Gesammelte Werke. George Sand. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George Sand
Издательство: Bookwire
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783962816148
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mei­nes Schmer­zes ein­ge­weiht ha­ben. Sie se­hen große Stein­blö­cke über un­se­ren Köp­fen schwe­ben und an­de­re am Ran­de der Quel­le um­her­ge­streut. Die ge­rech­te Hand der Ta­bo­ri­ten hat sie da­hin ge­schleu­dert, auf Be­fehl Je­nes, den sie den furcht­ba­ren Blin­den nann­ten; aber sie ha­ben nur dazu ge­dient, das Was­ser zu den un­ter­ir­di­schen Bet­ten zu­rück­zu­drän­gen, wel­che es sich zu gra­ben trach­te­te. Die Kon­struk­ti­on des Brun­nens wur­de zer­stört und die Trüm­mer habe ich un­ter den Cy­pres­sen ver­bor­gen, die ich dort ge­pflanzt habe; man hät­te hier ein gan­zes Ge­bir­ge hin­ein­stür­zen müs­sen, um die­se Höh­le aus­zu­fül­len. Die Stein­blö­cke, wel­che sich in der Mün­dung der Cis­ter­ne stopf­ten, sind dort durch eine Wen­del­trep­pe, gleich je­ner, in die Sie in mei­nem Gar­ten­brun­nen auf Rie­sen­burg so mu­tig hin­ab­stie­gen, auf­ge­hal­ten wor­den. Seit­dem hat das Sin­ken der Ge­birgs­mas­se sie im­mer fes­ter zu­sam­men­ge­keilt. Wenn dann und wann ein Stück sich los­löst, so ist doch das nur wäh­rend der hef­ti­gen Win­ter­frös­te der Fall: Sie ha­ben also jetzt nicht mehr zu fürch­ten, dass et­was von die­sem Ge­stei­ne her­ab­rol­le.

      – Es ist nicht das, was mei­ne Ge­dan­ken be­schäf­tigt, Al­bert! ant­wor­te­te Con­sue­lo, wie­der nach dem düs­tern Al­tar hin bli­ckend, auf wel­chen er sei­ne Stra­di­va­ri ge­legt hat­te. Ich fra­ge mich, warum Sie dem Ge­dächt­nis und den Über­res­ten die­ser Op­fer aus­schließ­lich einen Dienst wei­hen, als ob es nicht auf der an­de­ren Sei­te eben­falls Mär­ty­rer ge­ge­ben hät­te und als ob die Ver­bre­chen der einen ver­zeih­li­cher wä­ren als die der an­de­ren.

      Con­sue­lo sag­te das mit ei­nem stren­gen Tone und in­dem sie Al­bert miss­trau­isch an­sah. Sie dach­te wie­der an Zden­ko und alle ihre Fra­gen nah­men in ih­ren Ge­dan­ken die Rich­tung auf eine Art hoch­not­pein­li­chen Ver­hörs hin, dem sie ihn gern un­ter­wor­fen ha­ben wür­de, wenn sie es ge­wagt hät­te.

      Die schmerz­li­che Auf­re­gung, wel­che sich plötz­lich des Gra­fen be­mäch­tig­te, schi­en ihr ein reui­ges Ge­ständ­nis zu sein. Er fuhr mit den Hän­den über sei­ne Stirn und press­te sie dann ge­gen sei­ne Brust, als ob er fühl­te, dass ihm die zer­sprin­gen woll­te. Sei­ne Ge­sichts­far­be wech­sel­te schreck­lich und Con­sue­lo fürch­te­te, dass sie ihn nur zu gut be­grif­fen hät­te.

      – Sie wis­sen nicht, was Sie mir für eine Pein er­re­gen! rief er end­lich, sich auf den Kno­chen­hau­fen stüt­zend und sein Ge­sicht zu die­sen ver­trock­ne­ten Schä­deln nie­der­beu­gend, die ihn aus ih­ren lee­ren Au­gen­höh­len an­zu­star­ren schie­nen. Nein! Sie kön­nen es nicht wis­sen, Con­sue­lo! Ihre fros­ti­gen Be­mer­kun­gen er­we­cken in mir die Erin­ne­rung der bö­sen Tage, wel­che ich durch­lebt habe. Sie wis­sen nicht, dass Sie mit ei­nem Men­schen re­den, der Jahr­hun­der­te in Lei­den hin­ge­bracht hat, und der, nach­dem er in Got­tes Hand das blin­de Werk­zeug der un­wan­del­ba­ren Ge­rech­tig­keit ge­we­sen, dann sei­nen Lohn emp­fan­gen und sei­ne Stra­fe ge­lit­ten hat. Ich habe so sehr ge­lit­ten und mein blu­ti­ges Loos so sehr be­weint und so streng ge­büßt, habe die Greu­el, in wel­che mich mein Schick­sal da­hin­riss, so eif­rig ge­sühnt, dass ich mir end­lich schmei­chel­te, sie ver­ges­sen zu kön­nen.

      Ver­ges­sen! Das war es, wo­nach mein Herz so heiß sich sehn­te! Das war mein Be­ten und mein Seh­nen in je­dem Au­gen­blick; das war das Zei­chen mei­ner Ve­rei­ni­gung mit den Men­schen und mei­ner Ver­söh­nung mit Gott, das ich hier seit Jah­ren er­fleh­te, mich auf die­sen Ge­bei­nen vor ihm nie­der­wer­fend.

      Con­sue­lo, als sich Sie zum ers­ten Male sah, fing ich zu hof­fen an. Und als Sie mir Mit­leid be­wie­sen hat­ten, fing ich zu glau­ben an, dass ich ge­ret­tet wäre. Hier! se­hen Sie die­sen Kranz ver­welk­ter Blu­men, die schon fast in Staub zer­fal­len, mit de­nen ich den Schä­del krön­te, wel­cher oben­an dem Al­ta­re steht; Sie er­ken­nen sie nicht; ich aber, ach! ich habe sie mit vie­len bit­te­ren, sü­ßen Trä­nen be­netzt: Sie hat­ten – sie ge­pflückt, Sie hat­ten sie für mich dem Ge­fähr­ten mei­nes Elends, dem treu­en Hü­ter mei­nes Gra­bes ge­ge­ben.

      Wohl­an, mit Trä­nen und mit Küs­sen sie be­de­ckend, frag­te ich mich mit Her­zens­angst, ob Sie wohl je eine wah­re, tie­fe Lie­be füh­len könn­ten für einen Ver­bre­cher wie mich, für einen er­bar­mungs­lo­sen Fa­na­ti­ker, für einen Wü­te­rich ohne Herz …

      – Was für Ver­bre­chen sind es, de­ren Sie sich an­kla­gen? sprach Con­sue­lo mit Kraft, von tau­send strei­ten­den Ge­füh­len hin und her ge­wor­fen und kühn ge­macht durch Al­ber­t’s tie­fe Nie­der­ge­schla­gen­heit. Wenn Sie ein Be­kennt­nis ab­zu­le­gen ha­ben, so tun Sie es, tun Sie es gleich, vor mir, da­mit ich wis­se, ob ich sie frei­spre­chen und Sie lie­ben kann.

      – Mich frei­spre­chen, ja! das kön­nen Sie; denn der, den Sie ken­nen, Al­bert von Ru­dol­stadt, hat ein so rei­nes Le­ben ge­führt wie ein un­schul­di­ges Kind. Aber der, den Sie nicht ken­nen, Jo­hann Zis­ka vom Kel­che, ist durch den Zorn des Him­mels in eine Lauf­bahn vol­ler Schuld ge­stürzt wor­den.

      Con­sue­lo sah, wie un­vor­sich­tig es ge­han­delt war, das Feu­er, wel­ches un­ter der Asche schlief, zu we­cken, und durch ihre Fra­gen den be­trüb­ten Al­bert auf die Vor­stel­lun­gen sei­nes Wahn­sinns zu­rück­zu­füh­ren. Es war jetzt nicht mehr Zeit, sie mit ver­nünf­ti­gen Grün­den zu be­kämp­fen; sie be­mü­he­te sich, ihn zu be­sänf­ti­gen durch die Mit­tel wel­che sei­ne fixe Idee selbst ihr dar­bot.

      – Ge­nug, Al­bert! sag­te sie. Wenn Ihr gan­zes jet­zi­ges Da­sein dem Ge­be­te und der Reue ge­wid­met war, so ha­ben Sie nichts mehr ab­zu­bü­ßen, und Gott ver­zeiht dem Zis­ka.

      – Gott ent­hüllt sich den ar­men Ge­schöp­fen, die ihm die­nen, nicht un­mit­tel­bar, ent­geg­ne­te der Graf, mit dem Kop­fe schüt­telnd. Er de­mü­ti­get sie, oder rich­tet sie auf und ge­braucht die einen, um die an­de­ren zu er­ret­ten oder zu züch­ti­gen. Wir sind alle Dol­met­scher sei­nes Wil­lens, wenn wir trach­ten, un­se­re Ne­ben­menschen lie­be­voll zu bes­sern oder zu trös­ten. Sie ha­ben kein Recht, jun­ges Mäd­chen, über mich das Wort der Ent­sün­di­gung aus­zu­spre­chen. Kein Pries­ter selbst hat die­se hohe Sen­dung, wenn er sie auch im geist­li­chen Hoch­mu­te sich bei­misst.

      Aber Sie kön­nen mir die Gna­de Got­tes spen­den, wenn Sie mich lie­ben. Ihre Lie­be kann mich ver­söh­nen mit dem Him­mel und mich die Tage ver­ges­sen ma­chen, die man nennt die Ge­schich­te der ver­floss­nen Jahr­hun­der­te. Sie könn­ten mir im Na­men des All­mäch­ti­gen das Höchs­te ver­hei­ßen, ich wür­de Ih­nen nim­mer glau­ben; ich wür­de nichts dar­in se­hen als einen ed­len, groß­mü­ti­gen aber blin­den Ei­fer.

      Le­gen Sie die Hand auf Ihr Herz; fra­gen Sie es, ob der Ge­dan­ke an mich dar­in wohnt, ob die Lie­be zu mir es er­füllt, und wenn es Ja sagt, wird dies Ja die Gna­den­for­mel sein, die mich ent­bin­det, der Bund, der mich wie­der ein­setzt, der Zau­ber, der auf mich her­nie­der­be­schwört die Ruhe, das Glück und das Ver­ges­sen. Nur so kön­nen Sie die Pries­te­rin mei­nes Got­tes­diens­tes sein, und mei­ne See­le wird im Him­mel los­ge­spro­chen sein, wie die des Ka­tho­li­ken es zu sein wähnt durch den Mund des Beich­ti­gers. Sa­gen Sie, dass Sie mich lie­ben! schrie er, sich zu ihr hin­über nei­gend wie um sie mit sei­nen Ar­men zu um­schlie­ßen.

      Sie wich zu­rück, vor dem Gelöb­nis be­bend, das er von ihr heisch­te; er aber sank auf den Ge­bei­nen