– Es ist nicht das, was meine Gedanken beschäftigt, Albert! antwortete Consuelo, wieder nach dem düstern Altar hin blickend, auf welchen er seine Stradivari gelegt hatte. Ich frage mich, warum Sie dem Gedächtnis und den Überresten dieser Opfer ausschließlich einen Dienst weihen, als ob es nicht auf der anderen Seite ebenfalls Märtyrer gegeben hätte und als ob die Verbrechen der einen verzeihlicher wären als die der anderen.
Consuelo sagte das mit einem strengen Tone und indem sie Albert misstrauisch ansah. Sie dachte wieder an Zdenko und alle ihre Fragen nahmen in ihren Gedanken die Richtung auf eine Art hochnotpeinlichen Verhörs hin, dem sie ihn gern unterworfen haben würde, wenn sie es gewagt hätte.
Die schmerzliche Aufregung, welche sich plötzlich des Grafen bemächtigte, schien ihr ein reuiges Geständnis zu sein. Er fuhr mit den Händen über seine Stirn und presste sie dann gegen seine Brust, als ob er fühlte, dass ihm die zerspringen wollte. Seine Gesichtsfarbe wechselte schrecklich und Consuelo fürchtete, dass sie ihn nur zu gut begriffen hätte.
– Sie wissen nicht, was Sie mir für eine Pein erregen! rief er endlich, sich auf den Knochenhaufen stützend und sein Gesicht zu diesen vertrockneten Schädeln niederbeugend, die ihn aus ihren leeren Augenhöhlen anzustarren schienen. Nein! Sie können es nicht wissen, Consuelo! Ihre frostigen Bemerkungen erwecken in mir die Erinnerung der bösen Tage, welche ich durchlebt habe. Sie wissen nicht, dass Sie mit einem Menschen reden, der Jahrhunderte in Leiden hingebracht hat, und der, nachdem er in Gottes Hand das blinde Werkzeug der unwandelbaren Gerechtigkeit gewesen, dann seinen Lohn empfangen und seine Strafe gelitten hat. Ich habe so sehr gelitten und mein blutiges Loos so sehr beweint und so streng gebüßt, habe die Greuel, in welche mich mein Schicksal dahinriss, so eifrig gesühnt, dass ich mir endlich schmeichelte, sie vergessen zu können.
Vergessen! Das war es, wonach mein Herz so heiß sich sehnte! Das war mein Beten und mein Sehnen in jedem Augenblick; das war das Zeichen meiner Vereinigung mit den Menschen und meiner Versöhnung mit Gott, das ich hier seit Jahren erflehte, mich auf diesen Gebeinen vor ihm niederwerfend.
Consuelo, als sich Sie zum ersten Male sah, fing ich zu hoffen an. Und als Sie mir Mitleid bewiesen hatten, fing ich zu glauben an, dass ich gerettet wäre. Hier! sehen Sie diesen Kranz verwelkter Blumen, die schon fast in Staub zerfallen, mit denen ich den Schädel krönte, welcher obenan dem Altare steht; Sie erkennen sie nicht; ich aber, ach! ich habe sie mit vielen bitteren, süßen Tränen benetzt: Sie hatten – sie gepflückt, Sie hatten sie für mich dem Gefährten meines Elends, dem treuen Hüter meines Grabes gegeben.
Wohlan, mit Tränen und mit Küssen sie bedeckend, fragte ich mich mit Herzensangst, ob Sie wohl je eine wahre, tiefe Liebe fühlen könnten für einen Verbrecher wie mich, für einen erbarmungslosen Fanatiker, für einen Wüterich ohne Herz …
– Was für Verbrechen sind es, deren Sie sich anklagen? sprach Consuelo mit Kraft, von tausend streitenden Gefühlen hin und her geworfen und kühn gemacht durch Albert’s tiefe Niedergeschlagenheit. Wenn Sie ein Bekenntnis abzulegen haben, so tun Sie es, tun Sie es gleich, vor mir, damit ich wisse, ob ich sie freisprechen und Sie lieben kann.
– Mich freisprechen, ja! das können Sie; denn der, den Sie kennen, Albert von Rudolstadt, hat ein so reines Leben geführt wie ein unschuldiges Kind. Aber der, den Sie nicht kennen, Johann Ziska vom Kelche, ist durch den Zorn des Himmels in eine Laufbahn voller Schuld gestürzt worden.
Consuelo sah, wie unvorsichtig es gehandelt war, das Feuer, welches unter der Asche schlief, zu wecken, und durch ihre Fragen den betrübten Albert auf die Vorstellungen seines Wahnsinns zurückzuführen. Es war jetzt nicht mehr Zeit, sie mit vernünftigen Gründen zu bekämpfen; sie bemühete sich, ihn zu besänftigen durch die Mittel welche seine fixe Idee selbst ihr darbot.
– Genug, Albert! sagte sie. Wenn Ihr ganzes jetziges Dasein dem Gebete und der Reue gewidmet war, so haben Sie nichts mehr abzubüßen, und Gott verzeiht dem Ziska.
– Gott enthüllt sich den armen Geschöpfen, die ihm dienen, nicht unmittelbar, entgegnete der Graf, mit dem Kopfe schüttelnd. Er demütiget sie, oder richtet sie auf und gebraucht die einen, um die anderen zu erretten oder zu züchtigen. Wir sind alle Dolmetscher seines Willens, wenn wir trachten, unsere Nebenmenschen liebevoll zu bessern oder zu trösten. Sie haben kein Recht, junges Mädchen, über mich das Wort der Entsündigung auszusprechen. Kein Priester selbst hat diese hohe Sendung, wenn er sie auch im geistlichen Hochmute sich beimisst.
Aber Sie können mir die Gnade Gottes spenden, wenn Sie mich lieben. Ihre Liebe kann mich versöhnen mit dem Himmel und mich die Tage vergessen machen, die man nennt die Geschichte der verflossnen Jahrhunderte. Sie könnten mir im Namen des Allmächtigen das Höchste verheißen, ich würde Ihnen nimmer glauben; ich würde nichts darin sehen als einen edlen, großmütigen aber blinden Eifer.
Legen Sie die Hand auf Ihr Herz; fragen Sie es, ob der Gedanke an mich darin wohnt, ob die Liebe zu mir es erfüllt, und wenn es Ja sagt, wird dies Ja die Gnadenformel sein, die mich entbindet, der Bund, der mich wieder einsetzt, der Zauber, der auf mich herniederbeschwört die Ruhe, das Glück und das Vergessen. Nur so können Sie die Priesterin meines Gottesdienstes sein, und meine Seele wird im Himmel losgesprochen sein, wie die des Katholiken es zu sein wähnt durch den Mund des Beichtigers. Sagen Sie, dass Sie mich lieben! schrie er, sich zu ihr hinüber neigend wie um sie mit seinen Armen zu umschließen.
Sie wich zurück, vor dem Gelöbnis bebend, das er von ihr heischte; er aber sank auf den Gebeinen