Nicht alle diese jungen Mädchen waren gleich arm, und es ist kein Zweifel, dass der äußerst gewissenhaften Verwaltung ungeachtet manche mit einschlüpften, für welche es weit mehr eine Spekulation als ein Bedürfnis war, auf Kosten der Republik ihren Unterricht in der Kunst und eine Ausstattung zu erhalten. Daher erlaubten es sich manche die heiligen Gesetze der Gleichheit zu vergessen, unter deren Anrufung es ihnen gelungen war, sich auf dieselben Bänke mit ihren wirklich armen Schwestern zu stehlen. Manche entzogen sich dann wohl wieder der ernsten Bestimmung, welche die Republik ihnen zugedacht hatte, und verzichteten, nachdem sie den Vorteil des unentgeldlichen Unterrichts genossen hatten, auf die Mitgift, um anderweitig sich ein glänzenderes Loos zu bereiten. Die Verwaltung hatte es nicht vermeiden können, zu den Lehrstunden bisweilen auch die Kinder armer Künstler zuzulassen, denen ihr unstätes Leben keinen längeren Aufenthalt in Venedig gestattete. Zu dieser Klasse gehörte die kleine Consuelo. Sie war in Spanien geboren und von dort nach Italien gekommen, ich weiß nicht ob über St. Petersburg oder Constantinopel, Mexiko, Archangel oder auf einem Wege, noch direkter, nach Zigeunerart, als die genannten.
Zigeunerin war sie nur durch Lebensweise und nach dem Redegebrauch, von Abkunft war sie weder irgendwie Gitana, noch Hindu, noch Israelitin; sie war von reinem spanischem Blute, von maurischem Ursprung ohne Zweifel, denn sie war so ziemlich braun und ihr ganzes Wesen war von einer Ruhe, wie solche nicht den umherschweifenden Stämmen eigen ist. Ich will hiermit von diesen Stämmen nichts Übles gesagt haben. Hätte ich mir Consuelo’s Gestalt erdacht, so weiß ich nicht, ob ich sie nicht von Israel hätte ausgehen lassen: so aber war sie von der Rippe Ismaels entstammt, ihr ganzes Wesen verriet das. Ich habe sie nicht gesehen, denn hundert Jahre bin ich noch nicht alt, aber man hat es mir versichert, und ich wüsste nicht, was sich dawider sagen ließe. Jener Wechsel von fiebrischem Ungestüm und stumpfer Abspannung, welcher die Zingarelle bezeichnet, war ihr fremd. Sie hatte nichts von der geschmeidigen Neugier und der unermüdlichen Zudringlichkeit einer bettelnden Ebbrea. Sie war so still wie das Wasser der Lagunen und zugleich so ämsig wie die leichten Gondeln, welche die Fläche desselben unablässig durchfurchen.
Da sie schnell wuchs und da sich ihre Mutter in großer Dürftigkeit befand, so trug sie Kleider, welche ihr immer um ein Jahr zu kurz waren: ihren langen vierzehnjährigen Beinen gab dies eine solche Art von wilder Grazie und Dreistigkeit des Schreitens, dass es zugleich lustig und traurig anzusehen war. Ihr Fuß ließ nicht erkennen, ob er klein sei, so plump war er bekleidet. Ihr Wuchs dagegen, umspannt von dem zu eng gewordenen und an allen Nähten durchbrochenen Leibchen, zeigte sich schlank und biegsam wie eine Palme, aber formlos, nicht gerundet, nicht verführerisch. Das arme Mädchen dachte daran nicht. Sie war es gewohnt, sich »Affe«, »Citrone«, »Mulattin« von den blonden, weißen und völligen Töchtern der Adria schelten zu hören. Ihr rundes, bleiches, unbedeutendes Gesicht würde niemanden aufgefallen sein, wenn nicht ihr kurzes, dichtes, hinter den Ohren zurückgeworfenes Haar und ihr ernsthafter, auf keinem Gegenstande verweilender Blick diesem Gesichte eine eigene, nicht gerade angenehme Sonderbarkeit gegeben hätten.
Ein Äußeres, das nie missfällt, verliert mehr und mehr die Fähigkeit, zu gefallen. Wer ein solches hat, wird durch die Gleichgültigkeit anderer gleichgültig gegen sich selbst gemacht und nimmt eine Vernachlässigung der Haltung an, welche immer mehr die Aufmerksamkeit von ihm abwendet. Die Schönheit nimmt sich in Acht, richtet sich ein, hält auf sich, betrachtet sich und stellt sich gleichsam stets sich selbst in einem eingebildeten Spiegel vor Augen. Die Hässlichkeit vergisst sich und lässt sich gehen. Doch gibt es zwei verschiedene Arten: die eine fühlt sich von Allen verworfen und sträubt sich dawider in steter Regung von Wut und Neid – das ist die wahre, die unbedingte Hässlichkeit; die andere ist unbefangen, sorglos, hat sich beschieden, scheuet nicht das Urteil und sucht es nicht, gewinnt aber die Herzen, indem sie den Augen wehe tut – so war Consuelo’s Hässlichkeit. Wohltäter, die sich ihrer annahmen, meinten wohl zuerst: wie Schade, dass sie nicht hübsch ist! besannen sich dann und nahmen den Kopf des Kindes so vertraulich, wie man der Schönheit nicht begegnet, in die Höhe.
»Man sieht dir’s am Gesicht an, Kleine!« sagten sie nun, »du bist ein gutes Geschöpf.«
Darüber freute sich Consuelo, obgleich sie recht gut wusste, dass dies hieß: »und bist eben weiter nichts.«
Indessen blieb der schöne, junge Herr, welcher ihr Weihwasser gereicht hatte, bei dem Weihkessel stehen und ließ die jungen »Scolari« eine nach der anderen an sich vorübergehen. Er betrachtete eine jede mit Aufmerksamkeit, und als die schönste von ihnen, die Clorinda, herbeikam, teilte er ihr das geweihte Wasser mit den Fingern mit, um des Vergnügens willen, die ihrigen zu berühren. Das junge Mädchen wurde rot vor Stolz und warf im Weitergehen ihm jenen halb scheuen halb dreisten Blick zu, welcher der Ausdruck weder des Selbstvertrauens noch der Scham ist.
Nachdem sie alle in das Innere des Klosters eingetreten waren, wendete sich der galante Patrizier wieder dem Schiffe zu und redete den Professor an, der inzwischen langsamer von der Empore herabgestiegen war.
– Beim Leib des Bacchus, rief er, lieber Meister! ihr müsst mir sagen, welche von euren Eleven das Salve Regina gesungen hat.
– Und weswegen begehrt ihr das zu wissen, Graf Zustiniani? entgegnete der Professor, während sie miteinander aus der Kirche traten.
– Um euch mein Kompliment zu machen, antwortete der Patrizier. Seit langer Zeit verfolge ich eure Vespermusiken, und bis in die Proben sogar, denn es ist euch bekannt, wie sehr ich dilettante der heiligen Musik bin – aber heut zum ersten male habe ich ein Stück vom Pergolese mit solcher Vollkommenheit singen hören; und die Stimme anlangend, so ist es wahrhaftig die schönste, die ich Zeit meines Lebens gehört habe.
– Glaub’s wohl, beim Christ! versetzte der Professor und nahm mit Behagen und mit Würde eine große Prise Tabak.
– Sagt mir also den Namen dieses himmlischen Wesens, das mich so hoch entzückt hat. Wie barsch ihr auch seid, und wiewohl ihr ewig klagt, so muss man doch gestehen, dass ihr aus eurer Schule eine der besten in ganz Italien gemacht habt; vortrefflich sind euere Chöre und euere Soli wirklich sehr schätzbar; jedoch sind die Musikstücke, welche ihr aufführen lasset, von so großem und strengem Stil, dass es den jungen Mädchen nur selten gelingt alle Schönheiten derselben zur Empfindung