– Lieber Meister, sagte Zustiniani, indem er ihn bei Seite nahm, ihr müsst euch nicht allein entschließen euch eine eurer Schülerinnen für das Theater wegnehmen zu lassen, sondern ihr müsst mir sogar diejenige bezeichnen, welche Euch selbst am besten geeignet scheint, die Stelle der Corilla auszufüllen. Diese Sängerin wird matt, ihre Stimme nimmt ab, ihre Capricen richten uns zu Grunde und das Publicum wird ihrer bald überdrüßig sein. Wir müssen wahrhaftig daran denken, ihr eine Succeditrice zu geben. (Verzeihe, lieber Leser, es ist dies der hergebrachte Ausdruck in Italien, kein neu vom Grafen gebildetes Wort.)
– Ich kann euch nicht dienen, gab Porpora trocken zur Antwort.
– Was alle Welt, Meister! rief der Graf, wollt ihr wieder in eueren gallichten Humor zurückfallen? Ist es wohl recht, dass ihr nach einem so großen Aufwand von Geld und Mühe, wie ich ihn an die Beförderung euerer musikalischen Zwecke gesetzt habe, mir den ersten kleinen Gefallen abschlagt, den ich in Rat und Tat von euch für die meinigen in Anspruch nehme?
– Nein, dazu habe ich kein Recht mehr, Graf, erwiderte der Professor; und was ich euch gesagt habe, ist die lautere Wahrheit, wie ich sie dem Freunde sage, dem ich mit Freuden einen Dienst leiste. Ich habe in meiner Singeschule keine einzige Person, welche euch die Corilla ersetzen könnte. Ich schlage sie nicht höher an, als nötig: aber während ich erklären muss, dass das Talent dieses Mädchens in meinen Augen gar keinen reellen Wert hat, darf ich doch auch nicht verhehlen, dass sie ein Savoir-faire, eine Routine, eine Leichtigkeit, ein Eingehen auf die Stimmung des Publicums besitzt, wie sich das nur durch jahrelange Übung erreichen lässt, und wie es andere Debütantinnen nicht so bald erringen werden.
– Das ist wahr, sagte der Graf, aber am Ende haben wir die Corilla gebildet, wir haben ihre Anfänge gesehen, wir haben sie in die Gunst des Publikums eingeführt: drei Viertel von ihrem Erfolge verdankt sie ihrer Schönheit und ihr habt in euerer Schule noch eben so reizende Wesen. Das werdet ihr nicht in Abrede stellen, lieber Meister! Zum Beispiel, die Clorinda, müsst ihr gestehen, ist doch das schönste Geschöpf der Erde.
– Ja, aber verschroben, geziert, unleidlich … Zwar, es ist möglich, dass das Publicum diese lächerlichen Grimassen entzückend finde … aber sie singt falsch, hat keine Seele, keine Auffassung … Zwar, das Publicum hat deren ebenso wenig als Gehör … Aber sie hat kein Gedächtnis, keine Gewandtheit, und sie wird sich nicht einmal durch die glückliche Charlatanerie vor dem Fiasko retten, die – so vielen Leuten zu statten kommt.
Bei diesen Worten fiel des Professors Blick unwillkürlich auf Anzoleto, der auf seinen Anspruch als Günstling des Grafen gestützt und unter dem Vorgehen, dass er diesen sprechen müsste, sich in die Klasse eingeschlichen hatte und in geringer Entfernung stand, der Unterredung horchend.
– Tut nichts, sagte der Graf, ohne auf die boshafte Anspielung des Meisters zu achten: ich gebe meine Idee nicht auf. Es ist lange, dass ich die Clorinda nicht gehört habe. Wir wollen sie kommen lassen, und noch fünf oder sechs andere, die hübschesten, die da sind. Schau, Anzoleto, setzte er lachend hinzu, du bist recht gut ausstaffiert um dir das Ansehen eines jungen Professors zu geben. Gehe in den Garten und suche dir die schönsten unter diesen jungen Damen aus; denen sage, dass wir sie hier erwarten, der Herr Professor und ich.
Anzoleto tat wie ihm geheißen war, aber er brachte, entweder aus Schalkheit, oder weil er seine Absichten dabei hatte, die hässlichsten von Allen, man hätte mit Jean-Jacques ausrufen können: Einäugig war Sofia, die Cattina war lahm.
Dieses Quiproquo wurde mit Heiterkeit aufgenommen, und nachdem die Herren sich ins Fäustchen gelacht, bezeichnete der Professor den jungen Mädchen diejenigen ihrer Gefährtinnen, welche sie an ihrer Stelle schicken sollten. Eine allerliebste Gruppe erschien alsbald, in ihrer Mitte die schöne Clorinda. –
– Welch prächtiges Haar! sagte der Graf dem Professor ins Ohr, als er die reichen blonden Flechten der letzteren an sich vorüber gehen sah.
– Es ist ein Kopf, der vielmehr auf sich als in sich hat, antwortete der grobe Kritiker, ohne im mindesten seine Stimme zu dämpfen.
Nachdem eine Stunde probiert worden war, hielt es der Graf nicht länger aus; er entfernte sich missmütig, während er den jungen Mädchen einige Artigkeiten zu ihrem Lobe sagte und dem Professor zuflüsterte: An diese Papageien ist nicht zu denken!
– Wenn Ew. Gnaden mir vergönnen wollte, in dieser Sache, welche Sie beschäftigt, ein Wort mit zu reden … hob Anzoleto leise an, als sie miteinander die Treppe hinabstiegen.
– Rede, entgegnete der Graf; wüsstest du das Wunder nachzuweisen, das wir suchen?
– Ja, Excellenz!
– Und in der Tiefe welches Meeres wirst du diese Perle auffischen?
– Nur in der Tiefe der Klasse, in welcher der schlaue Professor Porpora sie versteckt hält, so oft Sie ihr Mädchencorps die Revüe passieren lassen.
– Wie? Gibt es in der Scuola einen Edelstein, dessen Glanz meine Augen noch nie wahrgenommen haben? Wenn Meister Porpora mir einen solchen Streich gespielt hat! …
– Gnaden, der Diamant, den ich meine, gehört nicht zu der Scuola. Es ist ein armes Mädchen, das nur im Chore mitsingt, wenn man es verlangt: der Professor gibt ihr aus Mildtätigkeit und mehr noch aus Liebe zur Kunst, Privatstunden.
– Wenn das ist, so muss dies ein Mädchen von ausgezeichneten Anlagen sein, denn der Professor ist schwer zu befriedigen und ist mit seiner Zeit und Mühe nicht eben freigebig. Sollte ich sie vielleicht schon einmal gehört haben, ohne sie zu kennen?
– Ew. Herrlichkeit hat sie vor langer Zeit einmal gehört, sie war damals noch ein Kind. Jetzt ist sie ein großes, starkes Mädchen, voller Fleiß, und weiß schon so viel wie der Professor selbst; wenn diese einmal nur drei Takte auf dem Theater neben der Corilla sänge, so würde die Corilla sicherlich ausgezischt.