Gesammelte Werke. George Sand. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George Sand
Издательство: Bookwire
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783962816148
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Freund.

      Die Ver­stel­lung, zu wel­cher Con­sue­lo sich mit Er­rö­ten her­ge­ben muss­te, war ihr über­aus pein­lich. Sie klag­te sanft dar­über ge­gen Al­bert, wenn sie ihm ver­stoh­len ein Paar Wor­te sa­gen konn­te, und bat ihn, auf sein Vor­ha­ben zu ver­zich­ten, we­nigs­tens so lan­ge, bis die Wach­sam­keit der Tan­te nach­las­sen wür­de. Al­bert un­ter­warf sich ih­rem Wil­len, er­such­te sie je­doch, ihre Mor­gen­spa­zier­gän­ge in der Nähe des Parks fort­zu­set­zen, da­mit er einen güns­ti­gen Au­gen­blick wahr­neh­men könn­te, um sich ihr an­zu­schlie­ßen.

      Con­sue­lo hät­te lie­ber dar­auf ver­zich­tet. Sie ging zwar gern spa­zie­ren und es war ihr ein Be­dürf­nis, sich alle Tage ein we­nig au­ßer­halb die­ser Mau­ern und Grä­ben zu be­we­gen, wo ein Ge­fühl von Ge­fan­gen­schaft ihr die Sin­ne be­eng­te; aber es tat ihr weh, Per­so­nen, die sie ach­te­te und de­ren Gast sie war, zu hin­ter­ge­hen. Ein we­nig Lie­be hebt wohl man­che Be­denk­lich­kei­ten, aber die Freund­schaft über­legt, und Con­sue­lo war sehr über­le­gend.

      Man be­fand sich in den letz­ten schö­nen Som­mer­ta­gen, denn es wa­ren schon meh­re Mo­na­te ver­flos­sen, seit sie auf Rie­sen­burg wohn­te. Welch ein Som­mer für Con­sue­lo! Der blas­ses­te Herbst in Ita­li­en hat­te mehr Licht und mehr Wär­me. Aber die mil­de Luft, der oft mit wei­ßen, leich­ten, sto­cki­gen Wol­ken um­flor­te Him­mel hat­ten doch auch ih­ren Reiz und ihre Schön­heit.

      Sie fand auf ih­ren ein­sa­men Spa­zier­gän­gen ein Be­ha­gen, zu dem viel­leicht die ge­rin­ge Lust, wel­che sie hat­te, die Grot­te wie­der­zu­se­hen, ein we­nig bei­steu­er­te. Ob­gleich sie dazu ent­schlos­sen war, fühl­te sie doch, dass Al­bert ihr eine Last vom Her­zen näh­me, wenn er sie ih­res Ver­spre­chens entlie­ße; und wenn sie nicht mehr un­ter dem Ein­fluss sei­nes fle­hen­den Blickes und sei­ner be­geis­ter­ten Re­den stand, er­tapp­te sie sich dar­auf, dass sie im Ge­hei­men die Tan­te seg­ne­te, die sie durch die Hin­der­nis­se, wel­che sie ihr alle Tage in den Weg stell­te, ih­rer Ver­pflich­tung über­hob.

      Ei­nes mor­gens sah sie vom Ran­de des Ba­ches, an wel­chem sie ent­lang ging, Al­bert hoch über ihr sich auf die Ein­fas­sung sei­nes Gärt­chens leh­nen. Un­ge­ach­tet der Ent­fer­nung fühl­te sie sich doch fast un­auf­hör­lich un­ter dem un­ru­hi­gen, lei­den­schaft­li­chen Auge die­ses Man­nes, in des­sen Macht sie ge­wis­ser­ma­ßen ge­ra­ten war.

      – Mei­ne Lage ist doch selt­sam, sag­te sie zu sich; wäh­rend die­ser be­harr­li­che Freund mich be­ob­ach­tet, um zu se­hen, ob ich der Hin­ge­bung, die ich ihm ge­lobt habe, treu bin, wird mir ohne Zwei­fel von ei­nem an­de­ren Punk­te des Schlos­ses auf­ge­passt, ob ich mich ihm nicht in ei­ner Wei­se nä­he­re, wel­che ihre Sit­te und ihr An­stands­ge­fühl ver­bie­ten. Ich weiß nicht, was in bei­den See­len vor­geht. Die Baro­nes­se Ama­lie kommt nicht wie­der. Das Stifts­fräu­lein scheint Miss­trau­en ge­gen mich zu he­gen und mich käl­ter zu be­han­deln. Der Graf Chris­ti­an ver­dop­pelt sei­ne Freund­schaft und tut, als ob er sich vor Por­po­ra’s An­kunft fürch­te, wel­che ver­mut­lich das Zei­chen zu mei­ner Abrei­se sein wird. Al­bert scheint es zu ver­ges­sen, dass ich ihm un­ter­sagt habe, sich auf mei­ne Lie­be Hoff­nung zu ma­chen. Als ob er al­les von mir zu er­war­ten hät­te, ver­langt er nichts für die Zu­kunft und ent­sagt doch die­ser Lei­den­schaft nicht, die ihn zu be­glücken scheint, un­ge­ach­tet mei­nes Un­ver­mö­gens sie zu tei­len.

      Und bei dem al­len gehe ich hier um­her wie eine er­klär­te Liebs­te, je­den Mor­gen auf eine heim­li­che Zu­sam­men­kunft mit ihm pas­send, die ich gar nicht wün­sche, weil sie mich dem Ta­del und, was weiß ich, der Ver­ach­tung ei­ner Fa­mi­lie aus­setzt, wel­che we­der mei­ne Auf­op­fe­rung für ihn, noch mein Ver­hält­nis zu ihm be­grei­fen kann, denn ich be­grei­fe ja das al­les selbst nicht und sehe nicht ein, wozu es füh­ren soll. Wun­der­li­ches Schick­sal, das ich habe! Bin ich denn dazu ver­dammt, mich ewig so hin­zu­ge­ben, ohne von dem ge­liebt zu wer­den, den ich lie­be, und ohne den zu lie­ben, den ich ach­ten muss?

      Un­ter die­sen Be­trach­tun­gen ver­sank sie in eine tie­fe Schwer­mut. Sie fühl­te das Be­dürf­nis, sich sel­ber an­zu­ge­hö­ren, die­ses vor­nehms­te und ge­rech­te Be­dürf­nis, die wah­re Be­din­gung des Fort­schritts und der Ent­wick­lung für den über­le­ge­nen Künst­ler. Die tä­ti­ge Teil­nah­me, wel­che sie dem Gra­fen Al­bert ge­wid­met hat­te, drück­te sie wie eine Fes­sel. Das bit­te­re An­den­ken, das von An­zo­le­to und Ve­ne­dig ihr ge­blie­ben war, dräng­te sich ihr leb­haft auf in der Un­tä­tig­keit und Ein­sam­keit ei­nes für ih­ren kraft­vol­len Geist zu ein­tö­ni­gen und zu re­gel­mä­ßi­gen Le­bens.

      Sie blieb bei dem Stei­ne ste­hen, den Al­bert ihr oft als den be­zeich­net hat­te, wo er durch eine selt­sa­me Schi­ckung sie zum ers­ten Male als ein Kind ge­se­hen hat­te, mit Schnü­ren auf dem Rücken ih­rer Mut­ter wie das Pack ei­nes Hau­sie­rers fest­ge­bun­den, über Berg und Tal mit Sin­gen wie das Grill­chen in der Fa­bel schwei­fend, un­be­sorgt um den mor­gen­den Tag und ohne Furcht vor dem dräu­en­den Al­ter und dem un­er­bitt­li­chen Man­gel.

      O mei­ne Mut­ter! dach­te die jun­ge Zin­ga­rel­la, sieh mich hier durch un­er­forsch­li­che Fü­gung wie­der an den Ort ge­führt, den du be­tra­test, um da­von nur eine dunkle Erin­ne­rung und das Pfand ei­ner rüh­ren­den Gast­freund­schaft mit hin­weg­zu­neh­men. Du warst jung und schön und tra­fest ohne Zwei­fel vie­le Stät­ten an, wo dich die Lie­be in ihre Arme ge­nom­men hät­te, wo dich die Ge­sell­schaft hät­te von dem Ban­ne frei­spre­chen und in sich auf­neh­men kön­nen, wo du dein rau­es, un­stä­tes Le­ben hät­test von dir wer­fen und im Scho­ße des Wohl­seins und der Ruhe ver­ges­sen kön­nen. Aber du fühl­test stets, dass die­ses Wohl­sein ei­tel Zwang und die­se Ruhe töd­li­cher, der Künst­ler­see­le töd­li­cher Über­druss sei. Du hat­test recht, ich füh­le es nun auch; denn da bin ich in die­sem Schlos­se, wo du wie in al­len an­de­ren nur eine ein­zi­ge Nacht zu­brin­gen woll­test; da bin ich, vor dem Man­gel, vor der An­stren­gung ge­schützt, wohl be­wir­tet, zärt­lich ge­pflegt, einen rei­chen Herrn zu mei­nen Fü­ßen … und doch tö­tet mich der Zwang.

      Con­sue­lo hat­te sich er­mat­tet auf den Stein ge­setzt. Sie sah den Sand des We­ges an, als hät­te sie dar­in die Spu­ren von den Fuß­trit­ten ih­rer Mut­ter su­chen wol­len. Die Scha­fe hat­ten im Vor­über­zie­hen an den Dor­nen ei­ni­ge Flo­cken Wol­le han­gen las­sen. Das Rot­braun die­ser Wol­le er­in­ner­te Con­sue­lo leb­haft an die Na­tur­far­be des gro­ben Stoffs, wor­aus ih­rer Mut­ter Man­tel ge­macht war, die­ser Man­tel, der sie lan­ge ge­gen Käl­te und Son­ne, ge­gen Staub und Re­gen be­schützt hat­te. Sie hat­te ihn Stück für Stück von den Schul­tern ih­rer Mut­ter fal­len se­hen.

      – Und wir, sprach sie in Ge­dan­ken, wir wa­ren auch arme, ir­ren­de Scha­fe und lie­ßen die Fet­zen un­se­rer Hül­le an den Dor­nen des We­ges, aber wir nah­men über­all das stol­ze Ge­fühl und den vol­len Ge­nuss un­se­rer teu­ern Frei­heit mit hin­weg.

      So träu­mend warf Con­sue­lo lan­ge Bli­cke über die­sen Weg von gel­bem San­de, der sich an­mu­tig den Hü­gel hin­ab schlän­gel­te und un­ten im Tale er­wei­tert, sich ge­gen Nor­den wen­de­te, einen wei­ten Bo­gen zwi­schen dem Grün der Fich­ten und dem Schwarz der Hei­de hin­durch be­schrei­bend.

      Was gibt es Schö­ne­res als eine Land­stra­ße? dach­te sie. Sie ist das Sinn­bild und der Fin­ger­zeig ei­nes