– Wo könnte ich wol dieses Wunder einmal hören?
– Ew. Herrlichkeit darf ja nur dem Professor befehlen, dass er sie einmal in Ihrer Gegenwart singen lasse; Sie werden dann über ihre Stimme und die Größe ihres Talentes urteilen können.
– Deine Zuversicht flößt mir in der Tat Vertrauen ein. Du sagst also, ich hätte sie schon vor langer Zeit einmal gehört … Kann ich mich doch durchaus nicht erinnern …!
– In der Kirche der Mendicanti, bei einer Generalprobe, das Salve Regina von Pergolese …
– Halt! ich hab’s, rief der Graf. Stimme, Ton, Auffassung bewundernswürdig!
– Und sie war damals erst vierzehn Jahre alt, Monsignore, ein bloßes Kind.
– Ja, aber … ich glaube mich zu erinnern, dass sie nicht hübsch war.
– Nicht hübsch, Excellenz? sagte Anzoleto bestürzt.
– Hieß sie nicht …? Hm, ja, es war eine Spanierin, ein närrischer Name …
– Consuelo, Monsignore!
– Recht! Du wolltest sie damals heiraten, und wir lachten über eure Liebschaft, der Professor und ich. Consuelo! Ja, diese war’s: der Liebling des Professors, ein sehr fähiges Mädchen, aber sehr hässlich.
– Sehr hässlich? wiederholte Anzoleto ganz erstarrt.
– Allerdings, mein Kind! bist du denn noch immer in sie verliebt?
– Sie ist meine Freundin, Ew. Gnaden.
– Freundin bedeutet bei uns so viel als Schwester und so viel als Geliebte. Welches nun von beidem?
– Schwester, Herr!
– Wohl, so kann ich, ohne dich zu kränken, dir sagen was ich von der Sache denke. In deinem Einfall ist kein Menschenverstand. Um die Corilla zu ersetzen, muss man ein Engel von Schönheit sein, und deine Consuelo, ich erinnere mich ihrer jetzt ganz gut, ist mehr als hässlich, sie ist abscheulich.
Der Graf wurde in diesem Augenblicke von einem seiner Freunde angehalten, welcher ihn auf die andere Seite nahm, und er ließ Anzoleto wie betäubt zurück; der arme Junge stieß einen Seufzer aus und wiederholte vor sich hin:
– Sie ist abscheulich! …
7.
Es nimmt dich vielleicht Wunder, lieber Leser, und nichts desto minder ist es durchaus richtig, dass sich Anzoleto niemals eine Meinung darüber gebildet hatte, ob Consuelo hässlich oder schön wäre. Abgesondert von den Menschen und in Venedig unbeachtet, wie Consuelo lebte, war sie noch von Keinem darauf angesehen worden, ob im Schatten dieser Versäumnis und Verborgenheit Geist und Gemüt sich eine angenehme oder eine unscheinbare Form herausgearbeitet hatten. Porpora, der für nichts Sinn hatte, als für seine Kunst, sah in ihr nur die Künstlerin. Den Nachbarn auf der Corte Minelli war ihr unschuldiges Verhältnis zu Anzoleto nie anstößig gewesen. In Venedig ist man über diesen Punkt nicht sehr bedenklich. Sie sagten ihr wohl manchmal, dass sie sich mit diesem Menschen ohne Halt und Habe unglücklich machen würde und gaben ihr den Rat, sie sollte sich lieber mit einem braven, friedfertigen Handwerker zu verbinden suchen. Da sie ihnen aber immer antwortete, sie wäre ja selbst ohne Familie und Stütze, und so wäre ihr Anzoleto eben recht, da seit sechs Jahren kein Tag vergangen war, wo man sie nicht bei einander gesehen hätte und zwar immer offen, ohne Heimlichtun und ohne Streit und Zank, so hatte man sich zuletzt an ihre freie und unzertrennliche Verbindung gewöhnt. Kein Nachbar hatte es sich je einfallen lassen, der Amica des Anzoleto den Hof zu machen. Kam dies daher, dass man sie nun einmal für gebunden achtete, oder war ihre große Dürftigkeit daran schuld? Oder endlich, dünkte ihr Äußeres keinem von ihnen verführerisch? Das letztere ist sehr wahrscheinlich.
Es ist indessen eine bekannte Sache, dass die jungen Mädchen zwischen zwölf und vierzehn Jahren gewöhnlich mager, ohne Haltung und ohne Harmonie in Zügen, Verhältnissen und Bewegungen sind. Um die fünfzehn Jahre »mustern sie sich heraus« (wie der volkstümliche Ausdruck der älteren Frauen lautet), und die welche zuvor abscheulich aussah, zeigt sich, nach diesem kurzen Bildungsakte, wenn nicht schön, zum wenigsten angenehm. Man hat sogar die Bemerkung gemacht, dass kleine Mädchen, welche zu früh hübsch sind, nichts für die Zukunft versprechen.
Auch unserer Consuelo war die Wohltat des jungfräulichen Alters zu Gute gekommen, man nannte sie nicht mehr hässlich und wirklich war sie es nicht mehr. Nur weil sie keine Prinzessin oder Infantin war, hatte sie auch keinen Höflingskreis um sich, der der Welt die sichtliche Verschönerung des königlichen Sprossen verkündet hätte; und da kein zärtlich bekümmertes Herz da war, um für ihre Zukunft Sorge zu tragen, so nahm sich auch niemand die Mühe, dem Anzoleto zu sagen, dass er sich seiner Braut vor der Welt nicht zu schämen brauchte.
Da nun Anzoleto sie nur in einem Alter hatte garstig nennen hören, wo dieser Tadel nicht den mindesten Eindruck auf ihn machte, während in späterer Zeit weder Gutes noch Böses von Consuelo’s Äußerem gesagt wurde, so hatte er in der Tat an diesen Punkt noch nicht gedacht. Seine Eitelkeit hatte einen anderen Flug genommen. Sein Traum war, aufzutreten und berühmt zu werden, und er konnte gar nicht dazu kommen, viel Aufhebens von seinen Eroberungen zu machen. Den Gelüsten der ersten Jugend ist ein gutes Teil Neugierde beigemischt: bei ihm war diese befriedigt; ich habe schon gesagt, dass er in einem Alter von achtzehn Jahren nichts mehr zu lernen hatte. In seinem zwei und zwanzigsten Jahre war er fast abgestumpft, während seine Anhänglichkeit an Consuelo in seinem zwei und zwanzigsten Jahre, wie im achtzehnten, einiger keuschen Küsse ungeachtet, welche ohne Unruhe gegeben und ohne Scham genommen wurden, noch ganz so still und traulich wie zuvor war.
Diese Ruhe und Reinheit bei einem Jünglinge, dessen Ruhm nicht gerade Zurückhaltung war, möchte leicht zu auffallend erscheinen, wenn hier nicht bemerkt würde, dass die große Freiheit, in welcher wir unsere jungen Leute beim Beginne dieser Geschichte miteinander umgehen sahen, sich im Laufe der Zeit verändert und allmählich eingeschränkt hatte. Consuelo war fast sechszehn Jahre alt und führte noch ein ziemlich unstätes Leben, indem sie allein aus dem Konservatorium ging und sich auf den Stufen der Piazzetta