Die ersten Spuren, welche noch übrig sind, gehören, wie gesagt, in das 11. Jahrhundert. Sekten, die sich damals von Italien aus, wie es scheint, nach Südfrankreich und auch nach Deutschland verbreiteten, wurden von ihren Gegnern mit dem alten Ketzernamen der Manichäer bezeichnet. Sie sollen den Genuss von Tierfleisch und von Wein vermieden und ein eheloses Leben empfohlen haben; diese Art, dem Geiste seine Ehre durch Beschränkung der fleischlichen Triebe zu erweisen, lag im Zeitgeschmacke. Die Hexenkünste und groben Laster, deren man sie anklagte, können übergangen werden. Aber wichtig ist der Glaube, der ihnen zugeschrieben wird, dass der heilige (der allgemeine) Geist sich nicht in heiligen Schriften, welche eitel Pergament seien, sondern in dem Geiste des lebendigen Menschen offenbare und dass die kirchlichen Institutionen Lug und Trug seien. Ob unter ihnen gnostische Theorien, in denen das böse Prinzip zu Ehren kam, wie uns erzählt wird, wirklich verbreitet waren, oder ob man dies nur vorgab, um sie als Manichäer verdammen zu können, lässt sich nicht ermitteln. In Deutschland kam bald der Name Katharer auf; »unser Deutschland«, sagt der Mönch Eckbert, »nennt sie Katharer«; die Freien jener Zeit nannten sich wohl selbst so, nämlich mit einem griechischen Worte Êáèáñïß, d. i. Reine. Katharer ist einerlei mit Ketzer, und diesen Namen gaben die Päpstlichen in Kurzem allen denen, welche sich von der Kirche lossagten. Sekten, die man so nannte, waren im 12. Jahrhundert in Italien, Frankreich, Deutschland, England verbreitet; bald wird ihnen Teufelsdienst und Manichäismus, bald nur Enthaltung von Fleisch und geistigen Getränken, daneben Ausschweifung in Befriedigung des Fleisches bei heimlichen unterirdischen Zusammenkünften und Verwerfung der kirchlichen Gebräuche zur Last gelegt. Manche Parteien dachten übrigens nicht daran, sich förmlich von der Kirche zu trennen und deren Lehren zu verwerfen, sondern strebten nur ein frommes, keusches, liebevolles Leben an, wie es, ihrer Meinung nach, in der apostolischen Zeit in der christlichen Kirche herrschend gewesen war, so die Waldenser, welche Petrus Waldus (um 1160) in Lyon stiftete, die Albigenser in der Provence, gegen welche um diese Zeit ein ordentlicher Kreuzzug unternommen wurde, die Petrobrusianer und Henriceianer, die von einem Peter von Bruis und einem gewissen Heinrich, Geistlichen, welche gegen die Verderbtheit des Klerus eiferten, den Namen haben, u. a.
Zu den Gesellschaften, welche seit dem 11. Jahrhundert, ohne sich von der Kirche abzutrennen, lediglich zu dem Zwecke zusammentraten, sich in Reinheit und Unschuld der Sitten und in Liebeswerken einander zu stärken und zu üben, gehörten die Frauenvereine der sogenannten Beghinen (Beguinen, Bequinen etc., später in Westdeutschland Begutten oder Reuerinen, Klausnerinen genannt), welche sich an keine Regel nach Ordensart banden, ab er doch zum Teil in Gesellschaftshäusern (Beguinereien) zusammenwohnten, sich von ihrer Hände Arbeit ernährten, meist von Weberei, Geistliche unterhielten für ihre Kirchen, Armen und Bedrängten halfen, Kranke pflegten, Verlassene beschützten. In den Niederlanden leiteten sie ihren Ursprung von der Mutter Pipins von Heristall, der H. Begga ab, in Lüttich von einem Priester Lambert le Bègue (dem Stammler), der daselbst um 1188 gelebt haben soll. Der gelehrte Geschichtschreiber Mosheim9 stellte die Ansicht auf, dass sie ihren Namen von dem Bitten, Beten oder Betteln ( beggen, bedgan) hätten. Beiläufig gesagt, das Institut der Beguinereien war im 15. Jahrhundert wieder ziemlich verbreitet in Deutschland, und die niederländischen haben sich sogar bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts erhalten, z. B. in Mecheln, wo die Gesellschaft um 1780 noch tausend Glieder zählte. Nach dem Muster der weiblichen Beghinenvereine bildeten sich im 13. Jahrhundert auch männliche, die gewöhnlich Begharden genannt wurden, ebenfalls aus Personen der niedern Stände zusammengesetzt und denselben Zwecken dienend wie die weiblichen, doch bald nicht so beliebt als diese es lange Zeit waren, sondern als Frömmlinge, Herumtreiber und Lasterbuben anrüchig. Sobald diese frommen Vereine der Kirche, welche sie Anfangs zugelassen hatte, verdächtig wurden, richtete sie ihre Bannstrahlen gegen dieselben, und im 14., oder sogar schon im 13. Jahrhundert war Begharde ein Name, womit die Päpste die verschiedenartigsten Sektirer und Ketzer zu belegen pflegten.
In Deutschland, sonderlich in Österreich und in Böhmen, verbreitete sich im 14. Jahrh., wie es scheint von Holland aus, ein Volkswort, um freie Religionsparteien zu bezeichnen, nämlich der Name Lollarden (oder Lolhards). Auch diesen Namen hat man von einem Sektenstifter, Namens Walther Lolhard, einem Österreicher um 1315 herleiten wollen. Dieser Mann, der 1322 in Köln verbrannt wurde, nachdem man seine Sekte in dem Städtchen Krems (in der Passauer Diöces) aufgespürt hatte, hieß wahrscheinlich schlechthin Walther, und Lolhard nur deshalb, weil er ein Lollard war. Man leitet nämlich wie Beghard von »Beggen«, so auch Lolhard von »lollen, lullen, summen, summend beten« ab. In Antwerpen, wo der Name Lolhard zuerst bald nach 1300 vorkommt, nannte die Gesellschaft, der er beigelegt wurde, sich selbst Alexianer oder Cellitenbrüder.
Außer diesen Namen begegnet uns bald darauf in der böhmischen Geschichte ein dritter, der Name Picarden (oder Picarditen). Dieser Name leicht dem Namen Beghard so sehr, dass man wohl auf eine bloße Entstellung desselben in Picard mutmaßen kann. Man hat ihn aber auch von der Picardie herleiten wollen, von wo die Sekte nach Böhmen eingewandert sein soll, und endlich ist er auch auf einen Stifter, Namens Birkhard (oder Picardus), der sich zur Hussitenzeit in Böhmen aufhielt, bezogen worden.10 Den Picarden, Lollarden, Adamiten, einer Sekte, die sich in der Dauphinée zeigte und die Gregor XI. in einem Schreiben an den König v. Frankreich und gleichzeitige Schriftsteller Turlupins (wegen ihrer angeblichen Schändlichkeiten) nennen, einer Sekte die im 14. Jahrhundert in Angermünde unter dem Namen Luciferianer