Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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er nur immer dieses Mädchen mit der Gestalt der Sängerin der Satanella zusammenschmolz? Er blieb einen Augenblick stehen und sah hinab in den Hof, der jetzt ganz von Sonnenschein erfüllt war, und es kam ihm der Gedanke, ob der Rosenkranz, den sie damals nach der Krone geworfen und der in ihren Zacken hängen geblieben war, schon ganz zu Staub geworden? Ärgerlich wandte er sich ab und schritt weiter – zu welch' absurden Gedanken läßt sich doch der Mensch mitunter hinreißen!

      Er betrat den östlichen Frontflügel, der, parallel mit dem westlichen laufend, die anderen Flügel an Länge bedeutend überragte, so daß das ganze Gebäude ein längliches Viereck bildete. Hier wohnte der Schloßherr, und hier in der sogenannten Bibliothek, die aber mehr Familienarchiv war, brachte er den größten Teil seines Lebens mit heraldischen und genealogischen Forschungen zu. Aber der lange, weite Raum, dessen Büchereien die Familienpapiere bargen, so daß eigentlich nichts in ihm an eine Bibliothek mahnte, war leer. Die schweren dunkelblauen Plüschvorhänge der drei Bogenfenster waren herabgelassen. Den Schritt dämpfend, durchmaß Falkner den weiten Raum, und öffnete leise die Thür, die nach dem Wohnzimmer des Onkels führte – und dort, vor seinem offenen Sekretär saß er, die wohlbekannte, verkrüppelte Gestalt mit dem Höcker, tief in den grünen Saffiansessel vergraben, rechts und links die Krücken, mit denen er sich so schnell und gewandt fortzubewegen verstand, zum sofortigen Gebrauch an den Sessel gelehnt. Aber das gelbe, vertrocknete, häßliche und bartlose Gesicht mit den langgezogenen Zügen, dem spitzen Kinn und den boshaften Augen, wie sah es dem Eintretenden jetzt verändert entgegen! Uralt und wie aus Pergament gepreßt hatte dieses Antlitz ja immer ausgesehen, selbst in den Tagen der Jugend seines Besitzers, aber heut' war doch ein ganz besonderes Etwas darin zu finden – die Runen des Todes.

      »Ah, der Musjö Alfred,« schnarrte der alte Herr trotz dieser drohenden Zeichen in seinem Antlitz mit dem gewohnten spöttischen Tone dem Neffen entgegen. »Was verschafft mir die hohe Ehre deines Besuches!«

      »Meine Mutter schrieb mir, du seiest krank, Onkel – da wollte ich doch einmal selbst nach dir sehen,« erwiderte Falkner herzlich und reichte dem armen reichen Krüppel die Hand.

      Kichernd wie ein Kobold kitzelte der alte Freiherr mit der Fahne der Gänsefeder, welche er in der spindeldürren, großen gelben Rechten hielt, die Fläche der ihm gebotenen Hand.

      »Das Opfer liegt – die Raben steigen nieder,«

      citierte er mit blinzelnden Augen.

      Sofort zog Falkner seine Hand zurück und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen.

      »Hoho, wohin?« rief ihm der Kranke nach.

      »Zurück nach B.,« entgegnete der Legationsrat lakonisch, ohne sich umzuwenden.

      »Hier geblieben,« kreischte der Freiherr, und als sein Neffe zögerte, setzte er bissig hinzu: »Ist das eine Art, mit einem umzugehen? Ist das die Manier, sich einem Erbonkel angenehm zu machen?«

      Falkner ergriff einen Stuhl und setzte sich dem Kranken gegenüber.

      »Ich bin gekommen, nach dir zu sehen, weil Pietät und Pflicht mir dies gebieten,« sagte er abweisend. »Das ›Angenehmmachen‹ überlasse ich – anderen Leuten!«

      Der Schloßherr vom Falkenhof lachte, daß ihm die Augen übergingen.

      »Anderen Leuten!« wiederholte er ganz außer Atem. »Gut, sehr gut! Anderen Leuten! Warum machst du eine Pause vor dieser kostbaren Umgehung des Namens Theobald Ruß, Dr. phil. etc., he?«

      »Lassen wir den Doktor Ruß aus dem Spiele, Onkel,« erwiderte Falkner unmutig über die Äußerung, zu welcher ihn die Art des Kranken hingerissen hatte. »Sage mir lieber, wie du dich fühlst seit dem gestrigen, bösen Anfall?«

      Der alte Herr überhörte diese Frage vollständig. Mit ganz gleichgültiger Miene ergriff er ein Federmesser und begann an seiner Feder herumzuschnitzeln.

      »Nun, mein Junge, erzähle mir, was man in B. thut und treibt,« sagte er dabei jovial. »Ist es wahr, daß man eine Weltausstellung daselbst plant? Schöner Gedanke, aber wo nimmt man das Geld her? Ich gebe keinen Deut dazu!«

      So wenig ihm der Onkel sympathisch war, hier überkam es Alfred Falkner doch wie ein Weh bei dem forcierten leichten Ton des armen Krüppels, um dessen Mund und Augen sich schon solch schreckliche Linien zogen. Was war das Leben dieses Mannes gewesen? Ein schneckenartiges Fortbewegen an Krücken, ein reicher Besitz und ein Zusehen an den Lebensfreuden anderer – ein Dasein voll Entsagung, Verbitterung und der Freude, seine Umgebung mit seinen Bosheiten zu peinigen. Warum muß es solche Menschen geben?

      Die zitternden gelben, krallenartigen Hände sanken müde mit ihrem Spielwerk in den Schoß, und die stechenden Augen des Kranken richteten sich forschend auf die ernsten Züge seines Gegenüber.

      »Was haben sie dir drüben über mich gesagt?« flüsterte er plötzlich leise, schnell.

      »Nur die Thatsachen, Oheim,« erwiderte Falkner, aber der Unwille über das von den Seinen Gehörte stieg dabei wieder in ihm auf.

      Eine Weile war es still in dem Krankenzimmer, so still, daß man nur die Fliegen an den geschlossenen Fenstern summen hörte.

      »Höre, Alfred,« nahm endlich der Schloßherr wieder das Wort, und es war merkwürdig, wie unsicher die scharfe Stimme plötzlich klang, »ich glaube, ich habe ein Unrecht an dir gethan!«

      Erstaunt sah der also Angeredete empor. – Lauerte hinter diesen sonderbaren Worten eine neue Bosheit, wie er sie unter der euphemistischen Bezeichnung eines »Scherzes« so gern auszuteilen beliebte?

      »Es ist nämlich – das heißt,« fuhr der Kranke noch unsicherer fort, »na, als ich gestern die kleine Mahnung bekam, daß gegen den Tod kein Kraut gewachsen ist, da kamen mir plötzlich tugendhafte Gedanken – na, schließlich bist du ja alt genug, hast deinen Verstand und wirst dich darüber hinwegsetzen, nicht wahr, mein Junge?«

      Falkner sah forschend nach seinem Onkel hinüber – verlor sich die Besinnung des alten Herrn wieder?

      »Nun, zum Kuckuck, begreifst du denn heut' gar nicht?« platzte der Alte mit gewohnter Ungeduld heraus und setzte höhnisch hinzu: »Thue nur nicht so, als hätten die drüben dir nicht, seitdem du laufen kannst, in den Kopf gesetzt, daß du mein Erbe, der Erbe vom Falkenhof bist! Kannst du das leugnen?«

      »Nein!« sagte Falkner fest.

      »Nun, siehst du,« quiekte der Kranke. »Und du hast's natürlich geglaubt?«

      »Ja,« bestätigte der Gefragte.

      »Natürlich, solche Dinge glaubt man gern,« höhnte der Freiherr, »aber,« fügte er spöttisch hinzu, »mein Gewissen hat mir gestern deshalb geschlagen – ich hätte dir den frommen Glauben nehmen sollen, nehmen müssen, wenn du willst, Alfred. Aber es hat mir zu viel Freude gemacht, den hochgelahrten, superklugen, christlichmilden Herrn Doktor Ruß und seine holde Ehehälfte – –«

      »Meine Mutter,« fiel Falkner stark ein.

      »Nun ja, deine Mutter, die auf meinen Tod lauert, seitdem sie unter meinem Dache lebt, kurz, die ganze Gesellschaft am Narrenseile herumzuführen. Aber schließlich kann ich ja doch die langen Gesichter nicht mehr sehen, wenn sie erfahren, daß sie die Rechnung ohne den Wirt, d. h. ohne die Lehensbestimmungen gemacht haben, aber es ist dir doch nicht sehr unangenehm, Alfred, daß dir der Falkenhof so vor der Nase fortgeschnappt wird?«

      »Ich verstehe dich noch nicht, Onkel,« entgegnete Falkner etwas beklommen.

      Der Kranke bewegte sich unruhig in seinem Sessel hin und her.

      »Du bist doch sonst nicht so schwer von Begriffen,« sagte er verdrießlich, »aber freilich, dir hat ja keine Seele etwas von den Erbfolgebestimmungen des Falkenhofes gesagt – mich wundert's nur, daß der weise Herr Doktor Ruß sie noch nicht herausgedüftelt hat – der muß doch seine Nase sonst in allem haben. Aber die Erbschaft schien ihm wohl zu sicher – –«

      »Onkel –!« fiel Falkner etwas ungeduldig ein.

      »Ja,