Der Professor setzte ungestüm seinen Hut auf, drehte sich um und ging hinaus, ohne jemanden zu grüßen, ganz darin vertieft, seine abgebrochene Rede innerlich fortzuspinnen.
Alle Welt gab sich zwar Mühe, über die »bizarren« Äußerungen des Professors zu lachen, aber diese hinterließen dennoch für einige Augenblicke einen peinlichen Eindruck und eine gewisse Zweifelhaftigkeit und Verstimmung. Anzoleto war der erste, der sie zu vergessen schien, wiewohl sie sein Wesen in eine solche Erschütterung von Freude, Stolz, Zorn und Eifer gesetzt hatten, dass es für sein ganzes künftiges Leben entscheidend wurde. Er schien für nichts Sinn zu haben, als dass er der Corilla gefalle, und er wusste sie so davon zu überzeugen, dass sie sich bei diesem ersten Zusammentreffen alles Ernstes in ihn verliebte.
Graf Zustiniani war ihretwegen nicht besonders eifersüchtig und vielleicht hatte er seine Gründe, sie nicht sehr zu beengen. Außerdem lag ihm der Ruhm und Glanz seines Theaters mehr am Herzen als irgend etwas auf der Welt, nicht weil er geldbegierig gewesen wäre, sondern weil er wirklich für die sogenannten »schönen Künste« schwärmte. Dieser Ausdruck bezeichnet, wie mich dünkt, einen gewissen niedern Hang, der echt italienisch ist, und also eine so ziemlich geistlose Leidenschaft. Unter dem »Cultus der Kunst« – ein neuerer Ausdruck, der vor hundert Jahren noch nicht üblich war, – ist etwas ganz anderes zu verstehen als das, was man »Geschmack für die schönen Künste« nannte. Der Graf war in der Tat ein »Mann von Geschmack« im damaligen Verstande, ein amateur, nichts weiter. Allein die Befriedigung dieses Geschmackes war die größte Angelegenheit seines Lebens. Er liebte es, sich mit dem Publikum zu beschäftigen und das Publikum mit sich, die Künstler zu besuchen, die Mode zu beherrschen, von seinem Theater, seiner Pracht, seiner Liebenswürdigkeit, seinem verschwenderischen Aufwand reden zu machen. Er hatte, mit einem Worte, die gewöhnliche Passion der vornehmen Herren in der Provinz – zu glänzen. Besitz und Direktion eines Theaters war das beste Mittel, um die ganze Stadt zufrieden und vergnügt zu machen. Noch glücklicher hätte er sich gefühlt, wenn er einmal die gesamte Republik an seiner Tafel hätte bewirten können! Wenn Fremde sich bei dem Professor Porpora nach dem Grafen Zustiniani erkundigten, so pflegte dieser zu antworten: Es ist ein Mann, der gerne den Wirt macht und Musik auf seinem Theater, wie Fasanen auf seiner Tafel auftischt.
Es war Ein Uhr morgens, als man sich trennte.
– Anzolo, sagte Corilla, die sich mit ihm allein in einer Nische des Balkons befand, wo wohnst du?
Bei dieser unerwarteten Frage fühlte Anzoleto, dass er rot und bleich fast in einem Zuge wurde; denn wie sollte er dieser prächtigen und reichen Schönen es bekennen, dass er ohne Dach und Fach war, wie die Vögel unter dem Himmel? Und leichter noch wäre dies letztere Bekenntnis gewesen, als die Erwähnung jener jämmerlichen Höhle, wo er Zuflucht fand, so oft er seine Nächte aus Neigung oder Not nicht unter dem freien Himmel zubringen wollte.
– Nun! was hat meine Frage so Außerordentliches? rief die Corilla über seine Verwirrung lachend.
– Ich fragte mich selbst, entgegnete Anzoleto mit vieler Geistesgegenwart, welcher Königs- oder Feenpallast wohl würdig wäre, den stolzen Sterblichen zu beherbergen, der mit hinein nähme die Erinnerung eines Liebesblickes von Corilla.
– Und was will diese Schmeichelei sagen? entgegnete sie, indem sie ihm den glühendsten Blick zuwarf, den sie nur aus dem Zeughause ihrer Teufelskünste hervorholen konnte.
– Dass ich dieser Glückliche nicht bin, versetzte der Jüngling; dass ich jedoch, wenn ich es wäre, mich stolz genug dünken würde, um nur zwischen Himmel und Meer wie die Sterne zu wohnen.
– Oder wie die Cucculi! rief die Sängerin, indem sie laut auflachte. (Die ungeschickte Schwerfälligkeit dieser Mövenart ist nämlich in Venedig sprichwörtlich geworden, wie in Frankreich die der Maikäfer: étourdi comme un hanneton.)
– Spotten Sie über mich, verachten Sie mich, erwiderte Anzoleto, ich glaube, dass ich das eher leiden mag, als wenn Sie sich gar nicht mit mir beschäftigten.
– Gut, da du mir nur in Metaphern antworten willst, entgegnete sie, so will ich dich in meiner Gondel mitnehmen, auf die Gefahr, dich von deiner Wohnung zu entfernen, statt dich in ihre Nähe zu bringen. Wenn ich dir diesen Streich spielen sollte, so ist es deine eigene Schuld.
– war dies die Absicht, als Sie mich fragten, Signora? In diesem Falle ist meine Antwort sehr kurz und klar: ich wohne auf den Stufen Ihres Pallastes.
– So erwarte mich denn an den Stufen desjenigen, in welchem wir uns befinden, sagte Corilla mit leiserer Stimme, denn Zustiniani könnte böse werden, dass ich deine Fadaisen so geduldig anhöre.
Auf den ersten Antrieb seiner Eitelkeit stahl sich Anzoleto hinaus und sprang von der Anlände des Pallastes auf das Vorderteil von Corilla’s Gondel: er zählte die Sekunden nach den raschen Schlägen seines berauschten Herzens. Aber noch ehe sie auf den Stufen des Pallastes erschien, drängten sich mancherlei Betrachtungen in dem arbeitenden und ehrgeizigen Kopfe des Debütanten. Die Corilla ist allmächtig, sagte er zu sich; aber wenn ich, gerade weil ich ihr gefiele, das Missfallen des Grafen erregte? Oder wenn ich durch meinen allzu leichten Sieg ihm eine so flatterhafte Geliebte ganz verleidete und sie so um die Macht brächte, welche sie nur von ihm hat?
In dieser Verlegenheit maß Anzoleto mit den Augen die Treppe, welche er noch wieder hinaufsteigen konnte, und war im Begriff, sein Entkommen zu bewerkstelligen, als die Kerzen unter dem Torwege hervorleuchteten, und die schöne Corilla, in ihre Hermelinmantille gehüllt, auf der obersten Stufe erschien, in der Mitte einer Gruppe von Herren, welche sich beeiferten ihren runden Ellbogen mit der hohlen Hand zu stützen und ihr beim Hinabsteigen behilflich zu sein, wie es in Venedig Sitte ist.
– He! rief der Gondolier der Prima Donna dem bestürzten Anzoleto zu, was macht ihr da? Geschwind in die Gondel, wenn ihr dazu Erlaubnis habt, oder fort, und laufet an der Riva hin, denn der Herr Graf ist bei der Signora.
Anzoleto warf sich in die Gondel, ohne zu wissen was er tat. Er hatte den Kopf verloren. Kaum war er drinnen, als ihm das Staunen und der Zorn des Grafen vor die Seele trat, wenn dieser etwa seine Maitresse bis in die Gondel geleitete und dort seinen unverschämten Schützling fände. Die Angst peinigte ihn umso schrecklicher, da sie um mehr als fünf Minuten verlängert wurde.