Da wir hier in der geheimnisreichen Sprache der Religion schon redeten, von der ich einiges doch in meiner Kindheit gelernt habe, will ich Ihnen sagen, dass man sich imstande der Gnade befinden muss, um Vergebung seiner Sünden zu erlangen. Nun wohlan! die Art Absolution, die Sie begehren, meine Liebe, sind Sie deren würdig? Sie fodern das reinste, zärtlichste, sanfteste Gefühl, und doch scheint mir, dass Ihre Seele weder zur Sanftmut noch zur Zärtlichkeit neigt. Sie nähren in ihr finstere Gedanken und gleichsam ewige Rache.
– Was meinen Sie, Consuelo? ich verstehe Sie nicht.
– Ich meine, dass Sie stets von unseligen Bildern, Mordgedanken, blutigen Erscheinungen verfolgt werden. Sie beweinen Verbrechen, welche Sie vor mehren Jahrhunderten begangen zu haben glauben und deren Gedächtnis Ihnen zugleich lieb ist, denn Sie nennen sie ruhmvoll und erhaben, messen sie dem Willen des Himmels, dem gerechten Zorne Gottes bei. Kurz, Sie ängstigen sich und überheben sich zugleich, indem Sie in Ihrer Einbildung die Rolle gleichsam eines Engels der Vernichtung spielen. Gesetzt, Sie wären in Wahrheit vormals ein Rächer und Zerstörer gewesen, so sollte man denken, dass Sie den Trieb, die Versuchung, fast den Hang zu diesem abscheulichen Loose beibehalten hätten, da Sie stets über Ihr jetziges Leben hinausblicken und sich bejammern wie einer der noch jetzt verdammt ist, ein Verbrecher zu sein.
– Nein! Dank sei es dem allmächtigen Vater der Geister, der sie zurücknimmt und sie in der Liebe seines Herzens neugebiert, um sie wieder in die Arbeit des Lebens auszusenden, rief Rudolstadt mit gen Himmel erhobenen Armen. Nein! ich habe keinen Hang zur Gewalttätigkeit und Wildheit beibehalten. Es ist genug zu wissen, dass ich verdammt war, Schwert und Fackel in den Händen diese barbarischen Zeiten zu durchstürmen, die wir in unserer frechen, fanatischen Sprache »die Zeiten des Eifers und des Zornes« nannten. Sie wissen aber die Geschichte nicht, erhabenes Mädchens Sie begreifen nicht die Vergangenheit; die Geschicke der Völker, unter denen Sie ohne Zweifel stets eine friedliche Sendung, stets den Beruf eines tröstenden Engels hatten, sind Rätsel vor Ihren Augen. Indessen müssen Sie doch etwas von diesen grauenvollen Wahrheiten erfahren und eine Vorstellung von dem erlangen, was oft Gottes Gerechtigkeit unglücklichen Menschen auferlegt.
– Ja, reden Sie, Albert! erklären Sie mir, wie eitle Streitigkeiten um die Zeremonien des Abendmahls so große Wichtigkeit und Heiligkeit für beide Teile haben konnten, dass sich Völker im Namen der göttlichen Eucharistie erwürgen mussten.
– Sie haben recht, sie göttliche zu nennen, antwortete Albert, sich neben Consuelo am Rande der Quelle niedersetzend. Dieses Symbol der Gleichheit, diese Zeremonie, von einem himmlischen Wesen unter allen Menschen eingeführt, um den Grundsatz des brüderlichen Lebens zu verewigen, darf Ihr Mund nicht anders bezeichnen, eines Wesens Mund, das den höchsten Mächten und den edelsten Geschöpfen gleich steht, deren sich das Menschengeschlecht zu rühmen hat, während es dennoch zugleich noch eingebildete und sinnverwirrte Wesen gibt, welche Sie als ein Geschöpf von einer gemeineren Rasse ansehen und Ihr Blut für minder kostbar halten als das der Könige und Herrn auf Erden. Was würden Sie von mir denken, Consuelo, wenn ich, der ich von diesen Königen und Herren abstamme, mich in meinen Gedanken über Sie erhöbe?
– Ich würde Ihnen ein Vorurteil verzeihen, das Ihre ganze Kaste noch heilig hält und gegen welches mich aufzulehnen mir nie in den Sinn kam, glücklich wie ich es bin, frei und den Kleinen gleich geboren zu sein, die ich mehr liebe als die Großen.
– Sie würden es mir verzeihen, Consuelo! aber achten würden Sie mich nicht, und Sie würden nicht hier sein, allein bei mir, ruhig an der Seite eines Mannes, der Sie anbetet, und sicher dass er Ihnen gleiche Ehrfurcht zollt, als ob Sie, im Genuss des Vorrechts der Geburt zu Deutschlands Kaiserin auserkoren wären. O, lassen Sie mich glauben, dass Sie, ohne meiner Sinnesart und meinen Grundsätzen zu vertrauen, nicht so himmlisch gut gegen mich gewesen wären, sich jenes erste Mal zu mir hierher zu wagen. Also, geliebte Schwester, erkennen Sie in Ihrem Herzen, an das ich mich wende, ohne Ihren Geist mit philosophischen Erörterungen belästigen zu wollen, dass die Gleichheit heilig ist, dass der Vater der Menschen sie gewollt hat und dass die Bestrebung, sie unter sich herzustellen, der Menschen Pflicht ist.
Da noch die Völker von Herzen an ihren gottesdienstlichen Bräuchen hingen, stellte ihnen die Kommunion diejenige Gleichheit dar, deren Genuss ihnen die bürgerlichen Verhältnisse verstatteten. Die Armen und Schwachen fanden darin Trost und Verheißung; die Religion machte ihnen ihr elendes Leben erträglich, indem sie ihnen die Hoffnung ließ, dass einst ihre Kindeskinder in den kommenden Zeiten bessere Tage haben würden.
Die Böhmen hatten immer nur die Absicht, das heilige Mahl in derselben Weise zu feiern, in welcher es die Apostel gefeiert und gelehrt hatten. Sie wollten die uralte, brüderliche Kommunion, das Mahl der Gleichheit, das Bild des Gottesreichs, das sich auf Erden erfüllen sollte, d. h. des Lebens in der Gemeinschaft.
Einst aber begann die römische Kirche, welche Völker und Fürsten ihrer despotischen und ehrsüchtigen Herrschaft unterworfen hatte, den Christen vom Priester, das Volk vom Priestertum, die weltliche Gemeinde von der Christlichkeit zu scheiden. Sie gab den Kelch in die Hände ihrer Diener, damit sie die Gottheit in mystischen Tabernakeln verborgen halten könnten, und durch wahnwitzige Auslegungen machten diese Priester die Eucharistie zu einem abgöttischen Cultus, an welchem die Laien nur nach Gefallen Teil zu nehmen brauchten. Sie rissen im Beichtstuhle die Schlüssel der Gewissen an sich.
Diese heilige Schale, die hochherrliche Schale, worin der Arme Verwandlung trinken und seine Seele wiedergebären sollte, ward in Schreine von Cedernholz und Gold verschlossen, aus denen sie nur hervorging, um die Lippen des Priesters zu benetzen. Er allein war würdig das Blut und die Tränen Christi zu trinken. Der Gläubige musste sich vor ihm in Demut niederwerfen und seine Hände lecken, um das Himmelsbrot zu essen.
Begreifen Sie es nun, weshalb das Volk wie mit einer Stimme schrie: Den Kelch! Gebt uns den Kelch wieder! Den Kelch den Niedrigen! Den Kelch den Kindern, den Weibern, den Sündigen, den Verwirrten! Den Kelch allen Bedürftigen, allen leiblich und geistig Elenden: dies war der Ruf des Aufstandes und der Vereinigung