– Consuelo? die Spanierin? riefen in der ersten Überraschung die jungen Choristinnen wie aus einem Munde, dann brach ein allgemeines, homerisches Gelächter aus und lockte die Röte des Verdrusses und des Zornes auf die majestätische Stirn des Lehrers. Die kleine Consuelo, deren verstopfte Ohren von der ganzen Unterredung nichts gehört hatten, und deren zerstreute Augen aufs Geratewohl umherblickten ohne etwas zu sehen, so vertieft war sie in ihre Arbeit, – Consuelo merkte Anfangs nicht im geringsten auf all den Tumult, und als sie endlich die Aufmerksamkeit wahrnahm, welche sie erregt hatte, ließ sie ihre Hände aus den Ohren auf ihren Schoß und ihr Heft von ihrem Schoße auf die Erde fallen; starr vor Erstaunen saß sie da, verwirrt nicht, doch ein wenig erschreckt, und zuletzt stand sie auf und blickte hinter sich, um zu sehen, ob etwa dort irgend etwas Sonderbares oder Lächerliches wäre, das statt ihrer zu einer so lärmenden Lustigkeit Anlass geben mochte.
– Consuelo, sagte der Maestro, indem er sie ohne weitere Erklärung bei der Hand nahm, komm her, mein gutes Kind, und singe mir das Salve Regina von Pergolese, das du seit vierzehn Tagen übst und woran die Clorinde schon ein Jahr lernt.
Consuelo ging, ohne zu antworten, ohne Furcht, ohne Stolz, ohne Verlegenheit, mit dem Singlehrer an die Orgel; dieser setzte sich und gab mit triumphierenden Blicken seiner jungen Schülerin den Ton an. Rein, einfach, ohne Anstrengung sang Consuelo und es klangen unter den tiefen Wölbungen der Kathedrale hin die Töne der schönsten Stimme, die jemals dort erschollen war. Sie sang das Salve Regina ohne sich des kleinsten Gedächtnisfehlers schuldig zu machen und ohne einen Ton zu wagen, der nicht untadelhaft rein und voll geriet und immer am rechten Orte ausgehalten oder losgelassen; sie folgte nur ganz willenlos, aber mit der größten Pünktlichkeit den Anweisungen, welche der einsichtige Lehrer ihr gegeben hatte, und führte mit ihren gewaltigen Mitteln die wohlbedachten und richtigen Intentionen des trefflichen Mannes aus; so leistete sie mit der Unerfahrenheit und Unbewusstheit eines Kindes was wohl Kenntnis, Fertigkeit und Begeisterung einer vollendeten Sängerin nicht vollbracht hätten: sie sang mit Vollkommenheit.
Recht gut, mein Kind, sagte der alte Meister, der mit seinem Lobe stets sparsam war. Du hast mit Aufmerksamkeit studiert und du hast mit Bewusstsein gesungen. Das nächste Mal sollst du mir die Cantate von Scarlatti wiederholen, die ich dir eingeübt habe.
– Si, Signor Professore, antwortete Consuelo. Kann ich nun gehen?
– Ja, mein Kind. Mesdemoiselles, die Stunde ist aus.
Consuelo nahm ihre Hefte, ihren Bleistift und ihren kleinen Fächer von schwarzem Papier, den steten Begleiter der Spanierin wie der Venezianerin, den sie zwar fast niemals brauchte, aber immer bei sich hatte, und tat das alles in einen kleinen Kober. Dann verschwand sie hinter den Orgelpfeifen, schlüpfte behänd wie ein Mäuschen über die dunkle Treppe, die in die Kirche hinabführt, kniete an dem Mittelschiff vorübereilend einen Augenblick nieder, und eben als sie die Kirche verlassen wollte, traf sie bei dem Weihwasser einen schönen Herrn, welcher ihr lächelnd den Wedel reichte. Während sie nahm, schaute sie ihm gerad’ ins Gesicht mit der Unbefangenheit eines kleinen Mädchens, das seine Weiblichkeit noch nicht weiß und fühlt, und mischte so komisch ihre Bekreuzigung mit ihrem Dank, dass der junge Herr zu lachen anhob. Consuelo lachte ebenfalls; aber auf einmal, als ob es ihr einfiele, dass sie erwartet werde, fing sie an zu laufen und hatte im Augenblicke Türschwelle, Stufen und Vorhalle der Kirche hinter sich gelassen.
Unterdessen steckte der Professor seine Brille zum zweiten Male in seine große Westentasche, und sprach dabei zu den Schülerinnen, welche ihn schweigend umgaben:
– Schämen Sie sich, meine schönen Demoiselles! sagte er. Dieses kleine Mädchen, die jüngste unter Ihnen, die jüngste meiner Klasse, ist die einzige, die ein Solo ordentlich singen kann, und in den Chören lässt sie sich durch alle Dummheiten, welche Sie rechts und links machen, nicht irreführen, sondern ich höre sie immer richtig und sicher wie einen Klavierton. Eifer und Ausdauer besitzt sie, und außerdem was Sie alle, wie Sie da sind, nicht haben und niemals haben werden: Bewusstsein!
– Aha! hat er sein Schlagwort noch losgelassen! rief Costanza, als er hinaus war. Er hat es bloß neun und dreißigmal während der Stunde angebracht, und er wäre wahrhaftig krank geworden, wenn ihm das vierzigste entgangen wäre.
– Ein rechtes Wunder, wenn die Consuelo Fortschritte macht, sagte Zulietta. Sie ist so arm. Sie hat an weiter nichts zu denken als wie sie nur geschwind etwas lerne, um ihr Brot zu verdienen.
– Ihre Mutter soll eine Zigeunerin gewesen sein, setzte Michelina hinzu, und die Kleine hör’ ich, hat auf Gassen und Landstraßen gesungen, ehe sie hierher kam. Eine schöne Stimme hat sie, das kann man nicht bestreiten; aber sie hat nicht ein Fünkchen Geist, das arme Ding. Sie lernt auswendig, sie folgt sklavisch den Anweisungen des Professors, und dann tut ihre gute Lunge das Übrige.
– Mag ihre Lunge noch so gut sein, und hätte sie noch so viel Geist obenein, sagte die schöne Clorinda, so möchte ich doch nicht mit ihr tauschen, wenn ich meine Gestalt für die ihrige hingeben müsste.
– Da würdest Du auch nicht so gar viel verlieren, entgegnete die Costanza, welche niemals große Lust hatte, Clorindens Schönheit anzuerkennen.
– Nein! schön ist sie nicht, sagte eine andere, sie ist gelb wie eine Osterkerze und ihre großen Augen sind so nichtssagend, auch ist sie immer so schlecht angezogen: gewiss, ganz garstig ist sie. – Armes Mädchen! o, es ist ein recht großes Unglück für sie, das alles. Kein Vermögen, keine Reize!
So endete Consuelo’s Lob; durch dieses Bedauern hielten sich die anderen für die Bewunderung schadlos, welche ihnen der Gesang des Mädchens abgenötigt hatte.
2.
Es trug sich dieses in Venedig zu, vor etwa hundert Jahren und zwar in der Kirche der Mendicanti, als eben der berühmte Maestro Porpora daselbst die Proben der großen Vespermusik beschloss, welche er zu Mariä Himmelfahrt nächsten Sonntag