– Du weißt, dass dies gegen die Abrede und gegen unsere Gewohnheit ist, antwortete sie.
– O, schlage mir’s nicht ab, schrie Anzoleto, du würdest mich in Wut und Verzweiflung stürzen.
Von seinem Ton und von seinen Worten erschreckt wagte Consuelo es ihm nicht abzuschlagen. Sie zündete ihre Lampe an und zog ihre Vorhänge zu. Und da sie ihn nun düster und wie verloren in Gedanken sah, umschlang sie ihn mit ihren Armen.
– Wie unglücklich und sorgenvoll siehst du heut Abend aus! sagte sie traurig. Was geht denn in dir vor?
– Weißt du es nicht, Consuelo? Kannst du es nicht vermuten?
– Nein, bei meiner Seligkeit!
– Schwöre mir, dass du nichts ahnst, schwöre mir bei der Seele deiner Mutter, bei deinem Jesus, zu dem du alle Morgen und alle Abende betest.
– O, ich schwöre dir’s bei Jesus und bei meiner Mutter Seele.
– Und bei unserer Liebe?
– Bei unserer Liebe und bei unserem ewigen Heil!
– Ich glaube dir, Consuelo, denn es wäre das erste mal, dass du gelogen hättest.
– Und wirst du mir jetzt erklären? …
– Nichts werde ich dir erklären. Vielleicht wird es bald nötig sein, dass ich mich begreiflich mache … Ha! kommt dieser Augenblick, dann wirst du nur zu gut schon von selbst begriffen haben. Weh, weh uns beiden, wenn der Tag kommt, wo du weißt was ich jetzt leide!
– Mein Gott, was für ein schreckliches Unglück steht uns denn bevor? O wehe! Mussten wir also doch unter Gott weiß welchem Fluche meine arme Stube wieder betreten, wo wir bis dahin noch kein Geheimnis vor einander hatten. O, ich wusst’ es vorher, heute Morgen, als ich sie verließ; ich wusst’ es vorher, dass ich zurückkommen würde den Tod im Herzen. Was tat ich nur, dass ich mich eines solchen Tages nicht freuen darf, der doch so schön zu sein schien? Hab’ ich nicht inbrünstig und aus Herzens Grund gebetet? Hab’ ich nicht jeden Gedanken von Hochmut aus meiner Seele gerissen? Hab’ ich nicht gesungen so gut als ich nur irgend konnte? Hab’ ich nicht Clorindens Demütigung beklagt? Hab’ ich nicht dem Grafen, ohne dass er es weiß und ohne dass er es nun noch verweigern kann, das Versprechen abgenommen, dass sie mit uns als seconda Donna engagiert werden soll? Was hab’ ich denn also Böses getan, dass ich solche Schmerzen leiden müsste, wie du mir vorhersagst, und die ich wahrlich schon empfinde, weil du, weil du sie fühlst?
– Wirklich, Consuelo, hast du daran gedacht, der Clorinda ein Engagement zu verschaffen?
– Es ist ihr gewiss, wenn der Graf ein Mann von Wort ist. Dem armen Mädchen stand ihr ganzer Sinn nach dem Theater; sie hat ja auch keine andere Aussicht …
– Und du glaubst, der Graf werde die Rosalba gehen lassen, die etwas kann, und dafür die Clorinda nehmen, die nichts kann?
– Die Rosalba wird das Loos ihrer Schwester Corilla teilen; und der Clorinda wollen wir schon Unterricht geben, und ihr zeigen, was sie aus ihrer Stimme, die recht hübsch ist, machen kann. Das Publikum wird es mit einem so schönen Mädchen nicht all zu genau nehmen. Und wenn ich für sie übrigens auch nur die Stelle der dritten Donna erhalte, so ist es doch immer eine Stelle, es ist ein Eintritt in die Carrière, es ist ein Anfang.
– Du bist eine Heilige, Consuelo. Begreifst du nicht, dass dieses dumme Tier, das sich mehr als glücklich schätzen müsste, durch deine Güte dritte oder vierte Frau zu werden, es dir doch nimmer verzeihen wird, dass du die erste bist? …
– Was geht mich ihr Undank an? Geh doch, ich habe schon genug erfahren von Undankbarkeit und undankbaren Menschen! –
– Du? rief Anzoleto laut auflachend und sie mit seiner alten brüderlichen Herzlichkeit umschlingend.
– Ja, ich! erwiderte sie, voll Freude dass sie seine Sorgen zerstreut hatte; ich habe das Bild meines edlen Meisters Porpora bisher immer vor Augen gehabt und es wird mir stets ins Herz gegraben sein. Oft sind ihm in meinem Beisein bittere und bedeutsame Worte entfahren, die er mich unfähig glaubte zu verstehen, aber sie haben sich in mein Herz gedrückt und werden mir nie wieder entschwinden. Das ist ein Mann, der viel gelitten hat, und den der Gram verzehrt. Durch ihn, durch seine Trübsale, durch all den vielen in ihm aufgehäuften Groll, durch die Worte, die ihm in meiner Gegenwart entfielen, habe ich gelernt, dass die Künstler gefährlichere und schlechtere Menschen sind, als du wohl denkst, mein lieber Engel! dass das Publicum leichtsinnig, vergesslich, hartherzig, ungerecht ist; dass eine glänzende Laufbahn ein schweres Kreuz und der Ruhm eine Dornenkrone ist! Ja, ich weiß alles, und ich habe oft daran gedacht, und viel darüber nachgesonnen, sodass ich mich stark genug fühle, nicht sehr zu staunen und mich nicht zu sehr niederschlagen zu lassen, wenn ich es nun an mir selbst erfahren werde. Das ist der Grund, weshalb du mich nicht zu sehr von meinem heutigen Triumphe berauscht gesehen hast. Das ist der Grund, weshalb mich auch in diesem Augenblicke deine schwarzen Gedanken nicht mutlos machen. Ich begreife diese noch nicht, aber ich weiß, dass ich mit dir, und wenn du mich nur liebst, Kraft genug zum Kampfe haben werde, um nicht in Menschenhass zu fallen, wie mein armer Meister, der ein edler Greis und recht ein Unglückskind ist.
Als Anzoleto seine Freundin so reden hörte, fand auch er seinen Mut und seine Heiterkeit wieder. Sie übte eine große Gewalt über ihn aus und täglich entdeckte er mehr in ihr eine Festigkeit des Charakters und eine Geradheit der Gesinnung, durch welche er das ergänzt fand, was ihm selbst fehlte. Die Schreckbilder der Eifersucht verschwanden, nachdem er sich eine Viertel Stunde mit ihr unterhalten hatte, und als sie ihn noch einmal befragte, schämte er sich seines Argwohns gegen eine so reine und so ruhige Seele dergestalt, dass er seiner Aufregung andere Ursachen unterlegte.
– Ich habe nur eine Furcht, sagte er ihr, nämlich dass der Graf deine Überlegenheit genug erkenne, um mich nicht wert zu achten, dass ich neben dir vor dem Publikum erscheine. Er hat mich heute Abend nicht singen lassen, obgleich ich lauerte, dass er uns ein Duett vorlegen möchte. Er schien mich so ganz vergessen zu haben, als ob ich gar nicht da wäre. Er hat nicht einmal bemerkt, dass ich zu deinem Gesange recht hübsch begleitet habe. Und endlich, als er dir von deinem Engagement sprach, hat er kein Wort von dem meinigen gesagt. Ist dir denn eine so seltsame Sache gar nicht aufgefallen?
– Es ist mir