Pause der Unentschlossenheit. Ich gab eine Berliner Referenz. »Ja, wenn Sie meinen … Ach … aber wo soll ich denn dann mit dem Kind hin?« – »Ich habe in der Schweiz zu tun – ich bringe Ada zu Ihnen, und wir werden schon anderswo etwas für sie finden; aber da muß sie heraus. Wirklich – das geht nicht. Einverstanden?«
Die Stimme klagte, klang aber ein wenig fester. »Es ist so nett, wie Sie mir helfen. Sie kennen mich doch gar nicht!« – »Ich habe das da gesehen, wissen Sie … das geht nicht. Also gemacht?« – »Jawohl. Wir wollen das so machen.« Und noch einiges verbindliche Hin und Her. Knack. Abgehängt. Aus. Die beiden tanzten einen wilden Tanz, einmal ums ganze Zimmer. Ich behielt den Hörer noch einen Augenblick in der Hand. »Gott sei Dank …«, sagte ich. – »Ob sie es nun auch tut?« fragte die Prinzessin, noch ein wenig atemlos. »Was hat sie gesagt?« fragte Billie. Nun war sie schon etwas mehr bei der Sache – gar nicht mehr so höflich-teilnehmend wie heute nachmittag. Feldzugskamerad Billie … Ich berichtete. Und dann tanzten wir alle drei.
»Dascha wunnerbor!« sagte Lydia. »Wann kann ihr Brief hier sein? Heute ist Dienstag. Mittwoch … Donnerstag … In drei Tagen, wie?« Wir schrien alle durcheinander und waren so vergnügt. In mir war so etwas wie: Wohltun schmeckt süß, Rache trägt Zinsen, und liebe deinen Nächsten wie der Hammer den Amboß. »Darf ich die jungen Damen auf die Weide treiben?« Wir gingen zum Essen.
»Billie!« sagte ich, »wenn das der alte Geheimrat Goethe sähe! Wasser in den Wein! Wo haben Sie denn diese abscheuliche Angewohnheit her! sagte er zu Grillparzer, als der das tat. Oder hat er es zu einem andern gesagt? Aber gesagt hat er es.« – »Ich vertrage nichts«, sagte Billie, und ihre Stimme klang, wie wenn ein silberner Ring in einen Becher fällt … »Verträgt Margot vielleicht mehr?« fragte die Prinzessin. »Margot …«, sagte Billie und lachte. »Ich habe sie mal gefragt, was sie wohl täte, wenn sie beschwipst wäre. Sie war es nämlich noch nie. Sie hat gesagt: Wenn ich betrunken bin, das stelle ich mir so vor – ich liege unter dem Tisch, habe den Hut schief auf und sage immerzu Miau!« Das wurde mit einem sanften Rotwein begossen; Billie schluckte tapfer, die Prinzessin sah mich an, schmeckte und sprach: »Ich mache mir ja nichts aus Rotwein. Aber wenn das der selige Herr Bordeaux wüßte …«, und dann sprachen wir wieder von Zürich und von dem kleinen Gegenstand, und Billie wurde munter, wohl weil sie uns Rotwein trinken sah. Die Prinzessin blickte sie wohlgefällig von der Seite an.
Ich gähnte verstohlen. »Na, schickst all een to Bett?« fragte die Prinzessin.
»Ich schreibe noch den Brief an die Frau. Löst ihr nur euer Rätsel!« Sie lösten. Ich schrieb.
Was die Schreibmaschine heute nur hatte! Manchmal hat sie ihre Nücken und Tücken, das Luder; dann verheddern sich die Hebel, nichts klappt, das Farbband bleibt hacken, gleich schlage ich mit der Faust … »Hö-he-he!« rief die Prinzessin herüber. Sie kannte das, und ich schrieb beschämt und ruhiger weiter. So, das war fertig. Vielleicht ist der Brief zu schwer … Haben wir hier keine Briefschaukel? »Ich bringe ihn noch auf die Post!«
Es regnete. Schön ist das, durch so einen frischen Regen zu gehn … Wie heißt der alte Spruch? Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur gute Kleider. Nun, es gibt schon schlechtes Wetter; es gibt mißratenes Wetter, es gibt leeres Wetter, und manchmal ist überhaupt kein Wetter. Der Regen befeuchtete mir die Lippen; ich schmeckte ihn und atmete tief: Es ist doch hier weiter gar nichts. Ferien, Schweden, die Prinzessin und Billie – aber dies ist einer jener Augenblicke, an die du dich später einmal erinnern wirst: Ja, damals, damals warst du glücklich. Und ich war es und dankbar dazu.
Zurück.
»Na, habt ihr gelöst?« – Nein, sie lösten noch und waren grade in eine erbitterte Streiterei geraten. »Vater der Kirchengeschichte …«, sie mußten da irgendeinen Unsinn gemacht haben, denn für dieses eine Wort hatten sie noch acht Silben übrig, darunter: e-di-son, und obgleich der ja nun viel in seinem Leben getan und seine ganze Zeit umgestaltet hat: Kirchengeschichte hatte er doch wohl nicht … »Löst das nachher!« sagte ich. »Wann nachher?« fragte Billie. »Da schlafen wir.« – »Billie schläft überhaupt heute bei mir«, sagte die Prinzessin. »Du kannst nebenan in der Kemenate schlafen!« – »Hurra!« riefen die beiden. »Macht es Ihnen etwas?« fragte mich Billie. »Aber …!« Und sie lief davon und holte ihre Sachen, jene Kleinigkeiten, die jede Frau braucht, um glücklich zu sein. »Du gefällst ihr, mein Sohn«, sagte die Prinzessin. »Ich kenne sie. Ist sie nicht wirklich nett?« Und die Prinzessin begann umzuräumen und Billies Zimmer nachzusehn, und es gab eine furchtbare Aufregung. »Wohin soll ich die Blumen stellen?« – »Stell sie auf den Toilettentisch!«
Es war kein alter Bordeaux – aber es war ein schwerer Bordeaux. Das Zimmer lag im abgeblendeten Schein der Lampen, es war so warm und heimlich, und wir kuschelten uns.
»Schon?« fragte ich. Die Damen wollten schlafen gehn. »Aber wenn ihr im Bett seid«, sagte ich, »dann laßt die Tür noch offen – damit ich höre, was ihr euch da erzählt!« Ich ging und zog mich aus. Dann klopfte ich. »Willst du …!« sagte die Stimme der Prinzessin. »Wird hier ehrsame Damens bei der Toilette stören! Mädchenschänder! Wüstling! Blaubart! Ein albernes Geschlecht –!« Wo aber war mein Eau de Cologne? Mein Eau de Cologne war da drin – so ging das nicht! Man ist doch ein feiner Mann. Ich klopfte wieder. Geraschel. »Ja?« Ich trat ein.
Sie lagen im Bett, Billie in meinem: sie hatte einen knallbunten Pyjama an, auf dem hundert Blumen blühten, jetzt sah sie aus, wie die wilde Lieblingsfrau eines Maharadschas … sie lächelte ruhig in ihr Rätselblatt. Sie war beinah schön. »Was willst du?« fragte die Prinzessin. »Mein Eau …« – »Haben wir all ausgebraucht!« sagte sie. »Nu wein man nicht – ich kauf dir morgen neues!« Ich brummte. »Habt ihr denn fertig gelöst?« – »Wenn wir dich brauchen, rufen wir dich … Gute Nacht darfst du auch sagen!« Ich ging an sie heran und sagte artig zu jeder gute Nacht, mit zwei tiefen Verbeugungen. »Billie, was haben Sie für ein schönes Parfüm!« Sie sagte nichts; ich wußte, was es war. Das Parfüm »arbeitete« auf ihrer Haut – es war nicht das Parfüm allein, es war sie. Und sie hatte für sich das richtige ausgewählt. Die Prinzessin bekam einen Kuß, einen ganz leise bedauernden Kuß. Dann ging ich. Die Tür blieb offen.
»Halbedelstein –«, hörte ich Billie sagen. »Halbedelstein … Laß mal: Saphir … nein. Rubin … nein. Opal … auch nicht. Lydia!« – »Topas!« rief ich aus meinem Zimmer. »Ja – Topas! Du bist ein kluges Kind!« sagte die Prinzessin. »Nun – nein, so geht das nicht – laß doch mal –« Jetzt rauften sie, die Betten rauschten, Papier knatterte … »Hiii –!« rief Billie in einem ganz hohen Ton. Etwas zerriß. »Du dumme Person!« sagte die Prinzessin. »Komm – jetzt schreiben wir das noch mal auf dies Papier … da stimmt doch was nicht! Wir haben eben falsch ausgestrichen …« – »Der Doktor Pergament kann Silbenrätsel ohne Bleistift lösen!« rief ich. Sie hörten gar nicht zu. Sie waren wohl sehr eifrig bei der Arbeit. Pause. Die Prinzessin: »Hauch … Hast du sowas gesehn? Was ist Hauch?« – »Atem!« sagten Billie und ich gleichzeitig. Es war wie ein Einverständnis. Wieder raschelten sie. »Das ist ja ganz falsch! Der Inbegriff alles sinnlich Wahrnehmbaren – sinnlich Wahrnehmbaren …« Jetzt waren sie offenbar am Ende ihres Lateins, denn nun wurde es ganz still – man hörte gar nichts mehr. »Ich weiß nicht …«, sagte die Prinzessin. »Das ist bestimmt ein Druckfehler!« – »Druckfehler bei Silbenrätseln gibt es nicht!« rief ich. – »Du halt deinen Schnabel, du alte Unke!« – »Laß doch mal …« – »Gib mal her …« – »Weißt du Rats?« Beide: »Wir wissen nichts.« – »Es muß ein Erwachsener kommen«, sagte ich. »Da laßt mich mal ran.« Und ich stand auf und ging hinein. Ich nahm einen Stuhl und setzte mich zur Prinzessin. Einen Augenblick lang hatte der Stuhl in meiner Hand geschwankt; er wollte zu Billie, der Stuhl. »Also – gebt mal her!« Ich las, warf das Papier herunter, hob es wieder auf und probierte mit dem Bleistift auf einem neuen Blatt. Die beiden sahen spöttisch zu. »Na?« – »So schnell geht das nicht!« – »Er weiß ja auch nicht!« sagte Billie. »Wir wollen erst mal alle in den Rotwein steigen!« sagte ich. Das geschah.
»Sehr hübsch«, sagte die Prinzessin. »Rotweinflecke haben Hausfrauen gern, besonders auf Bettwäsche. Du altes Ferkel!« Das galt mir. »Die gehn doch raus«,