Anzoleto teilte die Abneigung seiner Freundin gegen die sekundären Mittel keinesweges. Sein Erfolg war ihm nicht völlig eben so sicher. Erstlich setzte der Graf nicht gleichen Eifer daran; sodann war der Tenor, dessen Nachfolger er werden sollte, ein Talent ersten Ranges, und er durfte sich nicht schmeicheln, ihn leicht in Vergessenheit zu bringen. Zwar sang auch er jeden Abend beim Grafen; in den Duetten ließ Consuelo mit großem Geschick ihn hervortreten, und er, getrieben und getragen von der Anziehungskraft dieses dem seinigen überlegenen Geistes, erhob sich oft zu einer bedeutenden Höhe. Er fand daher viel Beifall und und Aufmunterung. Jedoch wenn der erste angenehme Eindruck, welchen seine schöne Stimme auf den Hörer machte, vorüber war, besonders wenn Consuelo sich offenbart hatte, fühlte man gar wohl die Mängel des Debütanten und er selbst fühlte sie mit Schrecken. Nun wäre es der Zeitpunkt gewesen, mit erneuter Anstrengung zu arbeiten, aber umsonst ermahnte ihn Consuelo dazu und ließ ihn alle Morgen nach Corte-Minelli kommen, wo sie ungeachtet der inständigen Bitten des Grafen, sich anständiger einzurichten, hartnäckig wohnen blieb: Anzoleto stürzte sich in so viele Demarchen, Visiten, Sollicitationen und Intriguen, hatte den Kopf so voll von Sorgen und elenden Vorsichtsmaßregeln, dass ihm für das Studium weder Zeit noch Lust übrig blieb.
Mitten in dem Gewirre seiner Verlegenheiten sah er auch voraus, dass der mächtigste Widerstand gegen seinen Succeß von der Corilla ausgehen würde; er wusste, dass der Graf diese Sängerin nicht mehr sah und sich in keiner Art um sie kümmerte, und beschloss sie zu besuchen, um sie zu seinen Gunsten zu stimmen. Er hatte sagen hören, dass sie die Vernachlässigung und die Racheversuche des Grafen mit Lustigkeit und mit einer philosophischen Ironie aufnähme, dass sie von Seiten der italienischen Oper in Paris glänzende Anerbietungen erhalten hätte, und dass sie über die Illusionen des Grafen und seiner Umgebung in Betreff ihrer Nebenbuhlerin, auf deren Echec sie zu rechnen schien, einstweilen aus vollem Halse lachte. Er machte sich Hoffnung, mit Feinheit und Falschheit diese furchtbare Feindin zu entwaffnen; und nachdem er sich aufs beste geputzt und parfümiert hatte, drang er eines Nachmittags um die Stunde, wo die Siesta die Besuche selten und die Palläste öde macht, in ihre Gemächer ein.
16.
Er fand die Corilla allein, in einem kostbaren Boudoir, auf ihre Chaise longue hingelehnt und in einem Déshabillé von den galantesten, wie man sich damals ausdrückte. Die Alteration ihrer Züge beim hellen Tageslichte verriet ihm, dass ihre Zuversicht in Betreff Consuelo’s doch nicht so groß sein mochte, als es ihre getreuen Anhänger ausgesprengt hatten. Nichtsdestoweniger empfing sie ihn mit einer sehr heiteren Miene und indem sie ihrem Mädchen winkte hinauszugehen und die Türe zu schließen, sagte sie, ihm schalkisch auf die Backe klopfend:
– Aha, bist du es, kleiner Schelm? Willst du mir wieder Fleuretten sagen, und meinst, ich wüsste nicht, dass du der abgefeimteste von allen Courmachern und der intriganteste von allen Ehrsüchtigen bist? Sie sind ein Erz-Narr, mein schöner Freund, wenn Sie sich eingebildet haben, mich durch Ihre schnelle Abtrünnigkeit, nach so zärtlichen Erklärungen, in Verzweiflung zu bringen; und es war ein Erznarrenstreich, auf meine Sehnsucht zu spekulieren: denn ich habe Sie vollständig vergessen, nachdem ich Sie vierundzwanzig Stunden lang erwartet hatte.
Vierundzwanzig Stunden! aber das ist ungeheuer, sagte Anzoleto, und küsste den schweren und massenhaften Arm der Corilla. Ach, wenn ich es glauben dürfte, wie stolz würde es mich machen! Aber ich weiß wohl, wenn ich so vieler Selbsttäuschung fähig gewesen wäre, Ihnen Glauben zu schenken, als Sie mir sagten …
– Was ich dir sagte, rate ich dir, ebenfalls zu vergessen; und wenn du gekommen wärest, so würdest du meine Tür verschlossen gefunden haben. Was gibt dir aber die Dreistigkeit, mich jetzt zu besuchen?
– Zeugt es nicht von gutem Geschmack, wenn man seine Huldigungen denen versagt, die in Gunst sind, sein Herz dagegen und seine Ergebenheit denen zu Füßen legt, die …
– Sprich es nur aus: denen die abgedankt sind. Das ist eine außerordentliche Großmut und Menschenfreundlichkeit von deiner Seite, mein hochgeschätzter Freund!
Unter schallendem, und etwas gezwungenem Gelächter warf sich Corilla zurück auf ihr Oreiller von schwarzem Atlas.
Die abgedankte Prima Donna war zwar nicht mehr in ihrer ersten Frische, das Tageslicht war ihr nicht sehr günstig, und der tiefgehende Verdruss der letzten Zeit hatte die Züge ihres schönen und üppig vollen Gesichtes ein wenig erschlafft; aber Anzoleto, der noch niemals eine so geschmückte und so berühmte Frau unter vier Augen sich so nahe gesehen hatte, fühlte sich in jenen Regionen seiner Seele aufgeregt, zu denen Consuelo sich nie herabgelassen und aus denen er freiwillig ihr reines Bild verbannt hatte. Menschen, die vor der Zeit verdorben sind, können für eine sittsame und kunstlose Frau wohl noch Freundschaft fühlen; aber um ihre Leidenschaften zu entflammen, sind die Avancen einer Coquette nötig.
Anzoleto beschwor die Neckereien der Corilla mit Ergüssen einer Liebe, welche er nur hatte heucheln wollen und nun wirklich zu fühlen anfing. Liebe sag’ ich, weil ein passenderes Wort fehlt; aber es ist Entweihung dieses schönen Namens, wenn man ihn auf den Kitzel anwendet, welchen kalt verlockende Weiber, wie Corilla, erregen.
Als sie den jungen Tenor wirklich in Wallung sah, milderte sie ihren Ton und ließ ihre Neckereien zutraulicher werden.
– Du gefielst mir einen ganzen Abend, ich will es gestehen, sagte, sie; aber im Grunde schätze ich dich nicht. Ich weiß, dass du ehrgeizig, dass du also falsch und jeder Treulosigkeit fähig bist: ich möchte dir kein Vertrauen schenken. In einer gewissen Nacht, in meiner Gondel stelltest du dich jaloux, spieltest den Despoten. Das ließ mich endlich einmal Unterhaltung hoffen, denn mich langweilen die faden Galanterien unserer Patrizier; aber du betrogst mich, Nichtswürdiger! Du warst in eine andere verliebt, du hast nicht aufgehört jene zu lieben; ja, heiraten willst du … wen? … O, ich weiß es genau, meine Nebenbuhlerin, meine Feindin, die Debütantin, Zustiniani’s neue Maitresse. Schande euch beiden, uns dreien, uns allen Vieren! so steigerte sie sich, unwillkürlich sich ereifernd und ihre Hand aus Anzoleto’s Händen reißend.