Tranchiermesser oben am Griff mit Daumen und Zeigefinger. Sie ließ es jetzt fallen und nickte anerkennend, als die Spitze der Klinge sich tief ins Parkett bohrte. Cantner zuckte natürlich zusammen und erinnerte sich umgehend.
»Les Maliers hatte mich da um einen Gefallen gebeten«, sagte er schleunigst.
»Was kann oder soll Mylady sich unter diesem Namen vorstellen, Mister Cantner?« fragte Parker weiter.
»Maliers hat ’ne Baustoffhandlung«, bekannte der Mann. »Seine Firma steht in Millwall. Halten Sie sich an den.«
»Das wird umgehend geschehen, junger Mann«, dröhnte Mylady dazwischen.
»Sie