Lassen wir nun die Ketzernamen dahin gestellt und sehen auf die Lehren, welche hier und da sowohl schon im 11. und 12. als im 13. und 14. Jahrhundert vorgekommen sein sollen, so verdient zunächst der angebliche Teufelsdienst Betrachtung. Von den Adamiten erzählt vornehmlich eine besondere anonyme Schrift,13 von den Lollarden Tritheim (in seinem Chronicon), von den Catharern des 12. Jahrh. ein gegen sie gerichtetes Buch (das Grether bekannt gemacht hat): sie hätten gelehrt, die sichtbare Welt sei nicht von Gott, sondern von dem Teufel, von Lucifer geschaffen, diesem hätten sie auch Messen gewidmet; Gott hätte nach ihnen zwei Söhne gehabt, Lucifer und Christus; des Ersteren Reich, der der Weltschöpfer wäre, fände sich im Alten Testamente; des anderen Reich im Neuen Testamente geschildert. Andere hätten behauptet, dass der Erzengel Michael, der die Weltherrschaft usurpiert habe, im Kampf liege mit dem Lucifer; dieser aber werde endlich triumphieren, in die ewige Freude eingehn und den Michael in das ewige Feuer hinabstoßen. Dem Lucifer hätten die Diener Michaels das Unrecht angetan, ihn für das böse Prinzip auszugeben; seine Verehrer hätten daher in seinem Namen sich zu segnen, mit dem Spruche: Sei gegrüßt in Dem, welchem Unrecht geschah. Sie hätten auch eine Gesellschaftsverfassung gehabt, und zwar an ihrer Spitze 12 (oder auch 16) Apostel, von denen Zweie jährlich einmal in das Paradies gingen, und dort von Elias und Henoch die Macht zu lösen und binden empfingen, eine Macht, welche diese dann auch anderen mitteilen könnten u. s. w.
Dass denjenigen, welche die Vorstellung von Gott als dem gütigen Wesen überkommen hatten, die Betrachtung des Übels und des Bösen in der Welt (welches sich durchaus nicht, man sage und dichte was man wolle, mit jener Vorstellung vereinigen lässt) Veranlassung geben mochte, ein besonderes Prinzip des Bösen anzunehmen, und dann wieder, da das Böse nicht absolut böse ist, sondern unter Umständen sogar das Gute selbst, die Vorstellung von einem Kampf der beiden einander entgegengesetzten Urwesen in Bildern, welche sie dem A. und N. Testament entlehnten, weiter auszuführen, alles das ist sehr möglich; allein es bleibt dennoch fraglich, was in dieser Hinsicht vom 11. bis zum 14. Jahrhundert wirklich in einzelnen Religionsparteien lebendig geworden sein mag. Denn in denjenigen Ansichten, welche erhaltenen Schriftdenkmälern aus jener Zeit zufolge sicherlich gehegt wurden, finden sich Punkte, deren Missverständnis die Gegner leicht verleitet haben kann, die alte Ketzerei der Manichäer zu suchen, wo nichts weniger als diese anzutreffen war.
Ketzerische Parteien oder wenigstens Lehrer der frühesten Zeit, wie sich aus ihren eigenen Schriften.14 ergibt, hatten nämlich eine Lehre ausgebildet, die man heut zu Tage pantheistisch nennen würde. Diese Lehre scheint zu einer wirklich volkstümlichen Verbreitung gekommen zu sein in den Vereinen der Brüder und Schwestern des freien Geistes (auch Beggarden und Schwestrionen genannt). Es ist dieselbe Lehre, welche als Lollardenlehre um 1300 in der Kölner Gegend auftrat, welche der Dominikaner Aikard (oder Eccardus) daselbst vortrug, und welche von dem Pabst Johann XXII. in mehren Bullen verdammt wurde. Gott, sagte sie aus, sei weder gut noch böse, noch der Beste zu nennen; wenn Gott durch das Gute verherrlicht werde, so werde er ebensowohl durch alles Übel, Schuld und Strafe verherrlicht. Wenn Gott sei, so dürfe man ihn nichts bitten, denn das Gebet, das auf Gott bestimmend einwirke, verneine ja Gott. Es solle aber andererseits der Mensch sich Gotte nicht unterordnen (was im Beten ebenfalls geschieht), denn der Mensch sei berufen mit Gott zu herrschen, und der wahrhafte Mensch gehe so in Gott auf, werde in Gott selbst verwandelt wie das Brot in Christi Leib und sei mit Gott Eines. Was man als Gottgewirktes ansehe, sei das Werk der ganzen Menschheit; jeder gerechte und gute Mensch habe Teil an allem was wahrhaft geschieht. »Der gute Minsch ist der ingeburne Sune Gates, den der Vatter ewelycken geburen hat. Was eigen ist der gottlicken Naturen, das ist allis eigen einem jiglichen gottlicken Minschen. Der gottlicke Minsch soll also sinen willen einförmig machen mit Gates willen, das er allis das soll wellen, was Gat will.« Hiernach gibt es kein Böses, das man Ursach hätte in Gott zu setzen. Sondern was Gott will, oder, da dies einerlei ist, was der göttliche Mensch will, das ist immer gut, und das Böse ist nur dasjenige, was der ungöttliche Mensch will und tut, was Gott nicht will. Daher, wenn der göttliche Mensch auch begehen sollte was man eine Todsünde nennt, so wäre das doch nichts Böses, insofern es das Gottgewollte ist. D. h. es gibt kein absolut Böses, sondern böse ist was dem göttlichen Willen widerstrebt15 Diesen aber lernt der Mensch nicht aus Schriften und kirchlichen Satzungen, sondern er wird ihm innen offenbar.
In diesen Richtungen zeigt sich deutlich der erste Anlauf, das Recht der Vernunft wiederherzustellen, obgleich noch in der Form der Zeitvorstellungen, welche auch da, wo sie sich gegen das kirchlich Geltende auflehnten, doch noch im Ringe des kirchlichen Ideenkreises gefangen waren. Es ist nur lächerlich diese Anhänger des freien Geistes zu Teufelsanbetern und Dualisten zu stempeln; wohl aber konnte ihre Ansicht von dem Bösen den Missverstand dazu bewegen, ihnen Hochachtung vor dem Bösen selbst und einem persönlichen Prinzip des Bösen, dessen Annahme man ihnen unterschob, beizumessen.
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Die Lehre vom freien Geiste kennt nur einen Schauplatz der göttlichen Tätigkeit: die Welt. Sie schließt demnach ein jenseitiges Reich, den zukünftigen