Aus dieser Sehnsucht entsprang dann die Neigung, das Fleisch, wie man es nannte, abzutöten durch allerlei Entbehrung und Kasteiung. Man zog sich aus der Gesellschaft der Menschen in die Einöde, aus dem Genuss der irdischen Güter in die Enthaltsamkeit, aus der Welt des wirklichen Lebens, die man als das Eigentum des Satan ansah, in die Welt der Beschauung Gottes und seiner himmlischen Herrlichkeit zurück. Immer schrecklicher gestaltete sich vor der erhitzten Einbildungskraft des durch Ascetik ausgemergelten und in den Schauern der Einöde geänstigten Büßers das Bild des höllischen Fürsten.
Der herrschsüchtigen Geistlichkeit war sodann die Angst der eingeschüchterten Gläubigen vor den Schrecken des ewigen Feuers ein zu bequemes Mittel, alles in dumpfem Gehorsam und zaghafter Abhängigkeit zu erhalten, da der Priester sich die Macht beilegte das Unheil zu beschwören, um nicht diese Angst immer mehr zu nähren und zu steigern.
Und als endlich die Menschen allmählich vor ihrer eigenen Knechtschaft zu schaudern und ihre Vernunft wieder zu gebrauchen anfingen, als sie die Anmaßung der Priester durchschauten und die Ketten zerreißen wollten, als sie auf das Urchristentum sich berufend, die einen Freiheit des Geistes, die anderen Gleichheit aller Menschen und Manche beides zu ihrer Losung machten, da verwarfen sie auch die Furcht vor der Hölle und die Vorstellung vom Widersacher Gottes.
Ja, da sie selbst in Auflehnung gegen das Bestehende waren, so lag nichts ihrem Geiste näher, als den Geist der Auflehnung selbst für nichts Böses, sondern für etwas Gutes und von Gott Gewolltes, für das Ferment der Weltgeschichte, den Teufel für den Geist des Fortschrittes, der Selbsterkenntnis, der Befreiung zu halten.
Diese Sekten sind verschollen und die Welt ist von dem Teufel noch nicht losgekommen; so wenig, dass in diesen unsern Tagen ein neuer Gnostiker in unserer eigenen Mitte wieder aufgetreten ist und mit Gunst der Mächtigen dieser Welt und mit Beifall Vieler, die sich weise heißen lassen, unter großem Zulauf von Hörbegierigen sein gnostisches System öffentlich vortrug in einer Stadt, die gern für den Mittelpunkt der Intelligenz gelten möchte.
Nach seiner fantastischen Auffassung ist aber der Mensch selbst, d. h. der Urmensch, der Typus des Menschen, der noch vor der Welterschaffung in gleicher Mitte zwischen den göttlichen Wesenheiten oder Potenzen schwebte, die Ursache nicht nur des eigenen Falles sondern auch des Umsturzes und der Verkehrung alles Daseins, sodass durch den Fall des Urmenschen, nämlich durch dessen Übermut und Verlangen, selbst Schöpfer und Herr aller Möglichkeiten zu sein, erst diese Welt in ihrer Mangelhaftigkeit entstanden ist.
Diese Welt kam nämlich dadurch zu Stande, dass der Mensch durch sein Losreißen aus dem Zentrum, worin er schwebte, die erste Möglichkeit welche Gott sich selbst vor Augen gehalten hatte, die bloße Materie, das Unbändige, was überwältigt werden sollte und wirklich schon von Gott in der vorweltlichen Zeit überwältigt war, wieder herauf hob und mächtig machte. Durch diese ungeheure Tat des Urmenschen ist diese Materie, die eine bloße Unterlage und das Überwundene und Gebändigte sein sollte, nicht nur frei sondern erst zum Gegengöttlichen, also zum Satan geworden.
Dass diese Fabelei, welche bei allem Vorgeben des Herrn von Schelling, als ob seine Lehre mit der Schriftlehre übereinstimme und deren Erklärung und wahres Verständnis enthalte, dennoch die Bibel wirklich nur verdreht und verunklärt, so großen Applaus bei Dortoren der Gottesgelahrtheit finden konnte, das ist in der Tat sehr merkwürdig und ein großes Zeichen von der unter uns weit verbreiteten Gedankenarmseligkeit.
Aber genug hievon! Sie sehen wenigstens, wie der Satan noch immer spukt; Sie sehen, dass man ihn mit der Versichernng, er müsste doch eine ganz monströse Schöpfung Gottes sein, nicht beschwören kann, denn im Husch ist er statt einer Schöpfung Gottes zu einem Produkt urmenschlicher Tat geworden. Sie sehen, das es nichts hilft, wenn man das Böse im Menschen selbst nicht begreift, dasselbe einem Wesen außerhalb der Menschheit aufzubürden. Die Unbegreiflichkeit bleibt immer dieselbe.
Das ganze Übel kommt daher, dass man das Gute und Böse als feste Bestimmungen und weiterhin als unterschiedene Mächte ansieht, die ein für alle mal die eine schwarz, die andere weiß sind. Es gibt weder solches Gute noch solches Böse. Alles ist gut oder böse nur nach seinen Beziehungen unter einander und zu dem Menschengeiste. Der Mensch kann alles, was von außen her an ihn kommt, als Gutes oder Schlimmes ansehen, je nachdem sein freier Geist es auffasst; nichts tut ihm wehe, wenn sein Geist es überwindet und sich darüber erhebt. So ist das Übel kein Übel.
Der Menschengeist hat Macht alles zu wandeln und zu dem zu machen, was es sein soll: er erkennt das Notwendige und unterwirft sich ihm willig und wirket nach den erkannten ewigen Gesetzen der Vernunft. Der Menschengeist ist aber ebensowohl dieser erkennende, wissende, die allgemeine Menschennatur begreifende, und ihr gemäß zu handeln angewiesene Geist, als er der Geist des einzelnen, beschränkten, sich selbst allein angehörigen Wesens ist.
Bildet sich der Geist nicht der allgemeinen Natur nach aus und gibt sich in den Dienst des allgemeinen Wirkens hin, sondern bleibt er in seinem abgesonderten, nur auf sein eigenstes Gelüsten, zufälliges Wünschen und Wollen gerichteten Wesen hangen, so ist der Mensch böse, denn er erfüllt den Zweck seines Daseins nicht, und unselig, denn er erreicht nicht das Maß seiner eigenen Natur, befriedigt sein eigenes Wesen nicht. Der Geist, der ihn zum Bösen versucht, ist nur sein eigenes, vereinzeltes, vom Allgemeinen abgekehrtes Wesen; der Geist, der ihn zum Guten leitet, ist der Drang des innern Bewusstseins, dass er nicht sich, sondern der Menschheit angehöre, und dass er das Heilige, d. i. »das, was alle zusammenbindet«, edel und rein in sich darstellen müsse.
Das Böse braucht nicht anders begriffen zu werden, als dass es die Verkehrung, der Missverstand und Missbrauch der Freiheit ist. Denn die wahre Freiheit besteht darin, dass man sich mit Überzeugung und mit Lust nicht zu dem, was man zufällig und zum Besten der vereinzelten Begierden und seines vereinzelten Daseins will, sondern zu dem, was wahrhaft, notwendig und allgemein ist, entschließe. Satan ist also nichts als des Menschen Selbstsucht.
1 Josquin des Prés (Jodocus Pratensis, obgleich er gewiss